Wer in Peking dieser Tage die Sonne sehen will, muss zum Tiananmen-Platz. Dort geht sie alle paar Minuten auf, leuchtend rot: auf einem überdimensionierten LED-Bildschirm, als Teil eines Tourismus-Werbespots. Die echte Sonne haben Pekings Bürger seit Wochen nicht erblickt. Hochhaustürme verschwinden im Nebel, Autobahnen werden mangels Sicht gesperrt, so dicht ist der Smog. Er stammt größtenteils aus Kraftwerken, Heiz- und Hochöfen: aus der Verbrennung von Kohle. Und er wird Jahr für Jahr schlimmer, in Peking, der ganzen Volksrepublik. Denn Kohle ist Chinas Treibstoff für den Aufstieg zur industriellen Supermacht.
China ist der Motor für das Comeback von "King Coal". Der weltweite Verbrauch des fossilen Brennstoffs ist seit der Jahrtausendwende um fast 70 Prozent auf knapp 7700 Millionen Tonnen hochgeschossen. Damit stillt Kohle an die 30 Prozent des globalen Energiebedarfs, so viel wie seit 1970 nicht mehr. Bei der Stromproduktion sind es gar 40 Prozent. Ein Ende der schwarzen Renaissance ist nicht in Sicht. "Ohne gravierende politische Veränderungen oder technologische Innovationen wird die Welt künftig noch mehr Kohle verbrennen", sagt Carlos Fernández Alvarez. Der Spanier ist Hauptautor des neuen "Medium Term Coal Market Report" der Internationalen Energieagentur.
Die IEA prophezeit, dass Kohle bis Ende des Jahrzehnts Erdöl als wichtigsten Energieträger der Menschheit ablösen wird. Ausgerechnet Kohle, das schmutzige Relikt der industriellen Frühzeit - der Klimakiller Nummer eins, verantwortlich für rund 40 Prozent der globalen Kohlendioxid-Emissionen. "Wir haben viel zu lange über Randthemen diskutiert: über Nuklearenergie oder Erneuerbare", sagt Ottmar Edenhofer, Chef-Ökonom des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung: "Die Kohlefrage ist die entscheidende Frage des Klimaschutzes."
Doch ob der noch eine Zukunft hat, erscheint zweifelhaft angesichts der Zahlen. Allein das jährliche Wachstum der chinesischen Kohle-Stromproduktion ist größer als die gesamte Elektrizitätsgewinnung der 25 europäischen OECD-Staaten aus Wind, Solar und Biomasse, heißt es im Kohlemarktbericht der IEA. "Da geht heute im Schnitt etwa jede Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb", sagt Fernández. Würde man Chinas Jahresverbrauch in einen Güterzug packen, wäre er 550.000 Kilometer lang. Und die Waggonkette wird noch länger, prophezeit Fernández. China habe gerade erst richtig damit begonnen, Kohle in relativ preiswertes synthetisches Öl und Gas umzuwandeln.
Billig, global verteilt und reichlich vorhanden
Im Westen hat die Kohle das Image des Gestrigen. "Bei uns herrscht vielerorts das Bild vor, die Kohle sei ein Dinosaurier, der bald von selbst abtritt", kritisiert Edenhofer. "Das Gegenteil ist jedoch der Fall, man redet sich die Realität schön." Deutschland etwa produziert seit dem Atomausstieg wieder mehr als 45 Prozent seines Stroms aus Braun- und Steinkohle.
Vor allem drei Gründe sprechen für das Fossil:
Kohle ist billig: Ihre Brennstoffkosten liegen in Europa laut IEA zwischen 3 und 3,5 Cent je Kilowattstunde. Elektrizität aus Erdgas lässt nur etwa halb so viel CO2 entstehen, ist hier aber locker doppelt so teuer. In den USA verdrängt Fracking-Gas zwar teils die Kohle; diese aber wird nun verstärkt nach Asien exportiert und treibt die Preise noch weiter nach unten. Kohle ist global verteilt: Mehr als 70 Staaten haben bedeutende Vorkommen oder können ihren Eigenbedarf decken - anders als bei Erdöl und Erdgas, wo sich das Gros der Lagerstätten auf wenige, politisch oft heikle Regionen konzentriert. Kohle ist reichlich vorhanden: Die wirtschaftlich abbaubaren Reserven reichen nach jetzigem Stand weit über 100 Jahre."Nicht die fossilen Energien sind heute die knappe Ressource, sondern der begrenzte Deponieraum für CO2 in der Atmosphäre", sagt Klimaexperte Edenhofer. "Wir haben 12.000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff im Boden, dürfen aber nur 230 bis 280 Milliarden Tonnen verbrennen" - sonst werde das Ziel einer Erderwärmung von höchstens zwei Grad verfehlt. Schon jetzt emittieren die Kraftwerke gut drei Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr; das Massachusetts Institute of Technology hält eine Verdreifachung bis 2050 für möglich.
Klimaforscher fordern Renaissance der Atomkraft
CCS (Carbon Capture and Storage) könnte ein Ausweg sein: die Abscheidung des CO2 aus Kraftwerksabgasen und seine Einlagerung in unterirdische Lagerstätten. Doch die Erforschung der Technik ist ins Stocken geraten; auch Deutschland erlaubt nur einige wenige Demonstrationsprojekte. "Wir haben Jahre bei CCS verloren", klagt Edenhofer, "und uns an der Illusion genährt, Erneuerbare würden die Kohle automatisch verdrängen". CCS wird frühestens in einem Jahrzehnt marktreif. Bis dahin werden Tausende Kohlekraftwerke in Betrieb gegangen sein.
Um doch noch potentiell katastrophale Klimafolgen zu verhindern, fordern manche Forscher deshalb den massiven Ausbau der Atomenergie. Zudem seien Kernkraft- weniger gefährlich als Kohlekraftwerke, deren Abgase allein in der EU für viele tausend vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich sind. Ironischerweise stoßen die Wissenschaftler damit auf heftigen Widerspruch von Umweltverbänden, die traditionell gegen Atomenergie sind.
Eine Hoffnung hat Edenhofer noch: dass Staaten weltweit ihren Treibhausgas-Ausstoß durch Handelssysteme für Verschmutzungs-Zertifikate begrenzen - trotz der Probleme des EU-Emissionshandels. Insbesondere die Finanzminister dächten zunehmend über eine CO2-Bepreisung nach, sagt Edenhofer: nicht wegen der globalen Erwärmung, sondern wegen der Einnahmen - und der örtlichen Umweltprobleme durch Kohle. "Die lokale Luftverschmutzung ist so hoch", sagt Edenhofer, "dass niemand die Folgen übersehen kann".
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