1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Italien - Österreich: Grummeln, Zittern, Fingernägelkauen - Erlösung

24 Mannschaften treten bei der Fußballeuropameisterschaft an. Für jede hat eine Redakteurin oder ein Autor von ZEIT ONLINE oder DIE ZEIT die Patenschaft übernommen. Unsere EM-Paten begleiten ihr Team durchs Turnier und schreiben persönliche Spielberichte.

Italien - Österreich 2:1 (0:0, 0:0)

Florenz. Die meisten der insgesamt noch sehr wenigen Touristen, die zum "Dolce Vita tanken" durch die erhitzten Gassen wackeln, wissen vermutlich nicht, dass das Trainingszentrum der italienischen Nationalmannschaft nicht einmal fünf Kilometer östlich vom Dom, in Coverciano, liegt. Dort tollten sie also herum, in einer Gute-Laune-Blase, wenn sie nicht gerade in Rom Gruppenspiele gewannen, die Locatellis und Spinazzolas. Und alles, was wir über sie erfahren konnten, entnahmen wir italienischen Tageszeitungen, die etwa berichteten, dass die Europameisterschaftstorschützen Manuel Locatelli und Matteo Pessina in ihrer Freizeit lieber Tischtennis als Playstation spielten. Dass die Angreifer Ciro Immobile und Andrea Belotti, engste Freunde, die um einen Platz im Sturmzentrum konkurrieren, gemeinsam in einem Zimmer schlummerten und sich lediglich in der Frage uneins waren, ob bei offenem (Immobile) oder geschlossenem (Belotti) Fenster geschlafen werden soll. Und aus Lorenzo Insignes Instagram-Stories wissen wir, dass dieser ständig versucht, Ciro Immobile zu erschrecken. Einmal verharrt Insigne auf allen Vieren vor eine Tür, bis der Ciro kommt: EHHHIIII! HAHA! Ach, wäre doch nur immer Gruppenphase!

Nun aber Wembley, Achtelfinale, Marko Arnautović kennt keine Angst. Der Stürmer von Österreich hat es vor dem Spiel angekündigt, hält sich daran und seine Mitspieler auch. Die Verteidigung , bislang ohne Gegentor, muss doch irgendwie zu knacken sein. Sein Trainer Franco Foda sieht das ähnlich, er sagte vor dem Spiel: " Irgendwann kommt der Tag, wo auch bei Italien etwas nicht funktioniert." Die Anfangsphase verläuft aufgeregt, denn auch wenn die Squadra Azzurra plötzlich zu den Favoriten auf den Turniersieg zählt, ein solches K.-o.-Spiel bestritten sie länger nicht. Nicolò Barella humpelt nach einem Foul ein paar Minuten, schießt dann mal, gehalten. Marco Verratti dreht und dreht und dreht sich mit Ball im Kreis. Immobile zimmert in der 31. Minute fast aus dem Stand nur ans Lattenkreuz. Italiens Trainer Roberto Mancini, bei bisherigen Spielen eher locker-lässig drauf, fuchtelt herum, als wüsste er schon, was an diesem Abend auf seine Spieler zukommt. Halbzeit, 0:0. Ist der Tag etwa schon gekommen?

Sempre Laimner!

Ja, denkt man, wenn man den Beginn der zweiten Halbzeit sieht. Österreich bekommt aus einem Grund, den beim gemeinschaftlichen Pizzaessen und EM-Gucken in Florenz niemand versteht, in der 49. Minute einen Freistoß. Grummeln, Fingernägelkauen, der wechselt doch gerade von Bayern München zu Real Madrid! Alaba, knapp drüber. Was ist hier los? Aus dem Spiel wird eine Zitterpartie. Grölten wir nicht vor ein paar Tagen noch Notti Magiche, magische Nächte, den Refrain des WM-Songs Un' estate italiana von 1990 von Gianna Nannini und Edoardo Bennato? 65. Minute, Österreich geht in Führung! David Alaba leitet eine Flanke per Kopf zu Arnautović weiter, der keine Angst kennt und den Ball ins Tor köpft. Noooo, notti tragiche! Italien liegt zurück, das kennt man gar nicht mehr. Doch dann, während wir uns sammeln, relativ unverhofft, ein Videobeweis: Abseits. Ganz knapp. Florenz feiert, es fühlt sich an wie ein Tor für Italien. Tor von Anthony Taylor, dem Referee. K.-o.-Spiel, alles ist möglich, ein Tor reicht, aber es steht immer noch 0:0. Das müsste jetzt doch die Backpfeife sein, die das Team aufweckt, wie die italienischen Kommentatoren auf Rai Uno halb nüchtern, halb hoffend sagen.


Zum Original