Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

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Artikel

Forensische Archäologie: Detektivarbeit am Kunstobjekt

Es klingt nach einer passa­blen Prämisse für einen Heist-Movie: „Das Zoll­frei­la­ger St. Gott­hard befin­det sich in einem ehema­li­gen Bunker inmit­ten eines Berg­mas­sivs aus Granit. Es verfügt über kugel- und explo­si­ons­si­chere Türen“, rühmt sich der Betrei­ber des großen Lagers in der Schweiz. Solche Zoll­frei­la­ger, in denen Waren unver­steu­ert und unver­zollt (zwischen-)gela­gert werden, sind ebenso intrans­pa­rente wie auch sagen­um­wor­bene Orte. Allein 1,2 Millio­nen Kunst­werke (darun­ter auch NS-Raub­kunst) sollen sich im Genfer Zoll­frei­la­ger befin­den – die Film­künst­le­rin Hito Stey­erl sprach von „Tausen­den Picas­sos“, die dort gebun­kert werden. Geführt wird das Zoll­frei­la­ger seit 2020 passen­der­weise von einer Kunst­his­to­ri­ke­rin und Juris­tin in Perso­nal­union. Denn schon seit länge­rer Zeit gerät der Stand­ort immer wieder in den Fokus der Strafer­mitt­lungs­be­hör­den, die dort in Razzien wieder­holt Raub­kunst sicher­stell­ten. So auch 2014, als italie­ni­sche Cara­bi­nieri in 45 Kisten zehn­tau­sende von geraub­ten archäo­lo­gi­schen Arte­fak­ten größ­ten­teils etrus­ki­scher Prove­ni­enz sicher­stell­ten, die von dem mitt­ler­weile in Ungnade gefal­le­nen Anti­qui­tä­ten­händ­ler Robin Symes offen­bar unter dem Label „Deko­ra­ti­ons­ma­te­rial“ dort einge­la­gert worden waren. 

ZOLL­FREI­LA­GER GENF, IMAGE VIA SRF.​CH

EINBLICKE IN DIE FORENSISCHE ARCHÄOLOGIE

Jener aufse­hen­er­re­gende Fall steht am Anfang von „An Exca­va­tion“ (2022), der neuen Arbeit der irischen Künst­le­rin Maeve Brennan. Drei jener beschlag­nahm­ten Kisten lande­ten schließ­lich bei den foren­si­schen Archäo­log*innen Dr. Chris­tos Tsiro­gi­an­nis und Dr. Vinnie Norskov, die seiner­zeit an der Aarhus Univer­si­tät tätig waren. Eine der entwen­de­ten und soweit wie möglich rekon­stru­ier­ten Vasen zeigt der Film direkt zu Beginn in verschie­de­nen Einstel­lun­gen. Die Kamera tastet sich behut­sam immer näher an das Arte­fakt heran und zeigt deren Bruch­stel­len, während auf der Tonspur sphä­ri­sche Kanun-Klänge ertö­nen. „Ich mochte immer schon Detek­tiv-Geschich­ten", sagt Dr. Chris­tos Tsiro­gi­an­nis, was ihn offen­bar auch in die foren­si­sche Arbeit geführt hat. Gemein­sam mit Dr. Vinni Norskov sortiert er sorg­fäl­tig die einzel­nen Bruch­stü­cke der Arte­fakte, zumeist jahr­tau­send­alte Vasen, die beide nun anschlie­ßend peu à peu rekon­stru­ie­ren und auch andere Beweis­stü­cke wie Pola­ro­ids oder Verpa­ckungs­ma­te­rial auswer­ten.

MAEVE BRENNAN: AN EXCA­VA­TION, 2022, FILM­STILL (C) MAEVE BRENNAN

Die Arbeit von Tsiro­gi­an­nis und Norskov stellt ein wich­ti­ger Baustein im Kampf gegen den ille­ga­len Kunst­raub­markt dar, der, wie man in „An Exca­va­tion” lernt, fester Bestand­teil des Anti­qui­tä­ten­han­dels ist. Während ihrer Arbeit an „The Drift” (2017) – einer Video­ar­beit, in der  Maeve Brennan drei unter­schied­li­che Biogra­fien rundum archäo­lo­gi­sche Arte­fakte, Restau­ra­tion und (Denk­mal-)Pflege im Liba­non mitein­an­der verknüpft - wurde sie vor Ort auf Kunst­räu­ber*innen aufmerk­sam. Diese teil­ten ihr beiläu­fig mit, wo genau die Fund­stü­cke in der Regel landen: größ­ten­teils in Museen in London.

2017 wurde Brennan dann auf Dr. Chris­tos Tsiro­gi­an­nis aufmerk­sam, der in einem aufse­hen­er­re­gen­den Fall gerade zwei grie­chi­sche Vasen auf der Londo­ner Frieze Masters Kunst­messe als Raub­kunst iden­ti­fi­ziert hatte. Seit 2018 arbei­ten beide zusam­men an dem fort­lau­fen­den Projekt „The Goods“, das sich aus dem über 30.000 Bilder umfas­sen­den Archiv des Archäo­lo­gen speist und die gestoh­lene Kunst auf Plakat­wände brachte.

„An Exca­va­tion“ bietet einen faszi­nie­ren­den, sehr eindring­lich gefilm­ten Einblick in die Arbeit der foren­si­schen Archäo­lo­gie. Im Hinter­grund schwingt aber stets die Frage nach Resti­tu­tion und struk­tu­rel­len Proble­men des Kunst­markts im Gesam­ten mit. Auf der von Brennan und Tsiro­gi­an­nis gemein­sam betrie­be­nen Inter­net­seite (illi­ci­t­an­ti­qui­ties.net) kann man dies an ganz konkre­ten Beispie­len nach­voll­zie­hen. Dort lassen sich die verschie­de­nen Handels­wege der ille­gal entwen­de­ten Arte­fakte nach­voll­zie­hen, und wie jene am Ende in Londo­ner oder New Yorker Gale­rien und Museen landen. Ein Kampf gegen Wind­müh­len, wie es scheint. Maeve Brenn­ans Film, der der Form nach an einen doku­men­ta­ri­schen Essay erin­nert, porträ­tiert diesen Kampf ähnlich, wie sich die Arbeit der foren­si­schen Archäo­log*innen auch selbst darstellt: ruhig und einfühl­sam, aber beharr­lich.

MAEVE BRENNAN: AN EXCA­VA­TION, 2022, FILM­STILL (C) MAEVE BRENNAN
MAEVE BRENNAN: AN EXCA­VA­TION, 2022, FILM­STILL (C) MAEVE BRENNAN
SAMIRA MAKHMALBAFS „TAKHTÉ SIAH“

Als weite­ren Film hat sich Maeve Brennan „Takhté siah“ (engl.: Black­boards) der irani­schen Regis­seu­rin Samira Makhmalbaf ausge­sucht. Der 2000 erschie­nen Film, der stre­cken­weise nahezu doku­men­ta­ri­sche Züge annimmt, beglei­tet zwei Wander­leh­rer im Grenz­ge­biet zwischen Irak und Iran zu Zeiten des ersten Golf­kriegs. Beide Männer, die eigent­lich auf der Suche nach Schü­ler*innen sind, denen sie Lesen und Schei­ben beibrin­gen können, tref­fen im Laufe des Films auf kurdi­sche Flücht­linge, denen sie sich auf ihrem beschwer­li­chen Weg in den Iran anschlie­ßen. Die entsetz­li­che histo­ri­sche Reali­tät, vor der „Takhté siah“ sich abspielt – dem Gift­gas­an­griff des iraki­schen Mili­tärs auf die Stadt Halab­dscha, die als Zentrum des kurdi­schen Wider­stands galt, fielen 5000 Menschen zum Opfer – liegt wie ein blei­er­ner Schleier über dem Film.



Samira Makhmalbaf, zum Zeit­punkt der Veröf­fent­li­chung des Films gerade einmal 20 Jahre alt, schrieb das Dreh­buch mit ihrem Vater Mohsen Makhmalbaf, seiner­seits inter­na­tio­nal gefei­er­ter Regis­seur. Der voll­stän­dig in Kurdisch gedrehte und von Laien­dar­stel­ler*innen gespielte Film eröff­net in seiner Erzäh­lung einen bewe­gen­den Einblick in von Flucht und Armut geprägte Leben und entfal­tet im Laufe seiner Spiel­zeit immer wieder philo­so­phisch-poeti­sche Quali­tä­ten.

Sowohl die Arbeit von Samira Makhmalbaf als auch die von Maeve Brennan verwei­sen jedoch auf den Mangel an juris­ti­scher Aufar­bei­tung: Resti­tu­ti­ons­for­de­run­gen aus medi­ter­ra­nen oder ehemals kolo­nia­li­sier­ten Ländern wird, wenn über­haupt, nur zöger­lich nach­ge­ge­ben. Und auf die juris­ti­sche Aufar­bei­tung des Gift­gas­an­schlags unter Saddam Husseins Führung warten die Opfer heute noch vergeb­lich – nicht nur hinsicht­lich der iraki­schen Verant­wort­li­chen, sondern ebenso der euro­päi­schen Firmen, die dem Regime seiner­zeit die tech­ni­schen Voraus­set­zun­gen für die Gift­gas­pro­duk­tion liefer­ten.

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