Daniela Biehl

Journalistin/Presse, Hessen I BW I Bayern

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Ein bisschen Freiheit auf dem Platz

Manchmal ist ein Spiel schon eine kleine Revolution. Foto: Dana Rösiger

Von Daniela Biehl

Es gibt ein Bild von ihr, das hütet Dana Rösiger wie einen Schatz. Es ist eines der wenigen Fotos, die von ihr überhaupt existieren, denn eigentlich steht die Heidelbergerin lieber hinter als vor der Kamera. Auf diesem Bild aber hat sie das Kap der Guten Hoffnung erklommen und lässt sich von einem jungen, afrikanischen Mädchen umarmen, das sie vier Stunden zuvor beim Fußballtraining in Kapstadt fotografiert hatte. "Am selben Abend erzählte sie mir, wie sie, als sie klein war, vergewaltigt wurde, dass sie Aids hat und ihre Eltern sie prügelten. Dass sie abhaute und kurz davor stand, sich das Leben zu nehmen - und dann im Fußball ein Zuhause fand." Einen Halt. Rösiger merkte damals, "wie viel mehr Fußball ist. Mehr als ein Millionen-Dollar-Geschäft. Und mehr als nur ein Sport."

Fast zehn Jahre später sitzt sie in einem Bergheimer Café - und erzählt von ihrer Arbeit als Sozial- und Fußballfotografin in den ärmeren Gegenden der Welt. Rösigers Geschichte beginnt mit der Wende, als die damals 15-jährige Dresdnerin eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekommt - "und wahnsinnig gern Menschen fotografiert". Am liebsten mit Teleobjektiv. Und aus der Ferne. Denn Rösiger will sich nicht aufdrängen: Sie nähert sich ihrem Gegenüber behutsam, aus der Distanz. Auch heute noch. "Ich glaube, nur so entstehen berührende Spiegelbilder eines Augenblicks", sagt die 43-Jährige.

Mit der Wende beginnt auch ein neuer Lebensabschnitt der Familie: Rösigers Vater ergattert einen Job in einer Marketingagentur, promotet Bücher über Franz Beckenbauer und den Jahrhundertfußball - und Dana Rösiger "inhaliert" diese Bücher. Damals prägt sich ihr ein Bild des Sports ein: Schnelle Bewegungen mit dem Ball, Leidenschaft und Kampfgeist. Kurz darauf fängt sie an, zu reisen: "Ich hatte das Gefühl, die Tür geht wieder zu - ich müsse das ausnutzen und die Welt erkunden." Und auf ihren Reisen spürt sie schnell, dass Fußball etwas ganz Besonderes ist: "Es war mein Türöffner zu den Herzen der Menschen." Und doch merkt sie auch: "So durch und durch normal wie in Deutschland - wo Frauen auf den Sportplatz gehen und kicken - ist es in Entwicklungsländern oft nicht."

In vielen Ländern der Welt ist die Sache noch heute kompliziert: In Afghanistan etwa erhalten Fußballspielerinnen Morddrohungen. In Ägypten und Libyen war Frauenfußball lange Zeit verboten, jetzt trainieren sie zwar, aber ohne Publikum. Warum? "Weil Fußball in der arabischen Welt als Männersport gilt. Und eine Frau in Sportklamotten, das ist verpönt." Für diese Frauen seien Fußballspiele im Grunde kleine Revolutionen. "Sie erkämpfen sich ihre Freiheit auf dem Platz."

Schon im Jahr 2000, als Rösiger nach Heidelberg zieht, will sie die Geschichten der Fußballspielerinnen dokumentieren. Doch ihr fehlt die Zeit. Bei SAP hat sie gerade einen neuen Job angefangen. Und irgendwie kommt immer was dazwischen. 2009 meldet sich ein guter Bekannter von ihr aus Berlin, er arbeitet bei Streetfootballworld, einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die mithilfe des Fußballs in Entwicklungsländern Aids-Prävention vorantreibt und Werte vermittelt wie Respekt und Fairness, Wertschätzung und Verantwortung. In Kapstadt hat die NGO gerade ein neues Fußballzentrum aufgebaut. Rösiger fliegt zur Eröffnungsfeier mit, dokumentiert die Spiele - und fängt wieder Feuer.

Folgeaufträge führen sie nach Tansania, Brasilien, Rumänien, nach Israel und in den Libanon. Dabei fasziniert sie immer wieder die Stärke der Frauen. "Wie sie mit dem Ball umgehen und ihre Körpersprache, das Leidenschaftliche, Kraftvolle, das ist eins zu eins wie bei Männern auch."

Um solche Stärke zu feiern, begleitet Rösiger 2017 ein Weltrekordprojekt der besonderen Art. Auf dem Kilimandscharo, in 5800 Meter Höhe, wollen 30 Frauen - darunter eine Afghanin und zwei Jordanierinnen - nach den offiziellen Regeln der Fifa 90 Minuten lang Fußball spielen. Als Rösiger zum Kilimandscharo aufbricht, liegen hinter ihr Monate harten Kraft- und Ausdauertrainings. Höhenkrank wird sie trotzdem. Sie kämpft sich nach oben - und steht mitten unter den starken, spielenden Frauen. Die genauso erschöpft sind wie Rösiger. Die aufgeben hätten können, aber nur kurz Sauerstoff ziehen und 90 Minuten durchspielen.

Allein das wäre schon eine Erfolgsgeschichte. Doch Rösiger erzählt noch viel mehr. Davon, dass die zwei Jordanierinnen Ali bin al-Hussein, den Prinzen ihres Landes, so sehr begeisterten, dass er seitdem den Frauenfußball aktiv mit vorantreibt. Oder davon, dass eine argentinische Spielerin plötzlich einen Anruf von der Band U2 erhielt: "Sie wollten ein Konzert in ihrer Heimat Buenos Aires spielen und ein Bild von ihr zeigen, Fußball spielend auf dem Kilimandscharo." Ein von Rösiger geschossenes Porträt. Dana Rösiger zückt ihr Smartphone und scrollt durch ihren Foto-Ordner: Eine Spielerin, die zum Jubel ausholt, ein Kopfball vor dem Kilimandscharo. Es scheint, als sei sie in Gedanken wieder bei den Frauen, mit denen sie den Berg erklomm - und mit denen sie noch vor einem Monat ein zweites Weltrekordprojekt auf die Beine stellte: ein Fußballspiel am tiefsten, frei zugänglichen Punkt der Erde, im Wadi Rum am Toten Meer. Doch dann legt sie ihr Handy zurück und sagt: "Jetzt fehlen mir noch die lokalen Heldinnen!" Bei der Frauenfußball WM 2019 will Rösiger Spielerinnen aus Mannheim, Heidelberg und der Region porträtieren. "Um auch hier das Thema greifbarer zu machen." Um junge Mädchen und Frauen zu stärken.




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