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Gastronomie in Italien: Sterne über Roccagorga

Mittagszeit in Roccagorga, einem Bergdorf in der Region Latium knapp 100 Kilometer südöstlich von Rom. Wenn es hier Menschen gibt, haben sie sich gut versteckt. Autos parken am runden Platz vor der Kirche, ein alter Fiat Panda erholt sich in einer geöffneten Garage. In einer Bar läuft Radio. Die Fensterläden an den Steinhäusern sind dicht.

Ausgerechnet in diesem verschlafenen Kaff wollen die Jungköche Oskar Schwarz-Perndl, 21, und Marco Bruni, 23, alles neu denken. Sie wollen Ricotta aus der Region mit Curry kombinieren, Kaffeerisotto und Wassermelonenpasta wagen, kurz: sie wollen das Dorf zu einem kulinarischen Hotspot machen und sich dorthin kochen, wo ihr im Februar eröffnetes Restaurant La Tana Dei Carbonari jetzt schon liegt: ganz oben.

Vielleicht macht die dünne Bergluft den Österreicher und den Italiener übergeschnappt, vielleicht ist dieser abgeschiedene Ort aber auch genau der richtige Ausgangspunkt für eine Erfolgsgeschichte. Wie zum Beispiel die von Ana Roš, die Top-Sportlerin hätte werden können, sich dann aber das in einem Dorf in Slowenien beibrachte und 2017 zur besten Köchin der Welt gekürt wurde.

"Klar, der Ort ist unbequem", sagt Marco Bruni, "aber vielleicht können wir ihn verwandeln, in einen Ort, in dem Menschen Außergewöhnliches essen können." Auf diese Weise werden nicht nur Köche berühmt, sondern auch die Regionen, in denen sie kochen. Ein heute von Abwanderung betroffenes Dorf könnte morgen schon wiederbelebt werden, wenn es dort schmeckt. In einer leblosen Gasse in Roccagorga könnte eines Tages ein Hotel eröffnen, in dem die Gäste von Bruni und Schwarz-Perndl übernachten, wenn sie drei Gläser Wein getrunken haben. Junge Menschen würden Arbeit finden und den Ort nicht verlassen müssen, wie alle anderen, weil der Ort so verlassen ist.

"Ich hatte damals schon gedacht: Das hier könnte eines Tages mein eigenes Restaurant sein."

Oskar Schwarz-Perndls und Marco Brunis gemeinsame Geschichte beginnt 2021 in Modena, in der Küche von Massimo Bottura, dem berühmtesten italienischen Koch, dessen Osteria Francescana 2016 und 2018 zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde und der mittlerweile gleich eine Reihe von Restaurants an verschiedenen Orten der Welt betreibt.

In der Osteria Francescana war Bruni der erste, der dort anfing, er gehorchte, schnibbelte, lernte und war dabei in Gedanken bei seinem Plan, das Restaurant seiner Eltern in Roccagorga mit neuem Leben zu füllen. Einen Monat später startete Schwarz-Perndl bei Bottura. "Marco war das erste Gesicht, das ich gesehen habe" sagt Schwarz-Perndl. Sie seien sich sympathisch gewesen, in der Pause zusammen einen Caffè trinken gegangen, Bruni habe Schwarz-Perndl gleich Fotos vom Familienrestaurant gezeigt. Früher war es mal ein Wohnhaus der Großeltern, später das Wochenendhaus der Familie. Seine Eltern betrieben einen Radiosender und entschieden sich dann, aus dem Ferienhaus ein Restaurant zu machen. Bruni war 13, 14, half bei der Renovierung mit: "Ich hatte damals schon gedacht: Das hier könnte eines Tages mein eigenes Restaurant sein." Aber allein?

Als junger Auszubildender in Modena versucht er bald, Oskar Schwarz-Perndl zu überzeugen, mitzumachen. An einem freien Tag fahren sie hin, sechs Stunden, vier Stunden Ortsbegehung, sechs Stunden zurück nach Modena. "Da habe ich gewusst: Ich bin dabei", sagt Schwarz-Perndl. Die Ausbildung bei Bottura ist hart, sie arbeiten 16 Stunden am Tag und nutzen fortan dennoch jede freie Sekunde, um an ihrem gemeinsamen Plan zu feilen, schieben das Fahrrad nach der Arbeit durch die Stadt, um besser über mögliche Rezepte sprechen zu können. Und das, obwohl sie sowieso schon zusammen wohnen.

Im Februar 2022, nachdem die jungen Köche ihre Ausbildung bei Massimo Bottura abgeschlossen haben, geht es los. Sie ziehen nach Latina, der nächstgrößeren Stadt, nahe Roccagorga. Im Restaurant rümpeln sie den Keller aus, richten alles ein, ohne viel Geld, dafür mit Handarbeit. Ein kleiner Raum, ein Kamin, links und rechts daneben zwei Terrassentüren, der Blick über die Berge.

Die Geschichte einer Freundschaft

Die Eltern übergeben ihrem Sohn das Restaurant, nicht weil es an Lust, Gästen oder Geld mangelt, sondern weil sie ahnen, dass er es besser machen könnte. Die Antiquitäten der Eltern und vieles vom ehemaligen Mobiliar finden bei Oskar Schwarz-Perndl und Marco Bruni wieder einen Platz. Etwa die alten Holzstühle und Tische. An den Wänden hängen Werkzeuge, Körbe, Pfannen. Neben den vier Esstischen im Innenraum lagern verstaubte Weinflaschen, stehen Bücher, Muscheln und ein Schiff. Der Boden knarzt.

Die Jungköche besuchen Märkte, probieren, entwerfen Menüs, testen und tüfteln etwa einen Monat und warten dann gespannt auf ihre ersten Gäste.

Egal, ob es mit der Spitzengastronomie klappt, dies ist auch die Geschichte einer Freundschaft zweier junger Männer. Marco Bruni, schwarzes Shirt, schwarze Hose, schwarze Schlappen, hat das Gastgeber-Gen, er kommt aus der Küche, erklärt zurückhaltend die Gerichte, lächelt und verschwindet wieder: Buon appetito! Seine Familie fuhr früher nach Umbrien, um eine bestimmte Salami zu probieren und für den guten Wein in die Toskana. Nach der Schule bekam er ein Stipendium, arbeitete in den besten Küchen Europas, bei seinem Idol David Muñoz in London, in Madrid und Florenz und eben bei seinem anderen Helden in Modena, Bottura. Alle Jobangebote, denn die bekam er, lehnte er ab. Heute ist er Restaurantbesitzer, Oskar Schwarz-Perndl sein Angestellter.

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