Daniel Hautmann

Journalist (Technik, Energie, Umwelt), Hamburg

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Die hohe Kunst des Hebens - Mega-Technik | PM Online

Hoch damit!

Baumstämme, Container, ganze Häuser und Schiffe - alles muss gehoben werden. Dafür werden immer raffiniertere Maschinen konstruiert.



Land unter in Venedig. Schon jetzt flutet der steigende Meeresspiegel viele Häuser regelmäßig. Und dabei hat der Klimawandel gerade erst begonnen. Anfang Dezember vorigen Jahres stand das Wasser in der Lagunenstadt so hoch wie seit 29 Jahren nicht mehr. Um bis zu 60 Zenti­meter, mahnen Klimaforscher, schwillt das Meer bis zum Ende des Jahrhunderts an. Wird das Weltkulturerbe Opfer unseres leichtfertigen Handelns?

Die Venezianer jedenfalls werden nicht zusehen, wie die Flut ihre Stadt schluckt - sie wollen ihre Häuser ins Trockene heben. Die Technik steht schon bereit: Der Boden gefährdeter Gebäude wird verstärkt und dicke Pfähle in den lehmigen Grund getrieben; auf die Pfähle wirken Hydraulikzylinder, die die gesamte Struktur in die Höhe stemmen. Dass die Methode funktioniert, haben Spezialisten unlängst bewiesen: Sie lifteten eine 500 Quadratmeter große und 1500 Tonnen schwere Villa um einen Meter.


Bis Hebetechnik diese Perfektion erreichen konnte, war es ein langer Weg. Von der Entdeckung der Hebelgesetze durch Archimedes über die Dampfmaschine bis zu den heutigen Mega-Kränen: Menschen waren von jeher darauf angewiesen, ihre unzulängliche Kraft durch Maschinen zu vervielfachen, um sich die Welt untertan zu machen. Mit den Hochkulturen bekam das Thema Heben eine übergeordnete Bedeutung. Erstmals in der Geschichte der Menschheit ging es nun nicht mehr nur darum, lebenserhaltende Kons­truktionen zu schaffen, sondern Symbole der Macht aufzutürmen - Prachtbauten, mit denen man seinem Gott näherkommen oder sich über andere Völker erheben konnte.


mmer ausgefeiltere Hebetechniken erlaubten immer tiefere Eingriffe in die Natur - so tief, dass heute neue, raffiniertere und nachhaltigere Formen des "Liftens" notwendig sind. Etwa in der Energieversorgung. Um sie während der nächsten Jahrzehnte zu sichern, suchen wir unter dem Eis der Arktis nach fossilen Brennstoffen - sie zu erschließen gleicht einer infrastrukturellen Herkules-Aufgabe, bei der eine neue Hebetechnik helfen soll: Riesenballons, die tonnenschwere Ladungen spielend leicht bewegen, überall starten und landen können und wenig Energie verbrauchen. Sie könnten Fördergeräte für die Ölindustrie heben, transportieren und im Einsatz­gebiet absetzen.


Der amerikanische Luftfahrtkonzern Boeing arbeitet gerade an so einem Luftschiff. Bis zu 40 Tonnen soll es heben: "Skyhook" ist 92 Meter lang, 66 Meter dick und mit Helium gefüllt. Dieses Gas ist leichter als Luft und zieht den Ballon nach oben. An Bord sind zudem vier Motoren, die Propeller antreiben und zusätzlichen Auftrieb erzeugen. 370 Kilometer weit soll der Himmelshaken schweben. "Die Boeing-Skyhook-Technologie ist für viele Projekte die einzige wirtschaftliche Möglichkeit zur Umsetzung", sagt Skyhook-Präsident Pete Jess. Mit ihr könnten Kupferlagerstätten in den Anden, Gasfelder in Sibirien oder Uranvorräte in Australien erschlossen werden - die Menschheit könnte ihre Vorratskammern wieder etwas auffüllen.


Durch Auftrieb ließen sich auch Rohstoffe heben, an die bisher kaum jemand gedacht hat: die Holzvorräte in den Stauseen. Ganze Wälder sind der Flutung von Tälern zum Opfer gefallen - sie sind aber nicht verloren, weil das Wasser sie konserviert hat. Spezialisten vermuten weltweit rund 300 Millionen Bäume in den Speicherbecken. Dieses Holz möchte das Unternehmen Triton Logging bergen - mit einem Tauchroboter: "Sawfish" sinkt auf den Grund des Stausees, sägt Baumstämme ab, hängt sie an einen Ballon und bläst ihn voll Luft. Der steigt wie ein Zeppelin auf und bringt das Holz an die Oberfläche, wo es als Ökoprodukt verkauft wird. Die 300 Millionen Bäume entsprechen einem Marktwert von rund 50 Milliarden US-Dollar, sagt Triton- Firmengründer Chris Godsall.


Kräne, die die Nutzung der "sauberen" Windenergie beschleunigen, könnten die Stars der Hebetechnik an Land werden. Bisher ist es so: Ein traditioneller Raupenkran mit seinen tonnenschweren Gegengewichten muss, in Einzelteile zerlegt, auf bis zu 25 Tiefladern transportiert werden, und der Aufbau dauert Tage. Wenn er dann steht, verkraftet er an seinem ausgestreckten Arm insgesamt weniger Last. Das soll sich ändern - mit dem GTK 1100 des Baumaschinen-Herstellers Manitowoc: Der Kran kommt auf nur fünf Tiefladern daher und ist in wenigen Stunden einsatzbereit - so lassen sich beispielsweise Windparks schneller hochziehen. "Da sehe ich einen Riesenmarkt", sagt Gerhard Kaupert, technischer Direktor bei Manitowoc.


Der Ausleger des GTK 1100 thront auf einem senkrecht ausfahrenden Teleskopmast und klettert auf 143 Meter Höhe. Der Kran braucht nicht mal Gegengewichte. Ähnlich wie ein fragiler Sendemast, der von vielen Seilen gehalten wird, ist er mit dicken Stahlseilen stabilisiert. So trägt er selbst bis zu 80 Tonnen schwere Windrad-Gondeln. Gesteuert wird er nicht aus einem Führerhäuschen, sondern wie ein Modellauto per Fernsteuerung. Da er auf einer vergleichsweise kleinen Fläche steht, kann er auch in den engen Häuserschluch­ten großer Städte operieren. So lassen sich in den Metropolen Hochhäuser im sprichwörtlichen Sinn hochziehen - schneller und höher als bisher.


Trotz dieser raffinierten neuen Krantechnologie: Ohne Gegengewicht stoßen die maschinellen Hebetechniken des Menschen irgendwann an ihre Grenzen. Deshalb suchen Ingenieure bei der Natur nach neuen Ideen zur Gewichtsverteilung: Bäume etwa verteilen die Lasten ihrer Äste so geschickt, dass sie nicht aus dem Gleichgewicht geraten - dem Gewicht auf der einen steht das gleiche Gewicht auf der anderen Seite gegenüber.

Nach diesem Prinzip arbeitet seit 2002 ein Schiffshebewerk, das einmalig auf der Welt ist: das Falkirk Wheel in Schottland. Die wie ein weit ausladendes Riesenrad anmutende Konstruktion hat zwei einander gegenüberliegende Gondeln, die jeweils bis zu 250 Tonnen Wasser fassen. Durch die Drehung des Rades lässt sich ein Höhenunterschied von 35 Metern überwinden - das eine Boot wird von oben nach unten, das andere gleichzeitig von unten nach oben befördert. Fahren sie in ihre jeweiligen Gondeln ein, so verdrängen sie nach dem archimedischen Prinzip exakt die Wassermenge, die ihrem Gewicht entspricht - dadurch wiegen beide Gondeln stets gleich viel und bleiben im Gleichgewicht. Um das Rad zu drehen, genügt deshalb eine Motorenstärke von nur 30 PS. Dank dieses Hebewerks gibt es nun eine direkte Verbindung zwischen Glasgow und Edinburgh, müssen Freizeitkapitäne nicht mehr die Nordspitze Schottlands umschiffen. Das spart Diesel und entlastet die Umwelt.


Solche futuristischen Bauwerke beflügeln die Fantasie der Ingenieure. Experten ließen sich beispielsweise zu der Idee eines Mega-Schiffshebewerks hinreißen, das den Schiffsverkehr über die Alpen ermöglicht. So hat man im Ernst schon errechnet, dass 74 Frachter auf der transalpinen Passage von Nordeuropa zum Mittelmeer 6000 Lkw ersetzen und dabei eine Million Liter Treibstoff sowie 2700 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid einsparen würden.

Hebekräfte der Superlative könnten in den Niederlanden oder der Südsee auch für Sicherheit sorgen, wenn die Meeresspiegel steigen. So denken Fachleute über Superkräne nach, die ganze Landstriche anheben können. Vorbild ist der weltweit leistungsstärkste Schwimmkran "Thialf", der Offshore-Plattformen errichtet, Pipelines in der Tiefe verlegt und gigantische Anlegeplätze für Riesentanker installiert. Das 200 Meter lange und 130 000 Tonnen schwere Monster entwickelt 14 200 Tonnen Hubkraft - damit ließen sich viele Schäfchen inklusive Weide ins Trockene bringen. Damit das Kranschiff immer schön flach im Wasser liegt, auch wenn ganze Fab­riken am Haken baumeln, pumpt es in seinen Ballastwasserkammern pro Stunde 20 800 Kubikmeter hin und her. Um bei Hochseearbeiten punktgenau an einer Stelle operieren zu können, verfügt Thialf über GPS und zwölf Antriebsmotoren. Und selbst in der Strömung bewahrt der schwimmende Riese Ruhe: Dann halten ihn zwölf Anker auf Position - jeder von ihnen wiegt 22,5 Tonnen.


Auch wenn die Hubkaft solcher Giganten beeindruckt: Sie heben doch oft nur einen Bruchteil ihres Eigengewichts, genau wie der Mensch. Die wahren Kraftprotze finden sich in der Tierwelt. Die Ameise etwa schleppt das 50-Fache ihres Körpergewichts, die Hornmilbe gar das 1200-Fache. "Das ist fünfmal so viel, wie theoretisch zu erwarten ist", sagt der Biologe Michael Heethoff, der das Spinnentierchen genau unter die Lupe genommen hat. Milben setzen auf biologische Hydraulik: Mithilfe ihrer Körperflüssigkeiten bewegen sie ihre Extremitäten. Bioniker haben diese Fähigkeit längst nachgebaut: Die Schaufeln von Baggern heben und senken sich ebenfalls hydraulisch.


Inzwischen suchen Bioniker nach Hebetechniken, die effizienter sind als alles, was es bisher gab. Nach dem Vorbild des Elefantenrüssels mit seinen 40 000 Muskeln haben sie einen Roboterarm konstruiert, der sich auf ähnliche Weise hebt und senkt. Dabei verzwirbelt ein kleiner Elektromotor eine Schnur, die wie eine Sehne wirkt. Dreht sich der Faden, so wickelt er sich in Form einer Doppelhelix von beiden Seiten auf, ähnlich dem Gummi eines kleinen Modell-Propellerflugzeugs. "Die Zugkraft beträgt ein Zigfaches des Eigengewichts, und das Antriebsprinzip des ›Dohelix‹ eignet sich für alle Größenordnungen", erklärt Harald Staab, der die Technologie am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung erfunden und entwickelt hat. Damit ließen sich die vielfältigsten Hebekons­truktionen realisieren - von der sanft greifenden Prothese bis zum containerpackenden Hafenkran.


Bis diese umweltfreundliche Technologie reif für den Markt ist, dürfte allerdings noch einige Zeit ins Land gehen. So lange kann Venedig sich wahrscheinlich nicht über Wasser halten.

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