Die Gründungsidee entwickelte sich im Studium. „Unser Professor für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte Alexander Lasch forschte, bevor er 2017 an die TU Dresden (TUD) kam, an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel über verständliche Sprache", erzählt Liane Drößler. In der Zusammenarbeit mit dem Martinsclub Bremen hatte er erkannt, dass die Bedürfnisse von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in Publikationen nicht berücksichtigt wurden. „Sie benötigen verständnisorientierte Texte", erklärt Juliane Heidelberger. Das aus dieser Erkenntnis entwickelte Instrument VERSO wird nun eingesetzt, um verständliche Texte, Videos und Tondateien zu produzieren.
Barrierefreie Kommunikation ist Pflicht
Der Bedarf ist groß, denn seit Januar 2018 hat der Gesetzgeber öffentliche Institutionen dazu verpflichtet, ihre Informationen barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, wie beispielsweise Lernstörungen oder Intelligenzminderung, müssen sie genauso verstehen können wie Zugewanderte. Das VERSO-Gründungsteam erkannte die Marktlücke und schrieb zunächst ein Ideenpapier. Dresden|exists gewährte ab Sommer 2019 ein Förderstipendium. Das beinhaltet neben einem fünfstelligen Sachkostenzuschuss Stipendien für ein Jahr. Die Höhe der monatlich vierstelligen Zahlung pro Person richtet sich nach der Qualifikation und berücksichtigt beispielsweise die familiäre Verantwortung für Kinder. Zudem nahmen die Gründer/innen an mehreren Workshops teil und tauschten sich mit anderen Gründungswilligen aus. Statt Genderstern verwendet das VERSO-Konzept übrigens einen Doppelpunkt.
Corona-Informationen nach dem VERSO-Empfehlungswerk
Angewandte Forschung
Jan Langenhorst forscht zum Wortschatz. Er sagt: „Die digitale Barrierefreiheit ist eine noch größere Herausforderung." Der Germanist ist auch Programmierer und arbeitet an einer App, die untersucht, welche Wörter jemand kennt. Diese Begriffe werden getestet und danach bewertet, ob/wie Angehörige einer Zielgruppe sie verstehen. Dabei müssen das Vorwissen und Erfahrungen der Nutzenden berücksichtigt werden. Nicht weniger entscheidend für das Informationsverständnis sind Schriftarten, -größen oder der Umfang von Textblöcken. Ebenso Satzlängen und der Einsatz von Fachbegriffen. So entwickelt sich auch das VERSO-Empfehlungswerk permanent weiter. „Wir wollen eine leicht verständliche Sprache für alle", erklärt Liane Drößler. Der Anspruch ist höher als bei einfacher Sprache und Texte klingen dennoch interessant und nicht banal.
Erster Erfolg und Mission
Ein erster Achtungserfolg war die Nominierung des Teams zum Sächsischen Gründerpreis. „Aus 126 Bewerbungen zu den 15 Nominierten zu gehören, haben wir nicht erwartet, zumal wir nichts herstellen, was man gut präsentieren kann", sagt Juliane Heidelberger. Gewonnen haben sie, obwohl der Preis an ein anderes Start-up ging: „Wir nahmen an mehreren Trainings teil und haben viel Öffentlichkeit bekommen."
Für die Zukunft wünschen sich Liane Drößler, Juliane Heidelberger und Jan Langenhorst kontinuierliche Aufträge und „mutige Entscheider/innen, die die Budgets verwalten". Limits gibt es keine. Vom kleinen Ausstellungstext bis zu größeren Publikationen, Filmen bis zu barrierefreien Grafiken können die VERSO-Gründer liefern. Dazu arbeiten sie mit einem Netzwerk an freiberuflichen Honorarkräften zusammen. Zu dem Pool gehören auch Gebärdende und professionelle Sprecher/innen. „Es wäre schön, wenn wir einen Wandel in der Gesellschaft schaffen: Weg von einem ‚wir müssen was machen' zu ‚wir wollen etwas machen'." VERSO bietet deshalb Schulungen an und prüft Texte auf Verständlichkeit. Entsprechen sie den VERSO-Empfehlungen, dürfen Inhalte mit einem entsprechenden Logo gekennzeichnet werden.
Dass VERSO wachsen will, hat das Gründungsteam bereits mit seiner Domain verdeutlicht. „Wir planen, Lizenzen zu vergeben und liefern unser fertiges Schulungskonzept", kündigt Liane Drößler an. Anders als bei einem Franchise-System sollen dafür keine Gebühren gezahlt werden. Interessierte müssen keine Germanisten sein, aber Erfahrungen mit Spracharbeit mitbringen.
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