„Unreal weit entfernt": Vor dem botanischen Garten der Universität Heidelberg trauern Studierende.
Nach dem Amoklauf in Heidelberg ist zurzeit noch vieles unklar, doch die Studierenden sehnen sich nach Normalität. Metalldetektoren, wie sie an Eingängen zu amerikanischen Schulen stehen, wollen sie hier nicht haben.
Am Tag der Tat steigt Nikolai G. um circa zwölf Uhr in ein Taxi. Seine Waffen, versteckt in einer Sporttasche, legt er in den Kofferraum. Kurz vor halb eins schickt er mit seinem Handy eine letzte Nachricht an seinen Vater. Er öffnet den Reißverschluss, holt die Waffen heraus, steigt fünf Treppenstufen hoch ins Gebäude Nummer 360, marschiert in den Hörsaal im Erdgeschoss, in dem gerade ein Tutorium stattfindet. Und schießt. Und schießt. Und schießt. Und schießt. Die Kugeln treffen vier Studierende, 19 bis 23 Jahre alt. Einen Mann, drei Frauen. G. verlässt den Saal, richtet seine Waffen im Gang auf zwei Männer, die noch rechtzeitig fliehen können. Draußen vor dem Gebäude gibt er einen letzten Schuss ab - gegen sich selbst.
Mittwoch, 48 Stunden danach, gleicher Ort. Neben dem Aufgang des Centre for Organismal Studies liegt ein großer Blumenstrauß. Blick durch die Fenster am Nordflügel in die Labore, dort huschen Studierende und Mitarbeiter vorbei, sie forschen, arbeiten, studieren. Der Campus Neuenheimer Feld bringt Studierende der naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammen. Vor dem Institut für Physik steht eine Gruppe von vier jungen Leuten, sie sind zum Lernen verabredet. Eine junge Frau klemmt ihr Notizheft zwischen Unterarm und Brust, blickt zu dem Meer aus rot-weiß leuchtenden Kerzen und sagt: „Der Amoklauf ist für mich unreal weit entfernt, obwohl er hier passiert ist."