Karaoke mit 80s-Synth der melancholischen Spielart, ein Ausflug in die 70er Jahre & hernach in den giftigen Berglorbeerhain: Mitskis lang erwartetes "Laurel Hell" ist ein Pop-Album jenseits dessen simpler Diatonik. Dazu Texte mit Indiestar-Biz auf der Meta-Ebene.
Gerade eine Handvoll Leute hatten sich 2016 zur ersten Deutschlandtour von Mitski in Frankfurt eingefunden, um ihrem energischen Set zu lauschen – und staunten gemeinsam darüber, dass das hier offenbar kaum jemand hören wollte. Sechs Jahre später nun ist die angekündigte Tour bereits vor Veröffentlichung des zugehörigen Albums ausverkauft, und Mitskis Texte bedeuten Etlichen so viel, dass die sich jene auf den Leib tätowieren lassen und online stolz präsentieren. Was war in der Zwischenzeit passiert? 2018 hatte die japanisch-amerikanische Musikerin mit „Be The Cowboy“ einen regelrechten Kritiker- wie Fan- Liebling hingelegt und war zu einer kleinen TikTok-Sensation avanciert. Schon 2019 aber dann die Verkündung: keine weiteren Konzerte mehr. Es folgten Fan-Aufschreie und Beschwichtigungen, tatsächlich hatte die Musikerin mit dem aufkommenden Erfolg gehadert und wollte gänzlich hinwerfen.
Gerade eine Handvoll Leute hatten sich 2016 zur ersten Deutschlandtour von Mitski in Frankfurt eingefunden, um ihrem energischen Set zu lauschen – und staunten gemeinsam darüber, dass das hier offenbar kaum jemand hören wollte. Sechs Jahre später nun ist die angekündigte Tour bereits vor Veröffentlichung des zugehörigen Albums ausverkauft, und Mitskis Texte bedeuten Etlichen so viel, dass die sich jene auf den Leib tätowieren lassen und online stolz präsentieren. Was war in der Zwischenzeit passiert? 2018 hatte die japanisch-amerikanische Musikerin mit „Be The Cowboy“ einen regelrechten Kritiker- wie Fan- Liebling hingelegt und war zu einer kleinen TikTok-Sensation avanciert. Schon 2019 aber dann die Verkündung: keine weiteren Konzerte mehr. Es folgten Fan-Aufschreie und Beschwichtigungen, tatsächlich hatte die Musikerin mit dem aufkommenden Erfolg gehadert und wollte gänzlich hinwerfen.
Drei Jahre später erscheint aber nun doch das nächste, mittlerweile sechste Studioalbum „Laurel Hell“ (die Songs hatte Mitski bereits 2018 geschrieben, als sich Zweifel über die eigene Karriere einzuschleichen begannen). Die vorab veröffentlichten Singles ließen schon erahnen, dass sie sich vom Indie-Pop des Vorgängers verabschiedet und auf in Richtung 80er Jahre gemacht hatte – mitsamt ihren unpolierten Synthesizer-Sounds und Gated reverb. Die Produktion der kurzen Platte ist zweifellos an jener Ära ausgerichtet, verliert sich aber nie völlig in Nostalgie. „Valentine, Texas“ beginnt so mit einer einsamen Bass-Synth-Line, zu dem die Sängerin in einen merkwürdig leblosen Hall gehüllt „Let's step carefully into the dark” singt. Dann explodiert das spärliche Arrangement in eine Art trauriges Varietéstück: „I'll show you who my sweetheart's never met“. Hinein also in die Untiefen des Innern, die nicht einmal ihre Liebsten kennen.
Noch nie hat sich Mitski gänzlich an die simple diatonische Harmonik gerade der aktuellen Pop-Musik gehalten oder ihre Songs dem typischen Vers-Strophe-Prinzip unterworfen, und auch „Laurel Hell“ bildet keine Ausnahme. Das hypnotische „There’s Nothing Left Here for You“ tanzt spielerisch um ein allzu eindeutig tonales Zentrum herum, „Everything“ beschwört in seinem minimalistischen Arrangement eine melancholische Spielart früher Synth-New-Wave-Bands herauf. Mit „Heat Lightning“ geht es dann noch weiter zurück, klingen doch Parallelen an Velvet Undergrounds “Venus in Furs” an – und auch die Schlaflosigkeit tauchte seinerzeit ja in Lou Reeds masochistischen Träumen wie nun hier wieder auf, wenn die Musikerin ihre Schlaflosigkeit evozierenden Dämonen ansingt.
Gleichzeitig, und das ist kein Widerspruch, war Mitski selten so dancey wie hier: seien es der makellose Pop in „The Only Heartbreaker“ (der an einen ausgesprochen catchy, kess am Kitsch vorbeischrammenden Karaoke-Hit erinnert) oder die Motown/Disco-Anleihen in „Should’ve Been Me“ (samt Abbas „Dancing Queen“-Piano).
Während man das Album leicht als reflektiertes Beziehungsalbum hören kann, in dem sich das erzählerische Ich bitteren Wahrheiten stellt (von der Einsicht über eigene Unzulänglichkeiten bis zur Unmöglichkeit emotionaler Hingabe), bietet sich hier noch eine ganz andere Deutung an: die Interpretation ihrer Songs als trauriger Liebesreigen sei doch etwas banal, bemerkte die Sängerin in früheren Interviews, vielmehr gehe es oft um das Verhältnis zur Musik selbst. Und auf „Laurel Hell“ nun wohl auch um die Beziehung zum Indiestar-Alter-Ego, zu Publikum und Branche – nicht zuletzt die Angst davor, hinter einem Kunstcharakter, den die Musikerin simultan natürlich selbst kultiviert, verloren zu gehen.
Schon der Albumtitel transportiert jenen Zwiespalt: “Laurel Hells” bezeichnen die Einheimischen in den Appalachen dicht bewachsene Berglorbeer-Areale. Die Pflanze selbst erstrahlt vollständig erblüht in wunderschöner Pracht. Verirrt man sich jedoch einmal in ein solches Dickicht, ist aus dem unüberschaubaren Labyrinth bisweilen kein Entrinnen mehr: etliche Menschen seien dort schon spurlos verschwunden, heißt es. Hochtoxisch sind jene Lorbeeren obendrein. Und so ist die Platte, eingerahmt durch die geltungssüchtige Forderung in „Love Me More“ und der ernüchterten Reflexion in „I Guess“, ein kreativer wie narrativer Befreiungsversuch geworden, introspektiv in einem Moment und frenetisch im nächsten. Ein Tanz auf Messers Schneide, oder wie es etwas kryptisch in „Working for the Knife“ heißt: „I used to think I'd be done by twenty / Now at twenty-nine, the road ahead appears the same […] I start the day lying and end with the truth / That I'm dying for the knife”.
[Dies ist die Originalfassung.]