Daniel Hinz

Freier Journalist & Reporter, Berlin

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Artikel

Wir sind noch hier

Um 4 Uhr früh weckten mich die Explosionen. Explosionen! In Kiew! Ich konnte es erst mal nicht glauben, habe die Nachrichten eingeschaltet. Und sah: Friedliche Städte im ganzen Land werden bombardiert. Am Abend zuvor hatte ich mich noch normal schlafen gelegt, ich wollte morgens wieder zu meiner Arbeit, als Social-Media-Managerin bei einer Marketingfirma. Doch stattdessen wurde mir klar: Ich muss wieder fliehen. Schon 2014 haben wir, meine Familie und meine Freunde, unsere Koffer gepackt und sind aus unserer Heimatstadt Luhansk geflohen. Diejenigen, die nicht gehen konnten, blieben unter Beschuss. Die Geschichte wiederholt sich jetzt, und in diesem Moment, als ich den Fernseher eingeschaltet hatte, konnte ich nicht mehr: Ich fiel zu Boden und weinte. Doch ich wusste auch, dass ich hier in meiner Hochhauswohnung nicht sicher bin. Deshalb packte ich schnell meine Taschen, Dokumente, Wasser, notwendige Dinge. Mein Freund holte mich zu Hause ab, da ich nicht allein gehen konnte. Wir fuhren zu einer Bar, wo ich früher gearbeitet habe, dort ist es sicherer, es gibt einen Luftschutzkeller in der Nähe. Es ist ein Albtraum. Ich appelliere an alle: Es ist Krieg mitten in Europa, bitte schweigt nicht! Viele Zivilisten könnten umkommen. Russland bringt uns um! Eleonora, 27 Jahre, Kiew

Es muss aufhören

Ich wurde vom Klingeln meines Handys geweckt: „Charkiw wird bombardiert", sagte der Anrufer. Im gleichen Moment hörte ich auch hier in Kiew Explosionen und Beschüsse. Draußen, circa eine halbe Stunde entfernt von der Innenstadt, wo ich lebe. Ich befinde mich noch zu Hause und denke darüber nach, was ich als Nächstes tun werde. Entweder verschwinde ich in einem Bunker, oder ich schließe mich der ukrainischen Armee an und greife zur Waffe. Ich arbeite hier als Ingenieur. Ich will mein Zuhause nicht aufgeben und den Russen nicht mein Land überlassen. Putin denkt, er sei ein Imperator. Ich träume seit Langem davon, dass er stirbt, denn dann würde das alles aufhören. Um meine Verwandten habe ich Angst, sie leben zwischen der Krim und dem Donbass. Sie überlegen auch zu fliehen. Eins ist sicher: So einfach geben wir uns nicht geschlagen. Nikita, 25 Jahre, Kiew

Die Leute sind nervös

Um 5 Uhr erklärte Putin der Ukraine den Krieg, um 5.20 Uhr wurden wir in Odessa mit Raketen attackiert. Seitdem fliegen jede Stunde russische Raketen auf unsere ukrainischen Basen, riesige Staubwolken bilden sich. Und auch zivile Ziele werden angegriffen, Zivilisten werden getroffen. Im Prinzip herrscht keine große Panik, aber die Leute sind nervös. Viele fragen in Chats nach, wo sie helfen können, oder spenden Blut für das Militärkrankenhaus. Denn es gibt jetzt bereits Tote und Verletzte. Manche Banken haben geschlossen, es bilden sich lange Schlangen vor Tankstellen und Bankautomaten. Ich bin Abgeordneter der Partei der europäischen Solidarität und lebe hier in Odessa, habe aber auch Kontakt in andere Städte, nach Charkiw und Cherson. Da toben unerbittliche Kämpfe. Artilleriebeschuss. Es gibt allerdings auch viel Desinformation aus Russland: angebliche Fallschirmjäger über Odessa. Fakt ist: Viele Männer in Odessa schließen sich den territorialen Verteidigungskräften an. Ich hoffe, dass ich noch lange von hier berichten kann. So lange, bis die Verbindung zusammenbricht. Serhii Sizonenko, 31 Jahre, Odessa

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