Daniela Biehl

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Die mutige Frau und das Meer

Janice Jakait ruderte als erste Deutsche über den Atlantik. Es war auch eine Reise zu sich selbst - Denn sie wurde als Junge geboren. Foto: Jens Kramer

Von Daniela Biehl

Heidelberg. Wenn Janice Jakait vom Atlantik erzählt, funkeln ihre Augen. Wie magisch sie waren, die Monate auf hoher See, die Weite und Stille, das silbrig blaue Meer bei Tag und der finstere Ozean bei Nacht. "Magisch", sagt Jakait: "Und gefährlich." Manchmal liege das Meer still da, tagelang. Und innerhalb von Stunden kann alles anders sein: Stürme, meterhohe Wellen, wie Berge aus dem Nichts, Blitze und mittendrin ein kleines, sechs Meter langes, zwei Meter breites Ruderboot. "Ich dachte oft, gleich ist es vorbei. Da wartet der Tod."

Sechs Jahre ist es jetzt her, dass Jakait als erste Deutsche alleine über den Atlantik ruderte - 6500 Kilometer in 90 Tagen. Ein Weltrekord. "Aber um Rekorde habe ich mich nie geschert", meint die Wahl-Heidelbergerin. Sie sitzt in einem kleinen, rustikalen Café am Neckar und sagt: "Das war das Abenteuer meines Lebens." Eine klassische Heldenreise, obwohl sie sich selbst als Anti-Heldin bezeichnet: "Ich hasste Rudern und konnte nicht einmal Schwimmen. Eigentlich war ich der letzte Mensch, der eine solche Reise hätte machen sollen."

Wäre da nicht Tori Murden gewesen, eine amerikanische Extremsportlerin, die 1999 in See stach, um als erste Frau in einem Ruderboot den Atlantik zu überqueren - und nur knapp mit dem Leben davonkam. Als Jakait ein Interview mit ihr liest, denkt sie erst, Murden sei eine Wahnsinnige. Dann fängt sie Feuer. "Ich dachte, wenn jemand solche Strapazen auf sich nimmt, muss da draußen etwas sein. Etwas, dass es wert ist, sein Leben zu riskieren." Jakait kündigt ihren Job. Sie kauft sich ein altes Boot, entkernt es, baut es neu, um jede Schraube, jedes Detail zu kennen, falls auf dem Atlantik etwas kaputt geht. Sie lernt navigieren, mit Sternen und Seekarten, mit Kompass und GPS - und rudert am 23. November 2011 schließlich in Portugal los.

Sie erzählt zunächst von den schönen Momenten auf hoher See: Den Walen, die ihr Boot umspielen, dem klaren Sternenhimmel bei Nacht. Dann hält sie inne, nippt an ihrem Cappuccino und sagt: "Das klingt romantischer, als es ist. An manchen Tagen war das Meer die Hölle." Wenn Haie sich nachts an ihrem Boot schrubben, wird ihr mulmig. Wenn große Tanker sie übersehen, bekommt sie Todesangst. Und die Einsamkeit raubt ihr fast den Verstand. Sie wird seekrank, halluziniert und kann kaum schlafen. Aber Jakait geht über ihre Schmerzgrenze, rudert weiter, täglich zwölf Stunden. Und schon nach einem Monat sind sie weg, die Angst, die Einsamkeit und die Halluzinationen. "Man gewöhnt sich an die Reizarmut", sagt Jakait. "Und irgendwann liebt man die Stille." Am 21. Februar 2012 erreicht die damals 34-Jährige ihr Ziel Barbados. Und sie begreift: Ihr Abenteuer ist auch eine Reise zu sich selbst gewesen. "Ich fühlte mich angekommen, in der Mitte in mir selbst."

Das war nicht immer so. Im Körper eines Jungen geboren, spürt Jakait von frühester Kindheit an, das ihr Leben nicht in eine gängige Schublade passt, dass sie kein Junge sein will. "Solange ich denken kann, empfand ich mich als Frau", sagt sie. In der Schule erscheint sie in Mädchenklamotten, wird gehänselt, ausgelacht, ausgegrenzt. Für die wenigsten ihrer Freunde ist die Pubertät leicht. Für sie ist es eine Qual. Jahrelang wird Jakait geplagt von Selbstzweifeln und Depressionen. Sie will sich das Leben nehmen. Dann trifft sie eine Entscheidung und unterzieht sich einer Geschlechtsumwandlung.

Nach mehreren Operationen im In- und Ausland, nach unzähligen Begutachtungen und Gerichtsverfahren - ohne sie darf in Deutschland niemand gegengeschlechtliche Hormone nehmen, sich operieren lassen oder seinen Vornamen ändern - wacht Jakait mit Anfang 20 in einem Hotelzimmer in Thailand auf. Sie stellt sich vor den Spiegel und sieht zum ersten Mal sich: eine junge Frau mit femininen Gesichtszügen - und sie ist glücklich. "Aber das war damals", sagt Jakait und meint mit "damals" die Zeit vor ihrer Reise über den Atlantik, als sie noch in zwei Geschlechtskategorien dachte. "Heute zählt für mich nur der Mensch." Sie sieht sich mittlerweile als beides, als männlich und weiblich. "Und doch keins von beidem."

2012, nach der Atlantiküberquerung, zieht es Jakait nach Heidelberg. Sie spaziert nachts auf dem Philosophenweg und träumt vom Ozean. Und hier, in jenem rustikalen Café am Neckar, trifft sie auf ihren späteren Verleger, wird Schriftstellerin, landet zweimal auf der "Spiegel"-Bestseller-Liste. Und sie spürt noch immer die Abenteuerlust in sich. Ob es sie wieder an den Atlantik zieht? Jakait sieht nach draußen zum Neckar und sagt: "Manchmal denke ich mir, wenn ich alt bin, möchte ich, dass mein Partner in meinen Armen stirbt, dass ich ihn halten kann. Und dann, wenn niemand mehr ist, will ich aufs Meer. Für den Rest meines Lebens."

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