Daniel Hinz

Freier Journalist & Reporter, Berlin

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Hitzefrei?

Die Bilder aus Portugal, Spanien und Südfrankreich sehen aus wie aus Apokalypsefilmen - sogar in Brandenburg brennt es lichterloh. Die taz titelte am 20. Juli, dem bisher heißesten Tag des Jahres: " Das ist der Sommer, vor dem uns unsere Kinder immer gewarnt haben." Neue Hitzerekorde werden gemeldet: in sechs von 16 Bundesländern. In diesem Sommer ist die Klimakrise für jeden sicht- und spürbar - und bei vielen bis ins Schlafzimmer gekrochen.

Da fragt man sich: Wo sind eigentlich Fridays for Future (FFF)? Sind sie im Urlaub? Haben sie Hitzefrei? 


Die Bewegung scheint resigniert, fast nicht mehr auffindbar. Am vergangenen Freitag, dem 22. Juli 2022, fanden in ganz Deutschland laut der FFF-Website gerade einmal fünf Demonstrationen statt. Dabei wäre jetzt doch der Moment, auf die Straße zu gehen.

Denn es sind ja genau diese "Kinder", vor allem junge Erwachsene, die vor den Folgen der Klimakrise gewarnt haben und deshalb die Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und des 1,5-Grad-Ziels fordern. Ganz verstummt ist die Bewegung zwar seit ihrer Gründung 2018 nie, doch vieles war Politiker:innen wichtiger: die Pandemie, der Krieg in Europa. Die Aufmerksamkeit für die Klimakrise verblasste, schien weit weg und FFF gelang es nicht, sie wiederzubekommen. 


Die glorreichen Zeiten, in denen Millionen Menschen in Deutschland in mehr als 220 Orten auf die Straße gingen und für die Einhaltung der Klimaziele demonstrierten, schienen weit weg. Nun kündigte FFF einen globalen Klimastreik mitten im Klimachaos an - für Ende September. Doch ist es dann nicht längst zu spät? Und reicht diese Form des Protests noch?


Es wirkt, als habe die Pandemie die Bewegung ausgebremst. Viele Aktivist:innen scheinen erschöpft, activism-burnout. Wer kann ihnen das verübeln? Andere sind fürs Studium oder die Ausbildung in neue Städte gezogen und schreiben jetzt Hausarbeiten, statt die nächste Aktion zu organisieren. Die bundesweite Klimamobilisierung wirkt wie eingeschlafen. In der Protestforschung weiß man, wenn Euphoriewellen einmal gebrochen sind, geht es danach nur schwer voran. So wie viele ihrer Mitglieder in den vergangenen Jahren erwachsen wurden, muss die Bewegung mitwachsen.


Keine Frage: Erfolge gab und gibt es. Vertraulich traf sich beispielsweise Luisa Neubauer bilateral mit Wirtschafts- und Finanzbossen, erst im Juni mit Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Geplant haben die Aktivist:innen in den kommenden Monaten neben dem globalen Klimastreik im September wieder Schul- und Unistreiks. Aber jetzt mal ehrlich: Wen im Bundestag und in der Gesellschaft interessiert es, ob in der "Einführung in die vergleichende Politikwissenschaft" 13 Powi-Studierende fehlen? Oder Schüler:innen nach der Schule ihrer Streikroutine nachgehen? Was früher noch Aufmerksamkeit erzeugt hat, funktioniert in heutigen Krisenzeiten nicht mehr.


Die radikale Gruppe Letzte Generation versucht, krasser zu sein: Aktivist:innen gehen in den Hungerstreik oder kleben sich auf die Straße, um Autobahnauffahrten und Straßen lahmzulegen. Wissenschaftler:innen und die Letzte Generation sagen, dass fast keine Zeit mehr sei, wir die letzte Generation seien, die noch etwas gegen die Klimakatastrophe tun können. Deshalb das Lahmlegen, die Inkaufnahme von Strafbefehlen. Dafür werden sie von vielen kritisiert. Natürlich muss FFF keine Straftaten begehen, denn auch so haben sie damals etwas Radikales gemacht: die Schule geschwänzt.


Jetzt müssen sie umdenken und einen neuen klugen Weg des Protestes finden, der für Aufmerksamkeit in all den Krisen unserer Zeit sorgt. Sie sind geprägt von Corona, gebrochenen Versprechen, und enttäuscht von der Politik. Doch das müssen sie überwinden, damit die Bewegung zu alter Stärke zurückfinden kann. Denn eine Bewegung mit so viel wissenschaftlich-gesellschaftlichem Konsens, Sympathievorschuss und Mobilisierungskraft gab es lange nicht mehr - oder vielleicht noch nie. Das müssen FFF nutzen. Sie müssen aus ihrem Wachkoma erwachen. Jetzt wäre der richtige Moment.

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