Ein junger Mann sitzt im Warteraum einer Entbindungsstation, ein Stück Torte in der Hand. Er macht seiner Freundin einen Heiratsantrag und übernimmt damit gleich netterweise ihre Schwangerschaft. Es geht in den Kreißsaal. Kurz vor der Entbindung heiratet sie jedoch den Geburtshelfer, mit dem zusammen sie den jungen Mann gut gelaunt in Stücke schneidet und als Hochzeitskuchen verspeist. So ließe sich das Musikvideo zum Stück mit James Blake & Mount Kimbie zusammenfassen. Surreale dreieinhalb Minuten, ein Alptraum, der sich so tief einbrennt wie das Lied selbst.
Der Song findet sich auf dem neuen Album Tyron von Slowthai, der Musiker selbst spielt im Video das Opfer der kannibalischen Feier. Eigentlich heißt er Tyron Kaymone Frampton, ist 25 Jahre alt und gilt als vielversprechender Vertreter des Grime, diesem Kind von Dubstep und UK Garage. Seit seinem Debütalbum Nothing Great About Britain, das 2019 erschien, wird Slowthai von der Kritik gefeiert: Er sei ein scharfer Beobachter und charismatischer Geschichtenerzähler, brutal ehrlich und ungemein witzig zugleich. Er ehre das musikalische Erbe britischer Popkultur. Oszillierend zwischen Arbeiterklassenromantik und chronischer Brexit-Migräne etabliere er sich mit seiner scharfzüngigen Gegenwartslyrik als Stimme einer Generation.
Frampton wird kurz vor Weihnachten 1994 geboren, da ist seine Mutter gerade mal 16. Sie bekommt noch zwei weitere Kinder, ist meist alleinerziehend, Ersatzväter kommen und gehen. Seine Kindheit und Jugend verlebt Frampton im ausgewaschenen Grau Northamptons, knapp zwei Autostunden nördlich von London. Gefangen zwischen entmutigten Working-Class-Kids und industriestädtischer Trostlosigkeit flieht er in den Drogenrausch. Xanax, gegen die Depressionen und Suizidgedanken.
Musik ist seine Ablenkung. Er beginnt, erste Texte zu schreiben und Songs aufzunehmen. Wegen seiner behäbigen Sprechweise wurde er schon als Kind "Slow Ty" genannt, zum Künstlernamen ist es da nicht weit. 2016 erste Songs als Slowthai auf Soundcloud, dann ein Plattenvertrag und zum ersten Mal ein natürliches Glücksgefühl. "Seitdem weiß ich, dass ich diese ganzen Scheißdrogen nicht mehr brauche", sagt Slowthai im Videointerview. Er sitzt in seinem Studio, das er sich im Keller seiner Mutter eingerichtet hat, bei der er immer noch wohnt. Nebenan betreibt sie ihren Make-up-Salon.
Mittlerweile rauche er ab und zu zwar noch einen Joint, erzählt er weiter. Aber nur zur Entspannung - und dann grinst er schelmisch. Von allen anderen Drogen lasse er die Finger, beteuert er. Denn eine Sache habe er über die Jahre schmerzhaft gelernt: "Alles, was du missbrauchst, missbraucht dich zurück."
Die Erwartungen an sein zweites Album waren hoch, Frampton wusste sich jedoch von dem Druck zu befreien. Anstatt lediglich die Erfolgsformel seines Debüts zu kopieren, wechselt er nun die Perspektive. Ging es auf Nothing Great About Britain noch vornehmlich um die wütende Spiegelung der äußeren Verhältnisse seines Heimatlandes, beschreibt er auf Tyron nun sein eigenes Innenleben.