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Mit Karlinchen auf der Flucht

Mit Karlinchen auf der Flucht

Oranienburg. Die Flüchtlingskinder kommen. So viel ist sicher. Einige besuchen bereits die Starterklasse in Lehnitz. Warum sie nach Deutschland gekommen sind und wie es ihnen geht, erklärt ein kindgerechtes Integrationsprojekt.

In der Klasse 3b der Waldgrundschule ist am Morgen einiges anders als sonst. Anstelle von Klassenlehrerin Franziska Weißmantel steht Juliane Reinert vor den 22 Grundschülern. Die Lehrerin für Geschichte, Deutsch und Politik unterrichtet sonst am Louise-Henrietten-Gymnasium und leitet die AG Toleranz. Gemeinsam mit den AG-Mitgliedern Tobias, Anna, Friederike, Kira und Marie hat sie ein Projekt entwickelt, mit dem Drittklässler kindgerecht auf den Umgang mit Flüchtlingen vorbereitet werden sollen.

„Wir sind eine von drei Oranienburger Schwerpunktschulen, an denen in Kürze Flüchtlingskinder unterrichtet werden“, begründet Schulleiter Torsten Lattke das Engagement seiner Schule. „Bei uns wird Begegnung konkret. Dass die Flüchtlinge harmonisch ankommen können, ist unser Auftrag und für mich ein persönliches Anliegen.“ Erfahrungen mit zugezogenen Kindern aus Spanien und Griechenland hat das Kollegium schon. Auch wenn vieles noch unklar und die Kommunikation seitens der zuständigen Behörden lückenhaft ist, wollen die Pädagogen der Waldgrundschule allen Kindern gerecht werden. „Fakt ist, wir haben unheimlich viel zu tun“, blickt Lattke voraus und betont: „Wir dürfen bei allen Zusatzbelastungen die deutschen Kinder nicht vergessen, da benötigen auch einige enorm viel Förderung.“ Er ist froh, dass die Stadt zusätzliche Sozialarbeiterstellen für die Schwerpunktschulen ausgeschrieben hat.

Juliane Reinert hat eine Stabpuppe in der Hand. „Was fällt Euch an Karlinchen auf?“, fragt sie. „Sie ist arm. Sie hat keine Schuhe“, antworten die Kinder. „Karlinchen läuft von zu Hause weg, weil Feuer vom Himmel fällt. Was könnte das bedeuten?“ Vulkanausbruch. Max denkt an einen Tornado. „Wenn Bomben fallen und Krieg ist“, sagt Yannis. Warum Karlinchen wirklich wegläuft und was ihr widerfährt, sehen die Grundschüler in einem kurzen Zeichentrickfilm. „Niemand kümmerte sich um ein Kind, das voller Angst war und ganz allein“, führt der Erzähler ein. Danach malen die Kinder einzelne Szenen und erzählen nach, was sie sich gemerkt haben. Dabei wird gekichert. „Ist das wirklich zum Lachen, wenn Euer Haus brennt und Ihr nichts mitnehmen könnt?“, fragt Juliane Reinert. Einige Kinder werden nachdenklich. Oskar, der meinte, er könne es nicht, spielt mit seiner Banknachbarin Vanessa an der Tafel eine Episode nach. Die Klasse applaudiert. Die meisten Kinder haben – ohne jede Vorgabe - die Szene bildhaft festgehalten, in der Karlinchen Hilfe bekam.

Gymnasiastin Kira freut sich: „Es ist schön, dass die Kinder in unserer ersten eigenen Unterrichtsstunde so gut mitmachen.“ Das stellt auch Sandra Paschen fest, die in der 3b sonst Mathematik unterrichtet und als Verbindungslehrerin die Flüchtlingskinder in Lehnitz in Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Das zunächst einmalige Projekt führte in die Thematik ein. Ob und wie es fortgesetzt wird, ist noch unklar.

Foto: © Dagmar Möbius
Arbeiten gut mit: Gastlehrerin Juliane Reinert vom Louise-Henriette-Gymnasium führte die dritten Klassen der Waldgrundschule Oranienburg kindgerecht in den Umgang mit Flüchtlingen ein.

veröffentlicht im Oranienburger Generalanzeiger vom 21. Januar 2015, Seite 2