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Mit Satellitendaten gegen Heuschnupfen und ausgetrocknete Flüsse

Satellitendaten werden das Ausmaß der Klimakrise nicht mindern. Aber sie ermöglichen eine bessere Anpassung - nicht nur für Allergiker, sondern auch für Betreiber von Erneuerbaren-Energien-Anlagen oder Binnenschiffer.

München, 29. Oktober 2019

Tränende Augen, eine laufende Nase und der permanente Niesreiz - für viele Menschen sind Frühjahr und Sommer keineswegs die schönste Zeit des Jahres. Etwa 20 bis 30 Prozent der Menschen reagieren empfindlich auf die von Bäumen und Pflanzen freigesetzten Pollen in der Luft. Die allergische Reaktion kann asthmatische Beschwerden auslösen, die in besonders schweren Fällen sogar lebensbedrohlich werden können. Derartige Belastungen werden mit der Klimakrise weiter zunehmen.

Aufgrund steigender Temperaturen verkürzt sich die vegetationsfreie Zeit im Winter, sodass die Pollensaison im langjährigen Vergleich immer länger dauert. Neue Pflanzen wie Ambrosia breiten sich hierzulande aus, die zu den stärksten Allergieauslösern zählt. Zudem trägt Forschungen zufolge auch die Konzentration von Kohlendioxid in der Luft dazu bei, dass die Pollenproduktion allergieauslösender Pflanzenarten zunimmt. Auch gibt es Hinweise, dass der mit dem Klimawandel einhergehende Anstieg von Luftschadstoffen wie Ozon und Feinstaub die Zusammensetzung von Pollen verändern und diese aggressiver werden lassen.

Rechtzeitig eingenommene Medikamente können Symptome von Heuschnupfen lindern. Immer wichtiger werden deswegen Anwendungen, die Pollenflug präzise vorhersagen. Das ist eine von vielen Aufgaben denensich das europäische Erdüberwachungs- und Fernerkundungsprogramm Copernicus widmet.

Der Copernicus-Atmosphärenüberwachungsdienst (CAMS) liefert tägliche Prognosen über die häufigsten Pollenarten von Birke, Olive und Ambrosia vier Tage im Voraus an und kann Pollenkonzentrationen an bestimmten Orten errechnen. Dabei wird auch der Transport der Allergene von anderen Regionen und Ländern durch den Wind miteinbezogen. Auf der CAMS-Website sind während der gesamten Pollensaison Prognosen verfügbar - und für jedermann zugänglich. Denn das Copernicus-Programm ist ein Open-Data-Projekt. Jeder kann sich über den Climate Data Store einen kostenfreien Account zulegen und die Informationen nach eigenem Bedarf auswerten.

Über 40 Millionen Information von Satelliten, Luft-, Boden- und Meeresmessstationen laufen täglich in die Rechner von Copernicus. Der Climate Data Store ist ein Cloud-basiertes Tool, das es Politikern, Unternehmen und Wissenschaftlern ermöglicht, riesige Mengen Rohdaten zu durchsuchen und zu kombinieren, eigene Anwendungen, Karten und Grafiken in Echtzeit online zu erstellen und auf Knopfdruck auf alle möglichen Klimainformationen zuzugreifen. „Die unternehmerische Nutzung ist unbedingt erwünscht", betont Vincent-Henri Peuch, Leiter des Copernicus Atmosphere Monitoring Programms.

Das Konzept, Daten bereitzustellen, um den mannigfaltigen Klimarisiken auch wirtschaftlich orientiert entgegenzutreten geht offenbar auf. Zumindest ist sowohl die Zahl der Nutzer als auch der Datendownload laut Bericht der Europäischen Weltraumorganisation im vergangenen Jahr stark gestiegen.

Medikamente und Outdoor-Aktivitäten im Voraus planen

Gemeinsam mit dem European Aeroallergen Network (EAN) will CAMS die Pollenflugvorhersage weiter verbessern. Im Zuge der Partnerschaft sind bereits eine Reihe von Apps entstanden, die Heuschnupfen-Geplagten das Leben erleichtern sollen. Zum Beispiel Météo-Pollen, eine Smartphone-App, die mit Hilfe von CAMS-Modellen Wettervorhersagen mit Informationen über den Pollenflug und die akute Luftverschmutzung kombiniert, um präzise Aussagen über Risiken machen zu können. Diese Prognosen werden mehrmals täglich aktualisiert.

"Wir wissen heute, dass zum Beispiel die Luftqualität eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung der Symptome spielt", sagt Uwe Berger, Leiter der EAN an der Medizinischen Universität Wien. Die Forscher des Copernicus Atmosphere Monitoring Programms arbeiten gemeinsam mit dem internationalen Forscherteam daran, die kombinierten Auswirkungen von Pollen, Luftverschmutzung und meteorologischen Bedingungen auf einzelne Allergiker untersuchen. Aus dieser Zusammenarbeit ist eine Anwendung namens „Personal Allergy Symptom Forecasting" (PASYFO) entstanden, die es Nutzern ermöglicht, auf personalisierte Symptomprognosen zuzugreifen, die alle drei Parameter berücksichtigen. Bislang ist der Dienst in Litauen und Lettland verfügbar.

Der Copernicus-Atmosphärenüberwachungsdienst (CAMS) liefert tägliche Prognosen über die häufigsten Pollenarten von Birke, Olive und Ambrosia vier Tage im Voraus an und kann Pollenkonzentrationen an bestimmten Orten errechnen. Daraus hat Meteopollen einen Dienst entwickelt.

Ausbau der Erneuerbaren fördern

Ein weiteres erklärtes Ziel des EU-Programms ist, für Investoren in erneuerbare Energien verlässliche und konsistente Daten zu schaffen. „Mit dem Copernicus Atmosphere Monitoring Service stellen wir genaue Informationen über die Sonneneinstrahlung in zugänglicher und qualitativ hochwertiger Form bereit. Dies hilft der Branche, sowohl große Photovoltaik-Kraftwerke als auch kleinere Aufdachanlagen zu planen, um Erträge zu maximieren", sagt Marion Schroedter-Homscheidt vom DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme.

Denn die Effizienz der Solarstromanlagen wird zu hohem Maße durch den Wolkenzug, Aerosolpartikel, Ozonmoleküle und Wasserdampf in der Atmosphäre beeinflusst. Diese reflektieren oder absorbieren einen Teil der Sonneneinstrahlung, was einen erheblichen Einfluss auf den Ertrag der Kraftwerke hat.

Der Copernicus Atmosphere Monitoring Service bietet dazu zweierlei an: den CAMS Radiation Service sowie den McClear Clear-Sky Irradiation Service. Beide verwenden die von den Satelliten und Atmosphärenmodellen gesammelten Informationen, um historische Zeitreihen der globalen und direkten Einstrahlung bereitzustellen. Der Radiation Service bietet Zeitreihen von globalen, direkten und diffusen Einstrahlung auf horizontaler Fläche und direkten Einstrahlung auf normaler Ebene für bewölkten Himmel sowie für klare Himmelsbedingungen.

Die Wissenschaftler arbeiten im Copernicus Climate Change Service (CS3) zudem daran, auch Wettervorhersagen für bis zu einem Monat oder gar die Saison im Voraus zu ermöglichen. „Für die Solarenergie-Branche ist es ganz wichtig, dass über Copernicus der Zugang zu diesen meteorologisch Netzwerken und Datenflüssen etabliert wird. Und damit haben auch kleinere Ingenieurbüros oder Dienstleister einen einfachen Zugang", sagt Schroedter-Homscheidt.

Auch aus diesem CAMS-Angebot sind bereits wirtschaftliche Nutzungen entstanden, wie etwa „Mon Toit Solaire" des französischen Unternehmen Noveltis, einem Entscheidungsunterstützungssystem für Photovoltaik-Aufdachanlagen. Es simuliert und berechnet mit Hilfe der CAMS-Daten und einem 3D-Gebäudemodell kostenfrei das Potenzial einer Photovoltaik-Anlage und stellt den Nutzern, technische und finanzielle Informationen zur Verfügung sowie die Möglichkeit sich mit zertifizierten Installateuren in Verbindung zu setzen. Die Webseite wurde von der Kommune und örtlichen Solar-Installateure finanziert. „Eine günstige Möglichkeit, um lokale Wertschöpfung zu schaffen", meint Peuch. Auch für deutsche Gemeinden, von denen viele bereits lange Solarkataster besitzen, wären die CAMS-Daten eine Möglichkeit, ihr Angebot zu verfeinern.

Mon Toit Solaire ist ein Instrument das mit Hilfe der CAMS-Daten und einem 3D-Gebäudemodell kostenfrei das Potenzial einer Photovoltaik-Anlage ausrechnet. Screenshot Montoit Solaire

Zukunft der Binnenschifffahrt

Wie wichtig Klimaberatungsdienste künftig werden, zeigte sich 2018 am Rhein. Nach wochenlanger Dürre war der Fluss, eine der bedeutendsten Schifffahrtsstraßen Europas, stellenweise so ausgetrocknet, das über Jahrhunderte verborgene Hungersteine zu Tage traten. Diese Marker erinnern an dramatische Trockenperiode, die Ernteausfälle verursachten und großes Elend nach sich zogen. Die Dürre und Hitze brachte im vergangenen Jahr in ganz Europa unterdurchschnittlichen Regenmengen, überdurchschnittlichen Temperaturen und Hitzewellen. An vielen Flüssen wurden neue Allzeit-Tiefststände vermeldet. Das machte nicht nur Fischen, anderen Flussbewohner und Pflanzen das Leben schwer, sondern hat auch für die Wirtschaft Konsequenzen. Besonders für Unternehmen, die auf den Rhein als wichtigen Transportweg angewiesen sind, war die Lage schwierig. „Die extreme Dürre des vergangenen Jahres hat sehr viel Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt", sagt Enno Nilson. Der Geograph bei der Bundesanstalt für Gewässerkunde beschäftigt sich im Projekt SWICCA damit Daten zu den Klimaauswirkungen bereitzustellen, um eine faktenbasierte Anpassung der Wasserwirtschaft an den Klimawandel zu ermöglichen.

Dass die Klimakrise die Binnenschifffahrt verändern wird, gilt als sicher. Doch wie und wann genau, ist schwierig vorauszusagen. Wie sollen sich Unternehmer auf die neuen Bedingungen einstellen? Gleiche Fragen stellen sich für Regionen, deren Haupteinnahmequellen im Wintersport bestehen oder Agrarindustrie, die auf Bewässerung angewiesen ist.

SWICCA wurde als Klimaberatungsdienst entwickelt, um Entscheidungsträgern zu ermöglichen für strategische Planungen der Wasserwirtschaft die Auswirkungen des Klimawandels zu berücksichtigen. „Wir wollen einen verbesserten Zugang zu Informationen über beobachtete und zukünftige Abflüsse und Wasserstände schaffen, damit Manager von Binnenschifffahrtsunternehmen bei der Optimierung ihrer Prozesse darauf zurückgreifen können", sagt Nilson. Auch hierzu wurden Daten aus dem Copernicus-Programm verwendet. Dazu werden die in der Bundesanstalt für Gewässerkunde erstellten Wasserhaushaltsmodellen mit Daten aus dem Copernicus -Programm angetrieben.

Für den Zeitraum bis 2050 konnte das SWICCA-Projekt zwar keine massiven Veränderungen am Rhein feststellen. Dennoch haben die jüngsten Begebenheiten deutlich gezeigt, dass Anpassungsbedarf besteht. „Natürlich müssen Logistiker anders planen, wenn man die Schiffe auf dem Rhein künftig an weniger Tagen voll abladen kann", sagt Nilson. Die am Rhein ansässige Industrie könnte in gewissem Maße auf andere Verkehrsträger ausweichen. Auch technische Anpassungsmaßnahmen, wie Schiffe mit weniger Tiefgang oder flussbauliche Veränderungen sind denkbar.

Für zuverlässige Klimaprojektionen müssen viele Rädchen ineinander greifen, macht Nilson deutlich. Am Anfang der Kette stehen die globalen Klimamodellierer, die auch dem Weltklimarat (IPCC) zuarbeiten. Copernicus stellt regionale Klimadaten für Europa bereit, welche die Hydrologie-Experten nutzen, um Klimawirkungen regional zu simulieren. „Die Copernicus-Dienste sind sehr sinnvoll und decken Prozess-Bausteine ab, die wir bisher mit viel Aufwand selber machen müssen", sagt Nilson. Um daraus verlässliche Dienste und Produkte zu erschaffen, sei der Copernicus Service allerdings noch deutlich ausbaufähig. Zum einen brauche es für regionale Ausarbeitung eine höhere Auflösung der Daten und auch die Bereitstellung der Daten sei im Vergleich mit den gut eingespielten Diensten des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage noch verbesserungsfähig.

„Daran arbeiten wir mit Hochdruck", verspricht CAMS-Leiter Vincent-Henri Peuch. Während dessen zeigen immer häufiger auftretende Wetterextreme, wie lebenswichtig Klimaanpassungs-Dienste schon bald werden. Der September 2019 war global gesehen der heißeste September seit Beginn der weltweiten Wetteraufzeichnungen im Jahr 1880, so die US-Wetterbehörde NOAA.

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