Daniel Urban

Wort & Ton, Frankfurt am Main

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Heiliger Ernst und süffisante Skepsis: Der Lüscher-Farben-Test

In der SCHIRN-Rotunde kann sich der geneigte Zeitgenosse noch bis Ende August einer „Farbreinigung“ unterziehen. Der vermeintlichen oder tatsächlichen Wirkweise von Farben haben sich in der Vergangenheit immer wieder Künstler und Forscher gewidmet.

Von Daniel Urban

„Ist zur Zeit einer derart aufrei­ben­den Situa­tion ausge­setzt, daß [sic!] sie als quälend und zermür­bend empfun­den wird. Hält die Anfor­de­run­gen für unzu­mut­bar oder für eine aggres­sive Provo­ka­tion [...] Sehnt sich nach konflikt­lo­ser, erhol­sa­mer Behag­lich­keit und nach scho­nungs­vol­ler Rück­sicht­nahme." Was wie die Aussage eines nicht allzu plum­pen Horo­skops, der Beur­tei­lung einer psycho­lo­gisch geschul­ten Klas­sen­leh­re­rin oder das Ergeb­nis einer Gesprächs­the­ra­pie klingt, ist tatsäch­lich das Ergeb­nis „1243" des Farben-Tests von Prof. Dr. Max Lüscher in der Kate­go­rie: Wie ich auf Anfor­de­run­gen reagiere.

Dass unser Verhält­nis zu Farben und unsere Neigung respek­tive Abnei­gung zu bestimm­ten Farb­kom­bi­na­tio­nen oder -schat­tie­run­gen etwas über uns aussagt, ist eine weit verbrei­tete Annahme und seit Deka­den auch in der Typen­be­ra­tung und Verkaufs­psy­cho­lo­gie eine gerne argu­men­tierte Behaup­tung. Schon in der Antike ordnete der Arzt und Anatom Galen von Perga­mon in der Vier-Säfte-Lehre Farben bestimm­ten Körper­flüs­sig­kei­ten wie Galle, Blut und Schleim zu und verknüpfte diese im Folgen­den mit Charak­ter­ei­gen­schaf­ten wie Heiter­keit, Kühn- oder Unsi­cher­heit. Später spiel­ten Farben gerade auch in der Psycho­lo­gie immer wieder eine gewich­tige Rolle, so exem­pla­risch in der Traum­deu­tung des Psycho­ana­ly­ti­kers Sigmund Freud, der sie bestimm­ten emotio­na­len Zustän­den zuschrieb. So bezog sich dann auch Profes­sor Dr. Max Lüscher, 1923 in Basel gebo­ren, in seinem erst­mals 1947 veröf­fent­lich­ten Farb­en­test auf psycho­lo­gi­sche Grund­struk­tu­ren, die wiederum der Begrün­der der analy­ti­schen Psycho­lo­gie, Carl Gustav Jung, bei seiner Behand­lung von Pati­en­ten ausge­macht hatte.

Dunkel­blau steht für Sympa­thie, Blau­grün reprä­sen­tiert Selbst­ver­trauen

Beim Lüscher-Farb­test legt man Karten mit bestimm­ten Farben bzw. Farb­schat­tie­run­gen nach persön­li­cher Präfe­renz: Links die Lieb­lings­karte, in abstei­gen­der Reihen­folge bis hin zur Karte außen rechts, die spon­tan am wenigs­ten gefällt. Im Anschluss werden die Farb­ta­feln umge­dreht und die auf den Rück­sei­ten abge­druck­ten Zahlen notiert. Die Zahlen­kom­bi­na­tio­nen, die sich so erge­ben, können dann im beilie­gen­den Buch nach­ge­schla­gen werden, denn jeder mögli­chen Zahlen­reihe ist ein klei­ner Gutach­ten­text zuge­ord­net.

Max Lüscher ordnet den Farben verschie­dene Charak­te­ri­sie­run­gen zu: Dunkel­blau steht für Sympa­thie, Blau­grün reprä­sen­tiert Selbst­ver­trauen, Braun gleich Nest­ge­fühl, Violett entspricht der Infan­ti­li­tät. Diese Zuschrei­bun­gen beru­hen zum Teil auf eige­nen Unter­su­chun­gen hinsicht­lich der Auswir­kun­gen von Farben (beispiels­weise Anstieg der Atmung sowie des Herz­schlags bei länge­rer Betrach­tung der rot-oran­gen Farbe), als auch auf anthro­po­lo­gisch-histo­ri­schen Annah­men wie jener, dass die Farbe „Dunkel­blau" den Nacht­him­mel reprä­sen­tiert und somit Ruhe und Passi­vi­tät vermit­tele.

Den Farb­test gibt es in verschie­de­nen Vari­an­ten: mit acht bis 16 Karten für den Haus­ge­brauch und mit bis zu 73 Farb­fel­dern in der klini­schen Test-Vari­ante. Die Ergeb­nisse sollen hier­bei nicht als mani­feste Aussage über den Teil­neh­mer verstan­den werden, viel­mehr immer den je aktu­el­len emotio­na­len Zustand fassen. Den Test selbst hat Lüscher immer wieder aktua­li­siert und an bestimmte Kontexte ange­passt, so z.B. in „Die Farben der Liebe", einem spezi­el­len Test zur Analyse eroti­schen Verhal­tens. So wird der Test in seinen verschie­de­nen Varia­tio­nen heute in Arzt­pra­xen, bei homöo­pa­thi­schen Behand­lun­gen, in der Psych­ia­trie wie auch bei der Beur­tei­lung von Bewer­bern in den soge­nann­ten Assess­ment Centern einge­setzt.

Radi­ka­ler Anhän­ger, inter­es­sier­ter Skep­ti­ker oder ableh­nen­der Kriti­ker

Der Lüscher Farb­test war Gegen­stand einer ganzen Reihe von Kontro­ver­sen und Unter­su­chun­gen, gerade an Psycho­lo­gi­schen Fakul­tä­ten. Einig sind sich Kriti­ker wie Befür­wor­ter in der Tatsa­che, dass der jewei­lige emotio­nale Zustand bestimmt, wie man auf bestimmte Farbein­drü­cke reagiert. Der Folge­schluss jedoch, dass hier­aus auch Aussa­gen über mentale Zustände selbst zu tref­fen sind, gilt vielen als nicht beleg­bar. In Versuchs­rei­hen glaub­ten Kriti­ker so beispiels­weise den soge­nann­ten Barnum-Effekt ausge­macht zu haben: Dieser beschreibt die Tendenz von Perso­nen, vage und allge­mein­gül­tige Aussa­gen über sich als sehr indi­vi­du­ell tref­fend zu empfin­den.

Wie man persön­lich nun auch zu dem Test stehen mag -- ob radi­ka­ler Anhän­ger, inter­es­sier­ter Skep­ti­ker oder ableh­nen­der Kriti­ker -- Farben schei­nen einen unmit­tel­ba­ren Einfluss auf unsere Empfin­dung zu haben. Ob dies jedoch mehr als nur eine ästhe­tisch moti­vierte Reak­tion, vergleich­bar der beim Musik hören, ist, oder sich hier­aus tatsäch­lich Schlüsse auf die eigene Menta­li­tät oder gar auf die psychi­sche Gesund­heit ziehen lassen, bleibt offen. Mit heili­gem Ernst oder süffi­san­ter Skep­sis: Den Lüscher-Farb­test - wie auch Buet­tis „Farbrei­ni­gung" - kann man ganz unab­hän­gig vom wissen­schaft­li­chen Funda­ment selbst erle­ben und sich so seinen ganz eige­nen Reim auf die Verknüp­fung von Wahr­neh­mung, Ästhe­tik und Emotio­nen machen.


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