Daniel Hautmann

Journalist (Technik, Energie, Umwelt), Hamburg

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Artikel

Der Sturmreiter

Weltrekord: 98,66 Stundenkilometer, Antoine Albeau

Der Franzose Antoine Albeau ist der schnellste Windsurfer der Welt - er schafft fast Tempo 100.



Was da schwarz auf blau auf Antoine Albeaus Baseball-Kappe gestickt ist, ist sein Weltrekord: 52,05 Knoten. Aufgestellt hat ihn der 44-jährige Franzose nicht am Steuer einer Rennjacht, sondern auf einem schlichten Windsurfboard. Zuletzt konnte der Franzose seine Bestzeit sogar nochmals toppen: auf 53,27 Knoten. Das sind unglaubliche 98,66 Stundenkilometer.


Windsurfen mit fast 100 Sachen. Das können nur wenige. Seit Jahren trifft sich eine kleine Clique der Weltbesten regelmäßig in Namibia, um sich zu messen. Es ist ein Kampf gegen die Elemente. Einer, den man auch mit Knochenbrüchen oder Schlimmerem bezahlen kann.

Um zu den Schnellsten zu zählen, braucht es neben Muckis perfekt abgestimmtes Material, orkanartigen Wind und den Mut eines Gladiators. Albeau ist einer dieser Recken. Seit Jahren surft keiner schneller. Warum er das tut? „Es ist wie ein Rausch."


Wer vor Albeau steht, versteht sofort, warum ihn die anderen „Elefant" nennen: Der Kerl ist mächtig wie ein Schlafzimmerschrank und hat einen Händedruck wie ein Schraubstock.

Windsurfen im Grenzbereich ist Schwerstarbeit. Bei orkanartigem Wind krallt sich der Hüne mit den Füßen in sein Bord und packt den Gabelbaum seines Segels, als gelte es, ihn mit einem Ruck herunterzureißen: Der Surfer verschmilzt mit dem Gesamtsystem, sämtliche Kräfte gehen durch seinen Körper. „Alles wird eins", sagt Albeau. „Ich spüre, wie mein Segel arbeitet, wo eventuell gleich etwas bricht, und natürlich auch exakt, wie schnell ich bin."


Für seine Passion trainiert Albeau im südspanischen Tarifa, einem der windigsten Surfreviere Europas: Balance-, Koordinations- und Muskeltraining, Material testen und tunen bis zur Perfektion. Doch selbst in Tarifa ist der Wind für Rekordzeiten nicht stark genug. Deshalb übte Albeau auf Racing-Material, das er normalerweise bei seinen Slalomrennen fährt: Bretter, die fast Boote sind, mit Segeln von annähernd zehn Quadratmeter Größe.


Seine Rekorde ist Albeau - wie alle anderen Speedsurfer auch - in Namibia gefahren. Die Strecke dort ist die schnellste der Welt. Am Strand des Küstenortes Lüderitz wurde für den Exzess extra ein Kanal ausgehoben. Die Fahrer zahlen 1250 Euro Startgeld pro Woche. Maximal 15 Fahrer dürfen zeitgleich antreten. Die sieben Meter breite und einen Kilometer lange Speed-Rinne ist einzigartig und liegt im perfekten Winkel zu den über die Berge hereinbrechenden Passatwinden. Mit denen im Rücken erreichen die Surfer maximales Tempo.

Gesurft wird immer in dieselbe Richtung. Auf dem engen Kanal gegen den Wind zu kreuzen ist unmöglich. An Tagen mit extrem guten Bedingungen jagt Albeau mehr als 30-mal über die 500 Meter lange Messstrecke, wobei das Durchschnittstempo gemessen wird, nicht der Top-Speed.

Um schnell zu sein, muss alles passen: Material, Athlet, Wind. Albeau fuhr seine Bestzeit auf einem 38 Zentimeter schmalen und zwei Meter langen Surfboard - einer Spezialanfertigung, die eher an einen Wasserski erinnert. Auf Kurs hielt ihn eine messerscharfe Finne aus Carbon. Sie ist asymmetrisch geformt - weil man nur in eine Richtung surft, spart man sich den Widerstand auf der anderen Seite.


Beschleunigt wurde Albeau von einem 5,2 Quadratmeter großen Seriensegel mit „minimalen Modifikationen". Welche das sind, will er nicht verraten. „Die Details sind geheim", erklärt Albeau schmunzelnd. Um seinem Segel noch mehr Gewicht entgegenzusetzen, trug der 100-Kilo-Mann eine zehn Kilo schwere Bleiweste. Doch allein mit gutem Material bricht man keine Rekorde, sagt Albeau: „Du musst einen guten Moment erwischen, eine starke Böe, die dich über den Kurs weht."


Am Rekordtag zeigte Albeau seiner Konkurrenz, wo der Hammer hängt. Er pulverisierte seine alte Bestzeit und übertrumpfte sie gleich 17-mal. Der Wind peitschte mit über 100 Stundenkilometern über den Kanal. Der Tag ging als „magic monday" in die Geschichte der Speedsurfer ein.


Andere Top-Speed-Fahrer, wie der 42-fache Weltmeister Björn Dunkerbeck, hatten am „magic monday" weniger Erfolg: „Ich hatte keine Zeit zur Vorbereitung. Das ist, als wenn du dich in einen Ferrari setzt und gleich 300 fährst - man muss sich langsam rantasten." „Dunki" musste sich mit 49,99 Knoten begnügen.


„Es war apokalyptisch", sagte Albeau, vom Adrenalin betrunken, direkt nach seinem Lauf. Und wozu tut er das alles? „Um Geld geht es jedenfalls nicht", sagt Albeau. Sondern? „Ehre!"

Antoine Albeau wirkt auch gar nicht wie ein verbissener Rekordjäger. Geduldig erzählt er beim Abendessen aus seinem Leben, verputzt erst ein halb rohes Thunfisch-Steak und anschließend die Reste der Pasta, die seine Frau Paula auf dem Teller liegen ließ. Albeau wuchs an der französischen Atlantikküste auf, die Eltern betrieben im Sommer eine Surf- und Segelschule. Mit 19 wurde er Profi-Surfer. 23 Weltmeistertitel hat er sich erkämpft. Heute zählt er zwar zu den Senioren, mischt in der Slalom-Weltelite aber noch mit.


Das Spiel mit dem Wind ist nicht ungefährlich. Der Spin-out, Strömungsabriss an der Finne, ist der ärgste Feind jener elf Windsurfer, die dem exklusiven 50-Knoten-Club angehören. Dann verliert das Board die Führung und schlittert unkontrollierbar herum. Surfer und Surfbrett werden zum wilden Knäuel aus Gischt, Körperteilen und Surfmaterial. Lässig meint Albeau: „Da kann man sich ganz schön wehtun."


Gern würden die Speedjäger so bald wie möglich die 100-km/h-Marke knacken. Doch ausgerechnet jetzt, wo Tempo 100 zum Greifen nah ist, steht die Weltrekordpiste in Namibia nicht mehr zur Verfügung. Deshalb favorisieren viele Surfer einen Küstenstreifen vor Leucate in Südfrankreich. Dort ist für Sturmreiter der einzige Ort in Europa, an dem Temporekorde möglich sind.

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