Daniel Hautmann

Journalist (Technik, Energie, Umwelt), Hamburg

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Blinde Passagiere auf Schiffen: Das verschleppte Problem

chinesische Wollhandkrabbe

Blinde Passagiere auf Schiffen: Das verschleppte Problem

Von Daniel Hautmann

Mit ihrem Ballastwasser verfrachten Schiffe Wassertiere und Mikroorganismen rund um den Erdball - eine große Bedrohung für die marine Umwelt. Ab 2016 fordert eine internationale Vorschrift, diese Eindringlinge abzutöten. Doch das ist schwieriger, als es klingt.

Dafür, dass sie mehrere Tausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt lebt, fühlt sich die Chinesische Wollhandkrabbe hierzulande sehr wohl. Das bis zu 30 Zentimeter große Tier, das ursprünglich aus dem Norden Chinas stammt, hat sich in vielen deutschen Gewässern bis hin zum Bodensee gut eingelebt, frisst dort heimischen Wasserbewohnern die Nahrung weg und zerstört durch seine Wohnhöhlen Dämme und Böschungen.

Nach Europa gekommen ist der Eindringling vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts im Ballastwasser von Schiffen. Auf demselben Weg reisen Jahr für Jahr zahlreiche weitere Tierarten und Krankheitskeime um die Welt. Insgesamt werden an Bord von Schiffen jährlich rund zwölf Milliarden Tonnen Wasser bewegt. Für die Vereinten Nationen sind die zwangsglobalisierten Organismen eine der vier größten Bedrohungen der marinen Umwelt.

Nun sollen neue Technologien das Trittbrettfahren verhindern. Nötig ist der Ballast, damit bei unbeladenen Schiffen die Schraube nicht aus dem Wasser ragt. Auch wenn Schiffe auf einer langen Reise ihre Brennstoffvorräte aufbrauchen, müssen sie das verlorene Gewicht durch Ballastwasser ausgleichen, das sie aus dem Meer pumpen. Der 330 Meter lange Öltanker "Desh Vishal" etwa schleppt bei einer Leerfahrt an die 100.000 Kubikmeter mit. Wenn er im Hafen wieder beladen wird, pumpt er den Ballast ab - und mit ihm Wassertiere, die dort nichts zu suchen haben.

Um diesen Fauna-Transfer zu unterbinden, hat die International Maritime Organization in London 2004 den sogenannten D1-Standard verabschiedet. Er schreibt vor, das Ballastwasser auf offener See, weit weg von den Küsten, auszutauschen. "Doch inzwischen weiß man, dass diese Maßnahme relativ uneffektiv ist", sagt Meeresbiologe Onno Groß von der Meeresschutzorganisation Deepwave. "Die meisten Organismen befinden sich nämlich in den Sedimenten am Boden der Tanks und bleiben dort, auch wenn das Wasser getauscht wird." Daher gilt voraussichtlich ab 2012, spätestens aber ab 2016, der verschärfte D2- Standard. Eine der Auflagen darin: Ballastwasser darf nur noch abgepumpt werden, wenn es pro Kubikmeter höchstens zehn lebende Organismen mit einer Größe von maximal 50 Mikrometern enthält.

Der Bedarf an Ballastwasser-Reinigungssystemen ist gewaltig

Um diesen Wert zu erreichen, gibt es drei verschiedene Ansätze: Bei der mechanischen Separierung wird das Ballastwasser durch Filter oder sogenannte Hydrozyklone gereinigt - künstliche Wasserstrudel, die schwere Teilchen abscheiden. Zu den physikalischen Methoden zählt die Bestrahlung mit ultraviolettem Licht, das die Organismen abtötet. Chemische Verfahren setzen dem Ballastwasser Biozide zu oder erzeugen per Elektrolyse aus dem Meersalz Chlor, welches ebenfalls desinfizierend wirkt. "Die meisten Hersteller von Ballastwasser-Reinigungssystemen setzen auf Kombinationen dieser Methoden, zum Beispiel als ersten Schritt eine Filterstufe und dann UV-Licht oder ein Fliehkraftabscheider", sagt Christoph Peickert, Spezialist für Ballastwasser-Management beim Schiffszertifizierer Germanischer Lloyd.

Der Bedarf nach solchen Anlagen ist gewaltig: Rund 60.000 Handelsschiffe weltweit müssen früher oder später umgerüstet werden. Peickert spricht von "etlichen Milliarden Euro" Marktvolumen. Doch noch ist nicht abzusehen, dass sich ein bestimmtes Verfahren durchsetzen wird. Die Hamburger Reederei Laeisz etwa erprobt gerade das sogenannte "Ocean Protection System" des deutschen Herstellers Mahle an Bord des 180-Meter-Frachters "CSAV Rio Bueno". Es besteht aus zwei Filtern, die schon direkt bei der Aufnahme Partikel von 50 bis 200 Mikrometer aussortieren. Anschließend folgt eine UV-Bestrahlung. So gelangt ein Großteil der Organismen erst gar nicht in die Tanks. Da sich aber die wenigen Organismen, die es dann doch an Bord schaffen, während der Fahrt vermehren können, wird das Wasser vor dem Ablassen abermals bestrahlt. Offiziell zugelassen ist diese Anlage aber noch nicht.

Die Bremer Reederei Beluga Shipping dagegen benutzt bereits zertifizierte Anlagen vom Typ "Clean Ballast" des Bremer Unternehmens RWO. Diese arbeiten mit einer mechanischen Vorfilterung und einer anschließenden elektrolytischen Chlor- Desinfektion. Doch Langzeiterfahrungen zum Verhalten der Anlagen an Bord und zu ihrem Einfluss auf den Schiffsbetrieb fehlen noch weitgehend. Und nicht nur das: Klaus Heims vom Schifffahrtsunternehmen Hapag-Lloyd hadert mit der derzeitig verfügbaren Technologie: "Gegenwärtig erfüllt keine zugelassene Anlage unsere Kriterien." Dazu zählt er den chemiefreien Betrieb und einen Durchsatz von rund 2000 Kubikmetern je Stunde. Den brauchen die großen Containerschiffe, um rechtzeitig aus dem Hafen zu kommen.

Statt der komplizierten und teuren Reinigungstechnik - die Anlagen kosten bis zu einer Million Euro, rauben Platz, brauchen Wartung und Energie - könnte es in Zukunft eine elegantere Lösung geben. Am umweltfreundlichsten wäre es nämlich, das Ballastwasser gleich an Bord zu behalten. Hierfür gibt es bereits Ideen, die Christoph Peickert für "sehr, sehr interessant" hält. So hat Katja Hartig von der Universität Rostock ein Konzept für ein Containerschiff vorgestellt, bei dem das Ballastwasser lediglich zwischen verschiedenen Tanks hin und her gepumpt wird, um die nötige Gewichtsverteilung zu erzielen. Bei einer Leerfahrt wird das Schiff so hecklastig getrimmt, dass die Schraube komplett unter Wasser liegt. So einfach, wie es klingt, ist das aber nicht. Die Schiffe müssten dazu mit Dutzenden Ballastwasserkammern, leistungsstarken Pumpen und voluminösen Rohrleitungen ausgerüstet werden. Das Rennen um den Milliardenmarkt bleibt also spannend.

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