Viele Jugendliche tun sich schwer, eine Lehrstelle zu finden - auch, weil sie ihre Stärken nicht kennen. Die Frankfurter Initiative „Job-Profis" hilft beim Übergang von der Schule in den Beruf.
Mit gebanntem Blick sitzt Erika am Tisch in einem kleinen Raum der Frankfurter Ludwig-Börne-Schule. Der Reißverschluss ihrer grauen Bomberjacke ist bis zum Hals geschlossen. Die Hände hat die Hauptschülerin unter der Tischplatte vergraben. Etwas verschüchtert schaut die 17-Jährige die Frau an, die ihr in Jeansjacke mit rotem, blumengemustertem Tuch um den Hals gegenüber sitzt und sie unentwegt mit Fragen löchert.
„Sprichst du verschiedene Sprachen? Welche? Bist du ordentlich? Brauchst du klare Strukturen? Machst du dir bei Hausaufgaben einen Plan? Fragst du viel, bist du neugierig?" Petra Pabst ist die Frau, die es genau wissen will. Die 65-Jährige führt an diesem Tag Gespräche mit einem halben Dutzend Hauptschülerinnen und Hauptschülern, um mehr über ihre Neigungen zu erfahren. „Von Interessen kommen wir ganz leicht zu Stärken", sagt Pabst.
Und darum geht es ihr und den „Job-Profis", einer Frankfurter Initiative von Personalfachkräften, die seit fast 20 Jahren regelmäßig Schulen und Jugendeinrichtungen besuchen. Sie unterstützen ehrenamtlich junge Menschen bei der Berufswahl und bereiten sie auf Erstkontakte mit Ausbildungsbetrieben sowie Bewerbungsgespräche vor.
Keine Ausbildung nach dem HauptschulabschlussMan helfe den Jugendlichen, „sich selbst zu entdecken und die eigenen Stärken zu erkennen", sagt Pabst. Als ehemalige Ausbilderin beim Flughafenbetreiber Fraport hat sie jahrelange Erfahrung im Personalbereich und weiß, was von Bewerberinnen und Bewerbern erwartet wird. Das gibt sie in ihrem Ehrenamt als Job-Profi den jungen Leuten weiter, die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen.
Knapp 129 000 Schülerinnen und Schüler haben in Deutschland im vergangenen Jahr ihren Hauptschulabschluss gemacht. Davon hat nach Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung mehr als die Hälfte keine Ausbildung begonnen. Das sind fast 72 000 junge Menschen, die keinen Beruf ergriffen haben. Mehr als zwei Drittel von ihnen wechselten auf weiterführende Schulen. Ein Drittel bleibt „suchend". Und das, obwohl in vielen Branchen ein großer Fachkräftemangel herrscht.
„Viele finden keinen Anschluss"„Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir es uns weiter leisten können und wollen, dass jedes Jahr viele Jugendliche keinen Anschluss finden und gleichzeitig die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze steigt", sagt Andreas Knoke von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. „Es braucht endlich entschlossenes Anpacken, um wirklich allen Jugendlichen die Chance auf eine Ausbildung und damit individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen", fügt Knoke hinzu.
In der Sprechstunde der Job-Profis an der Ludwig-Börne-Schule hat Erika auf die Frage zu ihren Sprachfähigkeiten eine schnelle Antwort: „Italienisch, Englisch, Deutsch, Rumänisch, Spanisch", sagt sie mit leiser, aber klarer Stimme. Ihre Zuhörerin ist beeindruckt. „Es ist wichtig, dass man gut weiß, was man kann", sagt Petra Pabst zu ihr. Und Pabst weiß, dass das Beherrschen mehrerer Sprachen ein Pfund bei der Job-Bewerbung sein kann.
Frankfurter Job-Profis helfen HauptschülernWeitere Informationen sollen aus einem „Interessen-Test" hervorgehen, den Erika wenige Wochen zuvor ausgefüllt hat. Er dient auch als Grundlage für die Fragen von Petra Pabst. Ausgedruckt auf mehreren DIN-A4-Seiten liegt er vor der Schülerin. In dem Test wird abgefragt, ob die Jugendlichen eher handwerklich-technisch, künstlerisch-sprachlich, ordnend-verwaltend, unternehmerisch, intellektuell-forschend oder sozial interessiert sind. Im kommenden Jahr wird Erika ihren Abschluss machen. Entweder beginnt sie dann eine Berufsausbildung oder geht auf eine weiterführende Schule.
Laut Bundesagentur für Arbeit waren in diesem Sommer insgesamt 75 000 Menschen ohne Ausbildungsplatz. „Das wollen wir noch deutlich nach unten drücken", teilte die Vorstandsvorsitzende der Agentur, Andrea Nahles, daraufhin mit. Durch „Nachvermittlungsaktionen" versuchen die Arbeitsagenturen gegenzusteuern. Im letzten Jahr hätten dadurch rund 50 000 Suchende eine Lehrstelle gefunden.
Das Konzept der Job-Profis setzt noch früher an. Es zielt auf individuelle Unterstützung. Noch vor der Berufsvermittlung versuchen die Personalfachleute mit den Schülerinnen und Schülern, deren Interessen und Stärken herauszuarbeiten.
„Auf Augenhöhe" mit den Schülerinnen und Schülern sprechenNeben Mehrsprachigkeit wie bei Erika zählen auch ein Nebenjob oder die Arbeit im Haushalt zu wichtigen Ressourcen, „die für Arbeitgeber interessant sind", sagt Cordula Börß. Die Juristin und ehemalige Personalverantwortliche beim Frankfurter Großanlagenbauer Lurgi ist fast seit Anfang an bei den Job-Profis mit dabei. „Was unterscheidet mich von anderen?" Das sei eine zentrale Frage, die sich die Jugendlichen stellen müssten, sagt die 50-Jährige und ergänzt: „Da reift langsam der Gedanke, dass ich es schaffe, etwas zu machen." Daneben trainieren die Job-Profis mit den Schülerinnen und Schülern „einfache Übungen" wie „Hände schütteln, in die Augen gucken, den eigenen Namen ordentlich sagen".
Der Antrieb für ihr ehrenamtliches Engagement sei vor allem, dass sie weniger privilegierten, jungen Menschen helfen wollen, sagen Cordula Börß und Petra Pabst unisono. „Das war mir immer ein Herzensanliegen", so Pabst. Geprägt haben sie auch ihre eigenen Erlebnisse. Als Alleinerziehende hat Pabst in der Frankfurter Nordweststadt, einem Viertel „mit guter Mittelschicht und sozial Bedürftigeren", zwei Söhne großgezogen und die Unterschiede bei den beruflichen Chancen hautnah erfahren.
Torsten Stüben von der Ludwig-Börne-Schule ist dankbar für die ehrenamtliche Unterstützung. „Die Job-Profis kommen herausragend gut an", berichtet der Lehrer. Weil sie „auf Augenhöhe" mit den Jugendlichen reden würden, „gut und verständlich". An der Haupt- und Realschule in der Frankfurter Innenstadt landeten „nur Kinder, die gescheitert sind", sagt Stüben, der die „Pusch-Klassen" betreut, in die Erika geht. Pusch steht für Praxis und Schule. Die Schulwoche teilt sich für die Jugendlichen, die an anderen Schulen „alle durchs Rost fallen", in drei Tage Unterricht und zwei Tage Praktikum. „Wir versuchen sie in einem Jahr wieder aufs Gleis zu setzen", sagt Stüben.
Erika macht derzeit ein Praktikum als Kosmetikerin. Im kommenden Jahr soll ein weiteres folgen. Arbeiten würde sie am liebsten am Flughafen. „Ich mag es, weil man dort mit Leuten aus sehr vielen Ländern zu tun hat", sagt die Schülerin. Eine weitere Idee von Job-Profi Petra Pabst ist der Beruf der Übersetzerin. In jedem Falle würde Erika am liebsten „ihre sprachlichen Fähigkeiten mehr nutzen".
Seit fast 20 Jahren unterstützen Personalfachkräfte in Frankfurt Jugendliche, die unter erschwerten Bedingungen ins Berufsleben starten müssen. Zwei bis drei Ehrenamtliche aus dem 15-köpfigen Team, das bei der Arbeiterwohlfahrt angedockt ist, besuchen abwechselnd meist Hauptschulen, aber auch Jugendzentren.
Die Job-Profis versuchen bei mehreren Terminen im engen Kontakt mit den Jugendlichen durch einen Interessen-Test mit gemeinsamer Auswertung deren Stärken und Potenziale herauszufinden. So sollen sie eine Berufswahl treffen, die ihren Fähigkeiten entspricht und Perspektive bietet. Geübt werden außerdem Bewerbungs- sowie Telefongespräche. cd
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