Eine Sinnsuche in der sich stetig selbst reflektierenden, post-aufgeklärten Welt: Sufjan Stevens und Angelo De Augustine haben sich für ein Album zusammengefunden.
Mittlerweile insgesamt zwölf Studioalben, etliche EPs, Soundtracks und Mixtapes umfasst das Oeuvre von Sufjan Stevens, das auch immer wieder von der Lust an kruden Querverbindungen erzählt. So findet man hier Platten, die sich vordergründig mit chinesischen Sternzeichen („Enjoy Your Rabbit“), amerikanischen Bundesstaaten („Michigan“, „Illinois“), einer Stadtautobahn in New York („The BQE“) oder gleich dem gesamten Sonnensystem („Planetarium“) beschäftigten, hintergründig aber an Gott, Tod, Verzweiflung und Liebe abarbeiten.
Nur passend, dass man jüngst auf seinem Blog auch Bilder der 1975 von Brian Eno und Peter Schmidt veröffentlichten „Oblique Strategies“ sehen konnte: ein Kartenset, das Kunstschaffenden, insbesondere im Bereich der Musik, mittels unerwarteter Assoziationen und Aphorismen dabei helfen sollte, den kreativen Horizont durch laterales Denken zu erweitern. Nun folgt mit „A Beginner’s Mind“ das nächste Werk, das schon im Albumtitel auf das zen-buddhistische Konzept des Shoshin verweist: die Haltung eines „Anfänger-Geistes“; alles so zu betrachten wie beim ersten Mal, ohne Vorurteile und Expertenwissen.
Fans werden beim ersten Song „Reach Out“ vermutlich erleichtert aufatmen: Engelsgleich erklingen dort zart gezupfte Saiteninstrumente, gesellen sich sanft gehauchte Stimmen dazu und nicht etwa Electro-Beat-Gewitter wie zuletzt auf „The Ascension“. Classic Sufjan also, dieses Mal in Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Singer-Songwriter Angelo De Augustine.
Während der Zusammenarbeit zwischen De Augustine und Stevens stellte sich rasch ein gewisser Rhythmus ein: Tagsüber komponieren, nachts Filme schauen. Als jene thematisch immer stärker in die neuen Stücke überschwappten, machte das Duo sich den Filmbezug ganz bewusst zur Vorgabe. 14 Songs sind es geworden, ein jeder bezieht sich mehr oder weniger explizit auf einen Film. Neben „She’s Gotta Have It“ oder „Alles über Eva“ tauchen diverse US-Horrorstreifen auf – von „Hellraiser III“ bis zu „Night of the Living Dead“.
Musikalisch bewegt sich „A Beginner’s Mind“ oft in Sphären, für die Stevens bekannt wurde - akustische Instrumentierung, sanft gehauchtes Falsett (Stevens und De Angelo Stimmfärbung ähnelt sich so sehr, dass man sie im Harmoniegesang bisweilen kaum auseinanderhalten kann), folkige Songstrukturen. Mit Stücken wie „Back to Oz“ oder „Lady Mcbeth in Chains“ kann man aber auch spielfreudigere, entspannte Pop-Stücke hören, wie man sie so kaum von den Musikern kennt.
Textlich geht es indes ans Eingemachte. In „Cimmerian Shade“ fleht Buffalo Bill, der Mörder aus „Das Schweigen der Lämmer“, den Regisseur an: „I just want you to love me […] Fix it all, Jonathan Demme“. Die Texte erzählen von gebrochenen Leibern, zerrütteten Seelen, verzweifelten Antagonisten: “Give me a name, more than a flame” heißt es im apokalyptischen “You Give Death a Bad Name”, “Lord, why must this life be so cruel / And shadowed in the gloom?” im bewegenden “Lacrimae”.
Dabei gelingt es Stevens und De Angelo, sich größtenteils von der oblique strategy, dem selbstgewählten Korsett wieder zu lösen – die Film-Querverweise bleiben glücklicher Weise moderat und existenzielle Fragen nach Sinn, Sühne, Tod und Erlösung nur lose an die Quellen der Inspiration angedockt. So ist „A Beginner’s Mind“ in seiner nachdenklichen Sensibilität vielleicht ganz nebenbei dann doch wieder ein zeitpolitisches Werk geworden, das oft einer Sinnsuche in der sich stetig selbst reflektierenden, post-aufgeklärten Welt gleicht.
(Gekürzte Fassung in der taz)
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