Daniel Hautmann

Journalist (Technik, Energie, Umwelt), Hamburg

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Floating Wind vor Durchbruch: Schwimmende Windkraft im Gigawattbereich

Als vor fast 30 Jahren in Dänemark die ersten Windräder im Meer gebaut wurden, nahm kaum jemand die Technologie ernst. Heute stehen Tausende Offshore-Windräder in den Weltmeeren, und die Technologie spielt eine Hauptrolle im Kampf gegen die Klimakrise. Mit schwimmenden Windrädern, im Fachjargon Floating Wind genannt, könnte sich die Entwicklung wiederholen. Noch gibt es nur wenige solcher Anlagen, und die meisten davon sind Pilotprojekte. Doch schon bis zum Ende des Jahrzehnts könnten laut dem Global Offshore Wind Report" weltweit schwimmende Windräder mit zusammen 6,2 Gigawatt gebaut werden. Zum Vergleich: Das ist mehr als das Dreifache der Kapazität der gesamten dänischen Offshore-Windkraft. Und langfristig trauen Experten Floating Wind sogar zu, die herkömmliche Offshore-Windenergie zu überholen.


Der Grund für das enorme Potenzial ist simpel: Rund 80 Prozent der weltweiten Windressourcen liegen über Gewässern, die mindestens 60 Meter tief sind - und damit für Gründungen auf dem Meeresboden unwirtschaftlich. Über kurz oder lang bleibt der Branche also gar nichts anderes übrig, als schwimmende Windräder einzusetzen.


Europa ist führend bei den meisten bisher in der Schwimmwindkraft verwendeten Technologien. Kein Wunder, die Bedingungen rund um Europa sind ausgezeichnet, sagt Kimon Argyriadis vom Beratungsunternehmen DNV GL: „Europas Westküste und das Mittelmeer sind tiefe Gewässer, mit guten Windbedingungen, nahe an großen Verbrauchern." Zudem sei Europa schon bei der bodenbasierten Offshore-Windkraft der Technologietreiber gewesen - das Geschäft mit den schwimmenden Maschinen wolle man sich nicht nehmen lassen, so der Experte gegenüber EnergieWinde.


Vor Portugal schwimmt ein Park mit imposanten 8,4-Megawatt-Turbinen

Seit rund zehn Jahren werden Windturbinen auf schwimmenden Fundamenten getestet. Zum Einsatz kommen zahlreiche verschiedene Varianten. Aktuell gibt es weltweit rund 50 Projekte - von der kleinen Testanlage mit wenigen Kilowatt über erste Parks mit bis zu 8,4 Megawatt starken Riesenrädern vor der Küste Portugals.


Die Windkraftanlagen, die auf die Schwimmer gesetzt werden, unterscheiden sich nur minimal von Maschinen, die an Land oder offshore eingesetzt werden. Meist wird lediglich die Anlagensteuerung modifiziert. Besonderes Augenmerk legen die Ingenieure allerdings auf die Türme. „Wegen des Bewegungsfreiheitsgrades eines schwimmenden Systems muss die andersartige Dynamik des Gesamtsystems im Designprozess berücksichtigt werden", sagt Mareike Leimeister, Spezialistin für Floating Wind beim Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme in Bremerhaven, im Gespräch mit EnergieWinde.


Die Entwicklung der schwimmenden Fundamente, Verankerungen und Verkabelungen ist noch in nicht abgeschlossen, wenngleich schon weit fortgeschritten. Hier greift man hauptsächlich auf Erfahrungen aus dem Öl- und Gasbereich zurück. Als geeignet haben sich drei Schwimmertypen erwiesen:


Spar-Buoys: große, hohle Stahl- oder Betonzylinder, die rund 200 Meter Wassertiefe benötigen und daher recht aufwendig zu installieren sind.

Tension-Leg-Plattformen (TLP): meist rechteckige Auftriebskörper, die von straff gespannten Ketten oder Leinen leicht unter Wasser gezogen werden. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie an Land in einem Trockendock aufgebaut und getestet werden können.

Halbtaucher-Plattformen: drei- oder viereckige Gerüste aus Stahl oder Beton, die eine besonders geringe Neigung des Windrads versprechen. Manche Systeme arbeiten mit sogenannten aktiven Dämpfungspools. In ihnen werden große Mengen Wasser hin und her gepumpt und gleichen so Bewegungen aus. Genau wie TLPs werden sie im Trockendock aufgebaut oder repariert.

Welches der Systeme sich durchsetzen wird, ist derzeit schwer zu sagen. „Jedes Konzept hat Vor - und Nachteile", sagt Kimon Argyriadis. Teils werden die Vorzüge der einzelnen Konzepte auch kombiniert. Insgesamt waren Ende 2019 rund 65 Megawatt Schwimmwindkraft installiert. „Man hat inzwischen Erfahrung", sagt Mareike Leimeister.

Ein gutes Dutzend Windparks mit jeweils Hunderten Anlagen ist bereits in Planung, etwa in Japan, Südkorea oder in der Keltischen See zwischen Irland und Wales. Auch in norwegischen, griechischen, französischen und spanischen Gewässern sollen Schwimmwindparks entstehen. Und dann sind da noch die USA. Bis zum Jahr 2040 sollen allein vor Kalifornien 10.000 Megawatt installiert werden. Bis 2050 stehen dann laut DNV GL 250 Gigawatt in den Weltmeeren.


„Besonders interessant ist die Kombination von schwimmenden Turbinen und der Produktion von Wasserstoff auf See. In diesem Fall käme der Windpark ohne Netzanbindung aus, und der Wasserstoff könnte per Schiff oder Pipeline an Land geliefert werden", sagte Pierre Bauer, CEO der Offshore-Business-Unit von Siemens Gamesa, im Gespräch mit EnergieWinde.


Angesichts der Dimensionen ist klar, dass hier nur große Akteure mitspielen. Mit von der Partie ist vor allem die Öl- und Gasindustrie mit Konzernen wie Shell, Total, Equinor und Repsol. Aber auch andere Energiekonzerne wie RWE, Iberdrola, EDP, Engie oder EnBW haben Floating Wind ins Visier genommen. Und auch Größen aus der Finanzszene mischen mit, etwa Macquarie.


Floating Wind ist teuer - aber die Technologie steht auch noch am Anfang

Noch sind schwimmende Windräder zwar rund doppelt so teuer wie gewöhnliche Offshore-Anlagen. Doch das wird nicht so bleiben. Denn während bei den bodenbasierten Windrädern das Kostensenkungspotenzial seit Jahren ausgeschöpft wird, haben die Schwimmer die Preiskur erst noch vor sich. Bis 2030 sollen die Kosten auf 40 bis 60 Euro je Megawattstunde sinken, prognostiziert der Branchenverband WindEurope. Damit wäre die Schwimmwindkraft günstiger als die meisten im Boden verankerten Offshore-Windkraftwerke.


Das macht die schwimmenden Fundamente bei wachsender Anlagengröße und Wassertiefe gegenüber festen Fundamenten immer günstiger Po Wen Cheng, Professor für Windenergie

Dass die Kosten sinken, davon gehen so ziemlich alle Fachleute aus. Auch Po Wen Cheng, Professor am Lehrstuhl für Windenergie der Universität Stuttgart: „Mit der Anlagengröße spielt die Schwimmwindkraft ihre Vorteile immer mehr aus, da die Lasten, vereinfacht gesagt, nicht alle in den Meeresgrund abgeleitet werden müssen, sondern die Plattform durch Hydrodynamik, Ballast und Vertäuungssysteme stabilisiert wird. Das macht die schwimmenden Fundamente bei wachsender Anlagengröße und Wassertiefe gegenüber festen Fundamenten immer günstiger."


Francisco Boshell, Analyst bei der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (IRENA), geht sogar davon aus, dass Floating Wind auf Dauer zum Standard in der Branche werden wird: „In dem man in tiefere Gewässer vorstößt und größere Windressourcen erschließt, könnten schwimmende Windräder eine signifikante Expansion der Windkraft erlauben - und das konkurrenzfähig."


Prominente Floating-Wind-Projekte

Ideol: Im Atlantik vor Frankreich arbeitet seit September 2018 eine zwei Megawatt starke Vestas-Anlage. Bei diesem Prototyp namens Floatgen handelt es sich um einen quadratischen Körper aus Beton, der innen hohl ist. Das Windrad steht auf einer der vier Seiten. Der Clou an diesem Konzept: Das Windrad schaukelt kaum auf den Wellen, dafür sorgt der sogenannte Damping-Pool im Innern des Schwimmers. Das Konzept wird derzeit auch in Japan getestet. WindFloat: 20 Kilometer vor der Nordküste Portugals, bei Viana do Castelo, wurden in diesem Jahr drei je 8,4 Megawatt starke MHI-Vestas-Anlagen auf Halbtaucher-Plattformen vom US-Unternehmen Principal Power installiert. Es sind die weltweit größten und stärksten Windräder auf schwimmenden Plattformen. Eine weitere WindFloat-Anlage steht bereits im schottischen Kincardine. Hywind Tampen: Auf dem Erfolg von Hywind Scotland, einem Park mit fünf Sechs-Megawatt-Siemens-Anlagen auf Spar-Bojen, der 2017 errichtet wurde, soll nun Hywind Tampen aufbauen. Der Schwimmwindpark, bestehend aus elf je acht Megawatt starken Siemens-Maschinen, soll eine Öl- und Gas-Plattform mit Strom versorgen. Die Meerestiefe beträgt dort bis zu 300 Meter, die Entfernung zur Küste 140 Kilometer. Der Park soll ab 2022 Strom erzeugen. Aqua Ventus: Im US-Bundesstaat Maine sollen noch 2020 zwei je sechs Megawatt starke Anlagen auf Betonschwimmern installiert werden. Der Prototyp im Maßstab 1:8 ist bereits seit 2013 im Wasser.
Einen aktuellen Überblick bestehender und geplanter Projekte gibt es im aktuellen „Global Offshore Wind Report" (Seite 88).


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