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Clubs in der Corona-Krise: "Crowdfunding hat uns durchs Jahr gebracht"

Das about blank ist ein vor rund elf Jahren gegründeter Techno-Club in Berlin-Friedrichshain, genossenschaftlich organisiert und betrieben von einem Kollektiv aus 14 Personen. Eine Leitung gibt es nicht. Julia Finocchiaro macht den Tresen und kümmert sich um die Buchhaltung.

Unser Tiefpunkt:

"Am 12. März 2020 mussten wir unserer Crew, den 120 Aushilfen und Angestellten, von einem Tag auf den anderen sagen: ›Der Club ist erst mal zu. Wir wissen nicht genau, wie es weitergeht und wie lange wir finanziell durchhalten.‹ Unsere Einnahmen sind auf null Prozent eingebrochen. Vieles war völlig offen: Können wir Kurzarbeitergeld beantragen? Wie kommunizieren wir untereinander? Wie überstehen wir die nächsten Wochen? Auch eine Insolvenz war ein realistisches Szenario. Das war ein Schock. Der langfristige Tiefpunkt war dann, sich den Arsch aufzureißen, um irgendwie Gelder ranzuschaffen. Mit den verschiedenen Anträgen auf Soforthilfe und Überbrückungszuschüsse bin ich immer noch beschäftigt."

Unser Höhepunkt:

"Ende März haben wir eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen. Da hatte man das Gefühl, sich selbst aus dem Schlamassel ziehen zu können. Es war zum Beispiel echt toll, wie schnell Kolleginnen und Kollegen ein Promo-Video zusammengeschnitten haben. Viele waren solidarisch mit uns: Freundinnen und Freunde des Ladens, die angeboten haben, uns ein privates Darlehen zu geben; politische Gruppen, die bei uns Soli-Partys veranstaltet hatten und angeboten haben, einen Teil des erwirtschafteten Geldes zurückzugeben; viele Minijobberinnen und Minijobber aus der Crew, die in unbezahlten Urlaub gegangen sind. Mit den 130.989 Euro Spenden aus dem Crowdfunding konnten wir ungefähr die Hälfte unseres Umsatzes aus dem Vorjahresmonat erreichen. Das hat uns gut durchs Jahr gebracht. Und wir bekamen Kurzarbeitergeld. Da war klar: Wir haben eine Chance."

Unsere Zwischenbilanz:

"2019 haben wir über zwei Millionen Euro Umsatz gemacht, wovon wir die Hälfte für Personalkosten verwendet haben. Im Vergleich zu den Vorjahren hatten wir von April bis Dezember einen Umsatzeinbruch von rund 90 Prozent. Am 13. Juni haben wir eingeschränkt wieder geöffnet. Im Sommer haben wir in unserem Outdoorbereich den ›Sektgarten‹ veranstaltet, bei dem DJs gegen Spende aufgelegt haben und die Gäste an Tischen saßen. Unser Gedanke war: Selbst wenn uns das nicht aus der Krise rettet, kommt wieder Geld bei den Angestellten an. Was wir da für Ware und Personal ausgegeben haben, haben wir wieder reinbekommen, und es ist noch Geld übrig geblieben. Nicht genug, um unsere monatlichen Fixkosten zahlen zu können, trotzdem war das eine gute Entscheidung.

Alle verdienen bei uns einheitlich zwölf Euro die Stunde, aber die Personalkosten entfallen jetzt fast komplett. Die meisten unserer 50 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind mit null Stunden in Kurzarbeit. Das Kurzarbeitergeld wurde im September auf bis zu 87 Prozent des Gehalts erhöht, was super ist und für viele einen großen Unterschied macht, auch für mich. Ich musste am Anfang, als es bei 60 Prozent lag, zusätzlich beantragen. Jetzt reicht es für mich.

Wir machen Schulden, in den ersten Monaten wurden uns viele Forderungen gestundet: Miete, Versicherungen. Inzwischen stunden wir nur noch die Umsatzsteuer. Das ist eine Hilfe, aber irgendwann müssen wir das natürlich zahlen. Momentan bleiben noch Fixkosten von rund 12.000 Euro pro Monat - Miete, Strom, Wasser, Versicherungsbeiträge. Die werden von den staatlichen Überbrückungshilfen gedeckt. Mehr Kosten dürfen nicht anfallen. Aber jetzt, wo wir gemerkt haben, dass die Hilfen tatsächlich fließen, machen wir uns weniger Sorgen.

Ein Darlehen wollen wir nicht aufnehmen. Angesichts der Schulden, die wir aufgebaut haben, und der Tatsache, dass wir auch in normalen Zeiten keine hohe Gewinnmarge haben, ist es fraglich, wie wir das zurückzahlen könnten. Eher würden wir unsere Genossenschaft vergrößern. So könnten wir das Kapital in der Genossenschaft erhöhen. Gewinne haben wir bis jetzt immer in den Club oder in die Löhne reinvestiert."

Unser Ausblick:

"Bis Ende Oktober dachten wir noch, dass wir im Winter zwei, drei Events im Garten veranstalten können. Spätestens ab dem zweiten Lockdown im November haben wir gemerkt, dass das nichts wird. Auch unsere Weihnachtsfeier an Heiligabend fiel aus - traditionell ein wichtiger Abend für Leute, die nicht mit ihrer Herkunftsfamilie Weihnachten feiern. Ich habe Angst, dass uns über den Winter lieb gewonnene Leute verloren gehen. Sowohl Menschen aus der Crew, die sich neue Arbeitsplätze suchen, als auch Veranstalterinnen und Veranstalter, die nicht bis zum Sommer durchhalten. Der Laden als Firma wird wegen der Hilfspakete auf jeden Fall durch die Krise kommen. Aber ob all die Einzelpersonen, die da dranhängen, nächsten Sommer noch dabei sein werden?

Die Schulden werden uns auf Jahre begleiten. Wir gehen davon aus, dass wir langsam hochfahren können, sobald es warm wird. Aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir wieder richtig aufmachen, bevor viele Menschen geimpft sind."

In Deutschland gibt es rund 1400 Diskotheken, die seit März 2020 keine Partys veranstalten dürfen. Für Open-Air-Events gab es im Sommer einige Ausnahmen.

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