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Sizilien: Ohne Granita ist es kein Sommer

Ach, Italien! Es gibt kaum einen schöneren Seufzer, um unserer ewigen Sehnsucht nach mehr Lebensfreude und Genuss Ausdruck zu verleihen. Unsere Sommerkolumne nimmt Sie mit auf die Reise.

"Cocco bellooo, cocco frescooo!" - der Schrei weckt mich. Ich blinzle, der erste Blick geht zum Meer. Ist noch da. Ich sehe Männer mit Sonnenbrillen, die hüfthoch im Wasser stehen und es mit den Händen kreisend von sich wegschieben. Und eine Frau, die weit rausschwimmt. Da der Berg, hier der Badeort, Mondello, für wie der Wannsee für Berlin, 1,5 Kilometer Strand, bestimmt 30 Grad. Nach dem Panino muss ich eingenickt sein. Später werde ich feststellen, dass ich mir die Füße nicht eingecremt hatte. Im Ohr knirschen Sandkörner. Meine Brust brennt, das Gesicht nass. Diese Hitze! Kaum auszuhalten, wie schön das ist.

An unserem Strand in Apulien, in der Heimat von papà, lief früher, als ich klein war, ein älterer Mann um die Liegen. Er ging den Strand hin und her, war dürr, hatte sonnengebräunte, ledrige Haut und trug Eimer, aus denen Wasser schwappte. Auch er krächzte: " Cocco bellooo."Ich habe mich immer gefragt, wie er barfuß durch den Sand kam, den ganzen Tag, wo ich es doch nicht einmal rennend ins Meer schaffte. Manchmal kauften wir bei ihm Kokosnussscheiben. Natürlich waren sie warm.

Hinter mir, über den Sonnenschirmen, in der Bar an der Promenade verkaufen sie gelati. Ich überlege kurz. Dann wieder, diesmal von weiter weg, der Kokosnussmann: " Cocco fresco!" Mein Sound des Sommers. Ich torkele ins Meer.

Am nächsten und noch heißeren Tag suche ich direkt in der Stadt einen Zugang zum Wasser, finde aber nur den Hafen und die Metalltische, auf denen die gefangenen Calamari zucken. Ich brauche eine Granita, das sizilianische Wassereis, auf ein Frühstück. Bei Al Cassaro soll es die Beste geben. Möge sie mir das Hirn einfrieren! Um 12.06 Uhr sperrt Massimo das Gitter auf. Die Touristen warten schon. Ein junges deutsches Paar bestellt das erste Eis des Tages in Brioches, wie echte Sizilianer. Um 12.20 Uhr bildet sich eine kleine Schlange. Ich bin dran und frage Fabio Coffari, was ich denn probieren sollte. Auf seinem grellgrünen T-Shirt steht " L'Artista del Gelato", der Eiskünstler. Mandel und Pistazie. Und Schlagsahne! Ich vertraue ihm.

Die Granitaist eine Granate. Besser kann ich 2,50 Euro bei diesen Temperaturen nicht investieren. Wer das Slushy nennt, muss damit rechnen, dass die Granita zurückschlägt. Ich esse viel zu schnell, an einem Stehtisch, draußen in der Sonne und an einem Ort, den ich durch Stäbchen aus Corona-Testzentren besser kennengelernt habe, friert es kurz. Ich genieße die Gehirnkälte für ein paar Sekunden, bis ein Auto direkt vor mir rückwärts deftig gegen eine Wand fährt - in einer Fußgängerzone. Eine Frau, die neben mir Granita löffelt, ruft: Pumm!

Granita gibt es in Palermo überall. Am Hafen, auf den Märkten und wenn das Hochzeitspaar aus der Kirche kommt und die Frauen in fliederfarbenen Glitzerkleidern und die Männer in dunkelblauen Glitzeranzügen im Schatten des gemietetenGranita-Wagens schlürfend warten. In Deutschland heißt es ja oft, Menschen im Süden Europas würden zu wenig arbeiten und lieber gelato essen. Wer schon mal im Juni in Palermo war, weiß: Ohne gelato kann man gar nicht arbeiten. Zum Glück gibt es welches oder wie sie hier auf Sizilien sagen: das beste .

Dann schwitze ich schon wieder, ohne mich groß bewegt zu haben, und gehe rein, dahin, wo die Kühlschränke surren, zu Massimo und Fabio, die gelati und granite verkaufen, meistin den Sorten gusti limone, nocciola, pistacchio. So, Fabio, scusami, bescheuerte Frage, ich weiß, aber was ist das Geheimnis hinter deiner Granita? Was darf ich den Leserinnen und Lesern verraten? Wie kann man so was selbst machen? Fabio setzt an, es sei ja eigentlich sehr einfach, man brauche nur Wasser, Zucker und je nachGeschmack Mandeln, Pistazien oder ganz klassisch: Zitronen. Er spricht von mikroskopischen Eiskristallen, sagt, es dürfe nur kurz kalt sein im Mund und müsse sofort schmelzen, bricht dann aber alle weiteren Ausführungen ab und sagt: Das wird doch nichts, das würde niemand schaffen. Fabio, ehrlich: Wie sollen die das denn machen? Ohne die Maschinen, die alles verrühren? Es sei einfach, aber eben auch kompliziert. Er verarbeite Zitronen aus Ciaculli, Mandeln aus Avola und Pistazien aus Bronte. Im Winter Mandarinen. Frische Zutaten aus Sizilien, das sei das Geheimnis.

Ich sehe mich um, entdecke neben der Eisvitrine ein Pistazienzertifikat. Stimmt, kommen aus Bronte.

"Es ist original", sagt Fabio.

"Die fälschen die Zertifikate?", frage ich entsetzt.

" A Palermo fanno tutto", sagt Fabio, in Palermo machen sie alles. Er rührt dabei in der besten Granita, die ich je gegessen habe.

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