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Palermo: Gin-Fieber in Italien

Wo war sie noch mal, diese eine Bar an dieser schönen Piazza, wie hieß sie nur? Schon molto bello alles hier, aber man kann auch wahnsinnig werden, wenn man in den Gassen etwas sucht. Wenn die motorini ganz dicht an einem vorbeiknattern, die Hitze aus den Steinen in den Kopf steigt, die Autos am Zebrastreifen einfach nicht halten wollen. Palermo è pazza, sagen die Einheimischen über ihre Stadt; sie ist chaotisch, verrückt.

Die Bar, die ich suche, lag - das weiß ich noch - ruhig. Irgendwo zwischen dem Vucciria-Markt und dem Viertel Kalsa mit seinen Kirchenglocken und dem Gehupe. Die Bar lag ideal zum Beobachten, gegenüber eines Palazzo, etwas heruntergekommen und wunderschön, wie die Stadt selbst. Ich will schon aufgeben, da stehe ich plötzlich vor ihr: der Bar, in der ich vor ein paar Jahren zufällig mal saß. Sie heißt Bàsoli.

Die Besitzerin Lavinia rückt gerade erst draußen die Stühle zurecht. Es ist 18.30 Uhr, zu früh. Auf der Piazza, die sich das Bàsoli mit einer anderen Bar teilt, ist fast niemand außer mir. Ein Mann schlurft mit einer schwarzen Katze auf der Schulter umher, ein Pärchen holpert auf einem E-Roller vorbei. Es weht ein warmer Wind vor dem Aperitivo-Ansturm in ein, zwei Stunden.

Auf dem dunklen Holz eines Fensterladens der Bar steht: "Verweile nicht, wo du nicht trinken kannst." Ich verweile, möchte trinken. Lavinia empfiehlt einen Negroni Siciliano und stellt ihn wenig später auf den wackeligen, runden Tisch. Er schimmert hellorange wie wahrscheinlich gerade das Meer. Cin cin, sage ich mir, er schmeckt sanft, lieblich, mild, gar nicht negronihaft bitter, sondern so, als könnte es ein entspannter Abend werden. Ich stochere gerade mit der Orangenschale im Drink herum, als Lavinia kommt und mir erklärt, was an dem Negroni alles siciliano ist.

Ein Gin-Fieber sei in Italien ausgebrochen, überall werde gerade welcher hergestellt, und in meinem Drink sei er auch: Gin aus Palermo namens Cinghiardo. Dazu Etna-Wermut und Etna-Bitter aus Catania, der zweitgrößten Stadt der Insel. Wo meine Orangenschale herkommt, frage ich erst gar nicht.

Stattdessen spreche ich Lavinia auf das Graffito an der Hauswand gegenüber an. Es zeigt Paolo Borsellino, den vor 30 Jahren in Palermo von der Mafia ermordeten Richter und Nationalhelden. Tvboy, ein in Italien bekannter Künstler aus Palermo, hat ihn dort verewigt. Borsellino sieht aus, als würde er von der Arbeit kommen, lebensgroß, mit Aktentasche und Krawatte. Nur ein paar Straßen weiter sei er aufgewachsen, erzählt Lavinia, seine Tochter wohne im Palazzo an der Piazza und komme oft in diese Bar. Leider gehen kurz darauf zwei junge Frauen an dem Graffito vorbei, von denen die eine auf Deutsch die andere fragt: "Schwööör, ist das Erdoğan?" Ein Zeichen, ich ziehe weiter.

Lavinia empfiehlt als Nächstes das Socio, es sei aber ein Stück dorthin, halbe Stunde etwa. Va bene. Da Busse in Palermo eher nicht fahren, flaniere ich durch die Fußgängerzonen, vorbei an Säulen, Palmen, Straßenmusik, klimatisierten Geschäften, an inzwischen sehr gut besuchten Restaurants und dem Teatro Massimo, einem der größten und prächtigsten Opernhäuser Europas.

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