Cornelia Lohs

Journalistin und Buchautorin, Heidelberg

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„Man kann mit einem Aneurysma leben" | Forum - Das Wochenmagazin

Professor Dr. med. Dittmar Böckler - Foto: Privat Was sind die Ursachen für eine Arterienerweiterung? Wie kann man sie diagnostizieren? Und wie behandeln? Dies und vieles mehr weiß Professor Dr. med. Dittmar Böckler, Ärztlicher Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie des Universitätsklinikums Heidelberg.

Herr Prof. Böckler, was genau ist ein Aneurysma? Ein Aortenaneurysma ist eine Aussackung der Bauchschlagader (Aorta), die normalerweise circa zwei bis drei Zentimeter im Durchmesser groß ist. Man spricht von einem Aneurysma, wenn die Aussackung das Zweieinhalbfache ihres Durchmessers erreicht hat. Behandlungswürdige Bauchaortenaneurysmen beginnen bei viereinhalb Zentimetern bei Frauen und bei fünfeinhalb Zentimetern beim Mann, weil ab dieser Größe das Risiko des Platzens (Ruptur) stark zunimmt.

Ein Aneurysma wirkt sich als Arterienerweiterung aus - Foto: Getty Images / Image Source / Kallista Images

Was sind die Ursachen für ein Aneurysma? Die Ursache ist meist eine degenerative Erkrankung der Gefäßwand. Die Arterienverkalkung, im Fachbegriff Arteriosklerose, ist die häufigste Ursache. Die Arteriosklerose wiederum entsteht mit dem Alter und bei familiärer genetischer Häufung. Das heißt, es gibt Familien, die sind häufiger betroffen. Weitere Risikofaktoren sind das Rauchen und hoher Blutdruck, die sogenannte arterielle Hypertonie oder Bluthochdruckkrankheit. Die Faktoren, die da zusammenkommen, multiplizieren sich und führen zur Veränderung der Gefäßwand. Männer über 65 Jahre sind zehnmal häufiger betroffen als Frauen. Eine seltene zweite Ursache sind genetische Bindegewebserkrankungen. Das sind sogenannte Syndrome, bei denen eine Kollagenstoffwechselstörung vorliegt. Hier sind anlagebedingt Enzyme nicht richtig geschaltet, die zu einem unterschiedlichen Aufbau der Gefäßwand des Gewebes führen. Da gibt es das Kollagen und das Elastin, und das Missverhältnis zwischen diesen beiden Bindegewebssubstanzen führt zum Aneurysma. Welches sind die am häufigsten betroffenen Stellen? Prinzipiell kann jede Arterie, selten Venen, zu einem Aneurysma entarten. Es gibt aber typische Stellen - die häufigste ist die herznahe Hauptschlagader (Aorta), die zweithäufigste die Bauchschlagader (Bauchaorta), danach die Brustschlagader. Dann folgen die Kniekehlenarterien und die Leistenarterien. Wenn ein Patient ein Aneurysma an einer Stelle hat, muss man immer schauen, ob sich nicht auch eines an anderer Stelle findet. Es gibt Hinweise darauf, dass jemand, der ein Aortenaneurysma hat, auch in zehn Prozent der Fälle ein Aneurysma der Hirnschlagader haben kann. Letztendlich muss man eine Umfelddiagnostik einleiten. Wie sehen die Symptome aus? Die absolute Mehrzahl der Patienten hat keinerlei Symptome. Die Bauchhauptschlagader befindet sich in der Tiefe des Bauchraumes und ist dort vor der Wirbelsäule platziert. Wenn da ein Aneurysma wächst, wächst es in der Regel langsam und ohne Symptome. Die einzigen Symptome die es gibt, sind dumpfe Flankenschmerzen und Rückenschmerzen, die aber schon als ein drohendes Zeichen einer Ruptur zu werten sind. Diese sind oft sehr unspezifisch und lassen sich nicht unterscheiden, ob sie vom Rücken, der Wirbelsäule oder von der Hauptschlagader kommen. Kommt es zu einer Ruptur, zum Platzen der Schlagader, endet das in der Regel für 80 Prozent der Patienten durch die innere Blutung tödlich. Die dritte Symptomatik ist folgende: Es gibt Blutgerinnsel-Ablagerungen (sogenannte Thrombosen) in der Wand des Aneurysmas, die mit dem Blutstrom abfließen und weitertransportiert werden. Diese können dann aus der Hauptschlagader in die Beine fließen und dort Gefäße verschließen. Das heißt, akute Durchblutungsstörungen der Beine können selten auch mal ein Symptom eines Aortenaneurysmas sein. Das ist jedoch extrem selten. 90 bis 95 Prozent sind reine Zufallsbefunde bei Patienten, die sich aus anderen Gründen einer Ultraschall- oder CT-Untersuchung unterziehen.

Betroffene sollten mögliche Risikofaktoren wie das Rauchen einstellen - Foto: imago images / Westend61

Gibt es eine Vorsorgeuntersuchung? Wer seine Risikofaktoren kennt, männlich, über 65 Jahre, Raucher, Bluthochdruck, kann eine von der Krankenkasse bezahlte Früherkennungsuntersuchung in Anspruch nehmen, bei der eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes und der Bauchschlagader durchgeführt wird. So kann man bei asymptomatischen, also beschwerdefreien Patienten, ein Aneurysma sicher erkennen. Wie erfolgt die Diagnose? Die Diagnose eines Aortenaneurysmas wird in der Regel mit dem erwähnten Ultraschallgerät erstellt, mit dem man die Hauptschlagader gut einsehen kann. Wird der Verdacht bestätigt, erfolgt ab einem gewissen Durchmesser von vier Zentimetern eine Computertomografie (CT) oder eine Kernspinuntersuchung (MRT). Im CT, das mit einem Kontrastmittel durchgeführt wird, können alle Gefäße dargestellt werden. So kann man das Aneurysma genauer ausmessen, beschreiben und sowohl die Indikation als auch die Therapiewahl klären. Wie wird ein Aneurysma behandelt? Es gibt zwei Methoden: die konventionelle chirurgische und die minimal-invasive, auch endovaskuläre, Behandlung. Bei der chirurgischen Therapie wird in Vollnarkose nach Bauchhöhlenöffnung eine Kunststoffprothese als Gefäßersatz eingenäht und das Aneurysma ausgeschaltet. Bei der endovaskulären Therapie wird unter Verwendung von Röntgenstrahlen eine sogenannte Endoprothese (auch Stentgraft genannt) implantiert. Das sind zwei völlig verschiedene Verfahren, die sich aber gegenseitig ergänzen und deshalb von Gefäßchirurgen als alternative Verfahren dem Patienten individuell angeboten werden können.

Betroffene brauchen eine medikamentöse Begleittherapie und Blutdruck­medikamente - Foto: stock.adobe.com / angellodeco

Wie ist der Krankheitsverlauf eines Aneurysmas? Ein Aneurysma wächst durchschnittlich vier Millimeter pro Jahr. Das sind Durchschnittswerte. Man kann aber nicht vorhersagen, ob es bei dem einen oder anderen Patienten schneller oder gar nicht wächst. Deshalb müssen Betroffene, die ein kleines Aneurysma haben, halbjährlich zur Ultraschallkontrolle gehen, damit der Verlauf beobachtet werden kann. In der Regel wächst das Aneurysma langsam, es gibt ganz selten schnelles Wachstum. Wenn es schnell wächst, das heißt einen Zentimeter pro Jahr im Durchmesser, ist die Indikation zur Behandlung auch vor fünfeinhalb Zentimetern Durchmessern gegeben. Ansonsten ist es ein langsamer, schleichender Krankheitsverlauf, ohne dass Betroffene tatsächlich Beschwerden haben und sich des Risikos bewusst sind. Deswegen ist der Verlauf auch ein bisschen tückisch. Das bedeutet, man kann mit einem Aneurysma leben, wenn man es unter Kontrolle hat? So ist es. Es macht keinen Sinn, kleine Aneurysmen - klein heißt unter vier Zentimetern - zu behandeln. Betroffene sollten die genannten Risikofaktoren einstellen. Sie brauchen eine medikamentöse Begleittherapie, Blutverdünnung mit Aspirin zum Beispiel und natürlich auch Blutfettsenker und Blutdruckmedikamente. Damit kann man Patienten konservativ beobachten. Es muss nicht jeder operiert oder minimal-invasiv behandelt werden. Die regelmäßige Nachbeobachtung nach einer ersten gefäßchirurgischen Beratung ist entscheidend.

Modell einer endovaskulären Aneurysma-Reparatur - Foto: Getty Images / iStockphoto / Pitchayanan Kongkaew

Wie ist die Prognose? Wenn man das Aneurysma elektiv operiert in einem Krankenhaus, in dem man solche Eingriffe häufiger macht, ist die Prognose exzellent. Da gibt es gute Langzeitdaten. Patienten sind zwar je nach Behandlungsverfahren zwischen fünf und zehn Tagen im Krankenhaus, aber die Ergebnisse sind ausgezeichnet, das heißt, es gibt keine beziehungsweise nur eine minimale Krankenhaussterblichkeit. Die Komplikationsrate liegt unter einem Prozent in Zentren mit einem hohen Erfahrungsvolumen gegenüber der 80-prozentigen Sterblichkeit, wenn das Aneurysma platzt - in Abhängigkeit vom Durchmesser natürlich. Je größer der Durchmesser, desto höher das Rupturrisiko, das ist ein physikalisches Gesetz. Wenn Sie einen Ballon aufblasen und mehr Druck aufbauen, platzt er eher, wenn er größer ist. Und so ist es ähnlich mit dem menschlichen Gefäß auch. Aufklärung, Beratung, Risikominimierung und kompetente gefäßchirurgische Betreuung sind der Schlüssel zu einer erfolgreichen patientenorientierten Behandlung des Bauchaortenaneurysmas.

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