Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

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Wie soll ich dich nennen?

Philipp Guflers Videoarbeit „Lana Kaiser“ ist eine Hommage an den DSDS-Star Daniel Küblböck, eröffnet aber zugleich einen komplexen Diskurs über den kontroversen Umgang der deutschen Medienlandschaft mit der Darstellung von Queerness als „Otherness“.

Dass in den USA das TV-Format „RuPaul’s Drag Race“ seit 2008 bereits 15 Staf­feln voll­endet hat, während in Deutsch­land homo­se­xu­elle Dating-Shows wie „Prince Char­ming“ (und neuer­dings auch „Prin­cess Char­ming“) erfolg­reich im Fern­se­hen laufen, mag für manche kaum mehr der Erwäh­nung wert. Die offene Reprä­sen­ta­tion von nicht hete­ro­nor­ma­ti­ven Lebens­ent­wür­fen war jedoch die längste Zeit der Film- und TV-Geschichte größ­ten­teils über­haupt nicht vorhan­den oder aber der offe­nen Diffa­mie­rung preis­ge­ge­ben. Aber auch Einbli­cke in jene margi­na­li­sier­ten Räume, wie beispiels­weise Jennie Livings­tons Doku­men­tar­film „Paris is burning“ (1990), in dem sie die queere New Yorker Ball­room-Subkul­tur der 1980er Jahre porträ­tierte, zog neben zahl­rei­chem Lob auch Kritik auf sich: Die ameri­ka­ni­sche femi­nis­ti­sche Schrift­stel­le­rin bell hooks beispiels­weise warf der Regis­seu­rin vor, als weiße, jüdi­sche Mittel­klasse-Lesbe die Rolle einer Voyeu­rin einzu­neh­men, die mit ihrer Arbeit kultu­rel­ler Aneig­nung Vorschub leiste.

Im deut­schen Fern­se­hen, in dem noch weit bis in die 2000er Jahre hinein offene homo­phobe Pöbe­leien gang und gäbe waren (Stich­wort: Stefan Raab), wurde für das Massen­pu­bli­kum wohl 2002 im Format „Deutsch­land sucht den Super­star“ erst­mals ein Gegen­ent­wurf zur Hete­ro­nor­ma­ti­vi­tät deut­lich sicht­bar. Damals, noch unter dem Namen Daniel Küblböck, trat Lana Kaiser (der später selbst gewählte Name) in der ersten Staf­fel der Casting­show an und zog aufgrund des nonkon­for­men, eigen­stän­di­gen Auftritts schnell die Aufmerk­sam­keit des Publi­kums als auch der Medien auf sich. In „Lana Kaiser“ (2020) widmet sich der Künst­ler Phil­ipp Gufler Kaiser nun in einer gut 13-minü­ti­gen Video­ar­beit, die größ­ten­teils aus Archiv­ma­te­rial colla­giert und mit Musik des briti­schen Künst­lers Rory Pilgrim unter­legt ist.

polarisiertes publikum

Lana Kaiser, von den Medien damals schnell als „schrä­ger Vogel“ (Bild-Zeitung) ausge­macht, pola­ri­sierte seiner­zeit das Publi­kum der Casting­show stark. In Guflers Arbeit sind schwer erträg­li­che Ausschnitte zu sehen, in denen das gesamte Publi­kum Kaiser laut­stark ausbuht und Passan­ten ein „Wegsper­ren“ fordern. Zeit­gleich sicher­ten aber auch die sich selbst als „Fani­els“ bezeich­nen­den Fans Woche um Woche den Einzug in die nächste Runde und über­tra­fen sich gegen­sei­tig in Liebes­be­kun­dun­gen.



ich fühle mich nicht männ­lich, ich fühle mich nicht weib­lich, ich fühle mich gut

Lana Kaiser

Kaiser traf einen Nerv: sowohl bei dem Dieter Bohlen- und Stefan Raab-Publi­kum, das das als ulti­ma­tiv Andere iden­ti­fi­zierte Gegen­über nicht ertra­gen, zugleich aber auch den scha­den­freu­di­gen Blick nicht abwen­den wollte. Aber auch bei unzäh­li­gen Fans, die in Kaisers Auftre­ten auch einen persön­li­chen Befrei­ungs­schlag sahen. Unter ihnen auch Phil­ipp Gufler selbst, der als Teen­ager etli­che Konzerte besuchte: „Sie als Teen­ager auf der Bühne beim Konzert zu sehen, machte mir deut­lich, was für einen großen Tribut ihre Sicht­bar­keit und ihre Weige­rung, sich konform zu geben, von Lana forder­ten“. Im Film rezi­tiert Kaiser amüsiert den uner­müd­li­chen gesell­schaft­li­chen Defi­ni­ti­ons­druck: „Daniel, wie soll ich jetzt sagen zu dir: Fräu­lein Daniel, oder Herr Daniel?“.

Daniel, wie soll ich jetzt sagen zu dir: Fräu­lein Daniel, oder Herr Daniel?



Gufler, der neben seiner künst­le­ri­schen Tätig­keit auch Mitglied im Forum quee­res Archiv München ist, beschäf­tigte sich inner­halb seiner multi­me­dia­len Arbei­ten wieder­holt mit nicht-hete­ro­nor­ma­ti­ven und quee­ren Gegen­bil­dern, auch im Rahmen einer kriti­schen Beleuch­tung der vorherr­schen­den Geschichts­schrei­bung. Mit seinen „Quilts“ (seit 2013), einer Serie von mehr als 40 mehr­schich­ti­gen Textil­ar­bei­ten, widmete er sich unter ande­rem bekann­ten Persön­lich­kei­ten, die der AIDS-Pande­mie zum Opfer gefal­len sind. In „Projek­tion auf die Krise. Gauwei­le­reien in München“ (2014/2021) ermög­lichte der Künst­ler einen Rück­blick auf die Anfänge der AIDS-Krise und die bayri­sche Antwort des dama­li­gen Staats­se­kre­tärs Peter Gauwei­ler in den 80er Jahren, die kata­stro­phale Auswir­kun­gen zeitig­ten sowie eine zuneh­mende Diskri­mi­nie­rung vor allem von Homo­se­xu­el­len zur Folge hatte.



Als weite­ren Film hat sich Phil­ipp Gufler den 1984 vom WDR produ­zier­ten Doku­men­tar­film „Nicht Mann, nicht Frau – NUR RABE“ von Konrad Wink­ler und Katja Raga­nelli ausge­sucht. In diesem wird die deut­sche Künst­le­rin Rabe Perple­xum (Manuela Marga­reta Hahn-Paula) porträ­tiert, der auch Gufler schon eine Arbeit in seiner „Quilts“-Reihe sowie den Kurz­film „Beco­m­ing Rabe“ gewid­met hat.

Befrei­ungs­schlag gegen den Konfor­mi­täts­druck der Gesell­schaft

Der Rabe – die Künst­le­rin redete auch von selbst in der drit­ten Person – thema­ti­sierte in Bildern, Instal­la­tio­nen und Perfor­man­ces immer wieder gesell­schaft­li­che Repres­sio­nen und deren Auswir­kung auf die eigene Person. Im Doku­men­tar­film schil­dert der Rabe ganz offen psychi­sche Probleme, Thera­pie­ver­su­che und die Verwand­lung in die Iden­ti­tät des Raben, die für die Künst­le­rin eine Art Befrei­ungs­schlag gegen den Konfor­mi­täts­druck der Gesell­schaft darstellte.



Eindring­lich sind die Schil­de­run­gen des Raben über Einsam­keit und einer grund­le­gen­den Isola­tion von ande­ren Menschen. Auch nahe­ste­hende Freunde und Verwandte konn­ten sie offen­bar nicht als Person in ihrer Gesamt­heit erfas­sen. „Alles um mich herum,“ sagt die Künst­le­rin, „war nur inter­es­siert an meinen Funk­tio­nen.“ Und auch Lana Kaiser berich­tet in den Ausschnit­ten in Guflers Arbeit von einer ähnli­chen Disso­zia­tion: „Ich hab‘ mich auf jeden Fall wie ein Spiel­ball geführt. Ich hatte auch wirk­lich das Gefühl, dass ich in den Medien eigent­lich kein Mensch mehr sein darf. […] Ich hatte das Gefühl, ich bin eine Ware, die präsen­tiert wird, ohne Rück­sicht auf Verluste.“ Sowohl den Raben als auch Lana Kaiser eint die trau­rige Gemein­sam­keit eines frühen Todes: die Münche­ner Künst­le­rin beging 1996 im Alter von 39 Jahren Selbst­mord, während Kaiser 2018, unter nicht geklär­ten Umstän­den, während einer Kreuz­fahrt über Bord ging.