Das Gespräch geht schon eine Stunde, Josef Martin hat erzählt, wie er Rennyachten baut und restauriert, wie schon sein Vater vor ihm in der Werft schuftete und dass seine Frau und sein Sohn den Betrieb in vier Jahren übernehmen sollen. „Es wird Zeit für die Übergabe", sagt Josef Martin. Eigentlich hat der Siebzigjährige das Alter für den Ruhestand längst erreicht. Nur so richtig loslassen kann er nicht. Martin ist ein resoluter Mann. Ein Macher. „Ein Verrückter", wie er selbst sagt.
Und so stapft er an diesem Januarmorgen durch zwanzig Zentimeter tiefen Schnee. Hin zur Montagehalle, wo seine Bootsbauer an einer ganz besonderen Rennyacht tüfteln, er blickt von außen durchs Fenster - und da gut eine Stunde nach Beginn des Gesprächs, hellt seine Miene auf, er schmunzelt, blickt seinem Gegenüber fest in die Augen und sagt: „Solche Aufträge kriegt man nur einmal im Leben."
Die Tür zur Halle geht auf. Feines Licht fällt durch die staubigen Fenster. Und man kann ihn schon riechen, den Geruch von frisch verbautem Holz. In der Mitte der Halle steht beinahe andächtig eine Yacht, erbaut aus den Plänen von Starling Burgess, eines US-amerikanischen Yachtkonstrukteurs des frühen 20. Jahrhunderts.
Vom Deck und von der Außenseite der Yacht rieseln Späne und Staub, zwei Bootsbauer hobeln und schleifen am Holz, damit es in ein paar Tagen lackiert werden kann.
1937 konstruiert, aber nie gebaut„Das ist alles Knochen- und Handarbeit", sagt Josef Martin und verstummt. Wegen der staubigen Luft - und auch, weil sich die Handwerker konzentrieren, weil sie sehr präzise arbeiten müssen- wird nur wenig gesprochen.
Später, draußen im Hof, erklärt Martin, was es mit der Yacht auf sich hat. Er ist es gewohnt, den Besuchern seine Arbeit und all die komplizierten Arbeitsschritte einigermaßen verständlich zu machen.
„Das alte Handwerk, das fasziniert", weiß er. Eine Kunde hat sich darum auch eine neugebaute Yacht nach altem Vorbild gewünscht. Geformt wie eine aus dem frühen 20. Jahrhundert. Also war Martin losgezogen, hatte in den Galerien dieser Welt nach alten Zeichnungen Ausschau gehalten und im Museum Mystic Seaport in Connecticut einen Entwurf von Starling Burgess entdeckt. Eine Rennyacht, 1937 konstruiert, aber niemals erbaut. Bis jetzt.
Josef Martin und sein Kunde fanden die Yacht wunderschön. „So etwas muss man doch zum Leben erwecken", sagt der Bootsbauer. Und wieder ist da dieses Schmunzeln in seinem Gesicht. Und auch ein wenig Stolz. Denn: Martin Josef bekam vom Museum schließlich die Erlaubnis die Yacht den Zeichnungen getreu nachzubauen.
Und nicht nur das: Weil er unter Termindruck steht und der Kunde die Yacht schon im März dieses Jahres haben wollte, hat Martin zum ersten Mal in seinem Leben den Rumpf und das Deck einer Yacht gleichzeitig gebaut. „Das ging nur mit modernster Computertechnik." Diese berechnete die Längen, Breiten und Winkel von Rumpf und Deck. „Damit sie eins zu eins aufeinanderpassen." Die 15 Meter lange Yacht ist inzwischen fast fertig, muss nur noch lackiert und innen komplett ausgestattet werden. Und doch: „Die Zeit drängt." Noch gut zwei Monate, dann sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein.
Was für ein Gefühl es sei, die Yacht dann zu Wasser zu lassen? „Wenn ich ein Boot abgebe, denke ich oft: Da fehlt etwas. Da geht ein Stück von mir", sagt Josef Martin. 87 Mal ist ihm so das ergangen. 87 Boote hat er bisher gebaut, drei wollte er behalten. Und verkaufte sie doch. Weil die Kunden schon ihre Augen darauf geworfen hatten, weil Martin sowieso lieber auf Oldtimern segelt, wie er sagt. Auf Yachten, die zwischen 1922 und 1948 erbaut wurden. Denn mit denen hat er eins gemein: „Sie sind alt und nicht kaputt zu kriegen. So wie ich", flachst er.
Seit Josef Martin denken kann, ist er fasziniert vom Markelfinger Winkel, diesem nordwestlichen Zipfel des Untersees, an dessen Seite die Werft liegt. Und von den Yachten, die hier entstehen. „Das hat mich schon als Kind angezogen", sagt er am Anfang des Gesprächs. Er steht da noch in seinem Arbeitszimmer, einem maritimem, in blau-weiß gestrichenem, Raum am Eingang des Hauptgebäudes. Von hier hat er alles im Blick.
Wie die Martin Werft vor 90 Jahren entstandUnd was Josef Martin wichtig ist im Leben, wird in diesem Raum sichtbar. An den Wänden hängen zwei Gemälde von Booten, in den Vitrinen und auf den Regalen stehen kleine Yachtmodelle - alles Modelle von Booten, die er tatsächlich gebaut hat. Sein Werk in Miniaturform. Auf dem Tisch liegen alte und neue Tuschezeichnungen, damit illustriert er Kunden, wie eine Yacht aussehen könnte. Und ganz oben an der Ecke zwischen Wand und Decke hängt ein kleines, blaues Schild: „Territoriales Schutzgebiet für Raucher."
Jeder habe so seine Laster, seins sei das Rauchen, sagt Josef Martin und setzt sich an den Tisch. Er blättert durch die Tuschezeichnungen, als holten sie alte Erinnerungen hervor. „Die Geschichte beginnt eigentlich mit meinem Vater", sagt er dann. Sein Vater, der 1931 - vor genau 90 Jahren - die Werft gegründet und das Handwerk bei einem Bootsbauer in der Seestraße gelernt hat. „Mein Vater hat kleine Bötchen gebaut." Keine Yachten, sagt Martin. Aber die Leidenschaft, das Feuer für das Handwerk, habe er von ihm.
1967, als Martin 16 Jahre alt war, starb sein Vater. Wenige Jahre später - er musste seine Ausbildung zum Bootsbauer noch vollenden, - übernahm er den Betrieb. Seither baut, restauriert und pflegt Josef Martin Boote. Und seither wächst die Werft. Er hat die Anlage seines Vaters ausgebaut, sie um einen Hafen und ein paar Hallen erweitert. Und er baut schon wieder. Eine Winterlagerhalle, ein Restaurant und ein Wohngebäude für seinen Sohn sollen her. „Ich habe den Schuss nicht gehört, ich weiß. Mit Siebzig noch am Bauen", sagt er. Doch so sei er eben: „Ich muss etwas anpacken. Immer."
Das merkt man dann auch, als man Josef Martin nach seinem kniffligsten Restaurationsprojekt fragt, Martin antwortet höflich. Er erzählt von der Marabu X10, einer Rennyacht, doch sein Blick geht raus zum Hafen, zu den Hallen. Josef Martin gehört einfach nicht in ein Büro. Auch nicht in dieses, so maritime. „Marabu muss man sehen", sagt er. Also geht es nach draußen durch den tiefen, dicken Schnee.
Die Marabu X10 - eine Rennyacht aus den 30er JahrenMarabu war 1935 zur Kriegsvorbereitung erbaut worden, sagt er. Nach dem Krieg ging sie als Reparationszahlung an die Engländer, fuhr Sportwettfahrten, überquerte dabei ein dutzend Mal den Atlantik und gewann 1982 das Royal Escape Race, ein südenglisches Yachtrennen nach Frankreich. Die vielen Fahrten müssen ihr schwer zugesetzt haben. Denn: Als Martin die Yacht vor ein paar Jahren gekauft hatte, sei sie nicht mehr schwimmfähig gewesen.
Und weil er in der Montagehalle Platz brauchte, um die Yacht von Burgess zu bauen, lagert Marabu jetzt vor der Halle. „Im März kommt sie wieder rein", sagt Martin. Bis 2023 soll sie fertig werden.
Nachwuchssorgen hat er keineJosef Martin fährt mit der Hand über das Holz. Er liebt den Geruch von Holz und wie es sich anfühlt. „Das ist ein toller, warmer Stoff." Er arbeitet nur mit Holz - mit Mahagoni, Teak, Lärchenholz oder mit Robinie, Akazie und Buche. Aber niemals mit glasfaserverstärktem Kunststoff. Auch wenn der Markt zu 99 Prozent mit Kunststoffschiffen abgedeckt würde, wie er sagt. Für Martin ist das eine Sache der Weltanschauung. „Holz als natürlicher Rohstoff."
Und das kommt an. Bei den Kunden. Wie beim Nachwuchs. Auch wenn man es kaum glauben mag - beim Nachwuchsmangel in den Handwerksberufen - erreichen ihn gut 40 Bewerbungen um zwei Ausbildungsstellen pro Jahr.
„Yachten sind zeitlos", sagt Josef Martin darum. Mit der Hand fährt er noch einmal über das Holz der Marabu. „Die kriegen wir wieder schön."