Claudia Mende

Journalistin, Dozentin, München

1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Endlich tut sich was für die Frauen

Frauen haben die Arabellion 2011 entscheidend geprägt. Auch wenn sie noch immer nicht wirklich gleichberechtigt sind, ist ein Wandel spürbar. 


Frauen aus allen Schichten der Gesellschaft waren vorne mit dabei, als 2011 eine Welle von Protesten die arabische Welt erfasste. Politisch haben sich ihre Hoffnungen auf Bürger- und Freiheitsrechte nur in Tunesien erfüllt, das den Weg in Richtung Demokratie eingeschlagen hat. Syrien, Jemen und Libyen sind dagegen in Bürgerkriegen versunken; in Ägypten, Libanon, Jordanien und Marokko ist die politische Unterdrückung heute größer als noch vor zehn Jahren. Dennoch sei ein gesellschaftlicher Wandel im Gange, der die Lebenswelten von Frauen verändert, sagt die Ingenieurin Fatema El Shafee aus Assiut in Mittelägypten (der Name ist geändert).

Die 54-Jährige war damals unter den Protestierenden in der 500.000-Einwohner-Stadt im Niltal rund 400 Kilometer südlich von Kairo. Die Arabellion war für sie auch ein Aufbäumen gegen traditionelle Rollenbilder. „Vor 2011 haben ägyptische Frauen weder politisch noch im sozialen Leben eine Rolle gespielt. Manchmal durften wir noch nicht einmal über unser eigenes Leben bestimmen." Das Leben einer ägyptischen Frau ihrer Generation bestand darin, zu heiraten, Kinder zu bekommen und Geld zu verdienen. Ihr Einkommen sollte sie ausschließlich für die Belange der Familie ausgeben, dabei sämtliche Hausarbeit übernehmen und sich um die Schulkarriere der Kinder kümmern. „Das alles ohne jegliche Anerkennung oder Mitspracherechte. 2011 haben die jüngeren Frauen dann gesagt, jetzt ist Schluss, wir haben auch Rechte und ihr Männer müsst uns endlich schätzen."

Frauenfeindliche Einstellungen weit verbreitet


Die Benachteiligung von Frauen gilt in der Region als zentrales Entwicklungshemmnis. Im vom Weltwirtschaftsforum erstellten Global Gender Gap Report, der die Gleichstellung von Frauen weltweit bewertet, stehen arabische Länder regelmäßig im letzten Viertel der Vergleichsliste. Arabische Gesellschaften sind nach wie vor geprägt von tief verwurzelten, frauenfeindlichen Einstellungen. Allerdings ist die regionale Bandbreite groß. In Tunesien herrschte auch vor 2011 schon weitgehende rechtliche Gleichberechtigung, anders als etwa in Saudi-Arabien, wo Frauen erst seit 2018 Autofahren oder alleine reisen dürfen und bei wichtigen Entscheidungen wie etwa der Partner- oder Berufswahl nach wie vor von Vätern oder Ehemännern abhängig sind. Sozial besteht eine große Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen gebildeten Eliten, die ein Leben fast wie in Europa führen, und Frauen, die etwa als Landarbeiterinnen oder in Fabriken arbeiten und häufig noch Analphabetinnen sind.

Die Arabellion hat durchaus Veränderungen angestoßen: Bisher totgeschwiegene Probleme wie Gewalt gegen Frauen kamen ans Tageslicht, Frauen fordern sexuelle Selbstbestimmung, ein Ende männlicher Bevormundung, mehr politische Teilhabe. Familienbilder und Geschlechterrollen ändern sich. Der größte Wandel geschieht wohl in den Köpfen der Frauen selber.

Frauen brechen ihr Schweigen

Fatema El Shafee setzte sich 2011 als alleinerziehende Mutter aus Ägypten über die Bedenken ihrer Familie hinweg und ging mit ihren beiden Söhnen demonstrieren. Ihre Familie, so sagt sie, habe sie dafür gehasst. „Für sie war ich komplett verrückt. Dass ich meine beiden Jungs mit auf eine Demonstration nahm, wo wir hätten umgebracht, verhaftet oder belästigt werden können, konnten sie nicht verstehen. Sie hatten solche überholten Vorstellungen im Kopf", erinnert sie sich.


Für Asma Gatri aus der tunesischen Stadt El Kef an der Grenze zu Algerien war es dagegen kein großer Schritt, 2011 in ihrer Heimatstadt auf die Straße zu gehen. „Wir Tunesierinnen hatten schon vor der Revolution unseren Platz an der Öffentlichkeit. Aber wir wollten mehr", sagt die heute 29-Jährige. Gatri ist Umweltingenieurin, sie berät Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen. Bevor sie sich 2017 selbstständig machte, hat sie bei einer nichtstaatlichen Organisation gearbeitet, die Frauen in ländlichen Gebieten darin unterstützt, sich gegen Gewalt zu wehren. „Das Thema Gewalt gegen Frauen beschäftigt mich sehr." Gerade hier sind Fortschritte in der ganzen Region erkennbar. Vorher ein gesellschaftliches Tabu, ist das Problem seit 2011 in der Öffentlichkeit präsent. Aktivistinnen drängen auf besseren rechtlichen Schutz, Frauen brechen ihr Schweigen und zeigen Täter an, machen ihre Schicksale öffentlich.


Frauenfeindliche Gesetze abgeschafft


In Jordanien, im Jemen und im Libanon wurden nach 2016 frauenfeindliche Gesetze abgeschafft, nach denen Vergewaltiger straffrei ausgingen, wenn ihre Opfer in eine Ehe einwilligten. Die Strafen bei sogenannten „Ehrenmorden" wurden verschärft. Jetzt müssen die Täter mit langen Haftstrafen rechnen, teilweise erhalten gefährdete Frauen besseren Schutz, etwa in Frauenhäusern.


Auch in Tunesien verbesserte sich die Rechtslage. Für Asma Gatri ist das „Gesetz 58" ein Meilenstein für Frauenrechte. Es wurde 2017 einstimmig vom nationalen Parlament in Tunis verabschiedet und stellt alle Formen von Gewalt gegen Frauen unter Strafe. Außerdem regelt es, wie Opfer Zugang zu ihrem Recht erhalten und im Zweifelsfall Hilfe bekommen. „Gesetz 58 war fundamental für uns", sagt sie. „Wegen der Revolution sind Frauen heute viel freier." Wenn eine Frau früher zum Beispiel bei einem Termin bei der Bank sexuell belästigt wurde, hatte sie kaum Möglichkeiten, sich zu wehren. Das ist heute anders.

Fortschritte vor allem in großen Städten


Zwar geben in Umfragen heute immer noch zwei Drittel der Tunesierinnen an, sexuelle Belästigung zu erfahren. Auch neigt die Gesellschaft noch immer dazu, den Opfern die Schuld an solchen Vorfällen zu geben. Aber junge, gut ausgebildete Frauen wie Asma Gatri sind nicht mehr bereit, Übergriffe klaglos hinzunehmen, und das macht einen großen Unterschied. Gatri selbst sagt, sie akzeptiere sexuelle Belästigung nicht. Einmal habe sie sich sogar physisch zur Wehr gesetzt. „Das Gesetz schützt uns, und es gibt mittlerweile auch viele Organisationen, an die man sich wenden kann."


Auch in Ägypten sind die Zeiten passé, in denen sexuelle Belästigung unhinterfragt zum Frausein dazu gehörte. Vor 2011 sprach man nicht über Gewalt in den Familien oder auf der Straße, meint Fatema El Shafee. „Inzwischen hat sich in Kairo und den großen Städten das Bewusstsein durchaus verändert." Bis das in die Kleinstädte und ländlichen Gebiete einsickere, werde es aber noch dauern. „Im ländlichen Oberägypten hat sich noch nicht viel getan". Gewalt in den Familien ist dort weit verbreitet, auch „Ehrenmorde" kämen vor. Das habe auch mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation zu tun. Es herrscht oft bittere Armut, das Gros der Menschen muss mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen, in den letzten Jahren hat sich die Wirtschaftslage weiter verschlechtert.


2014 definierte ein ägyptisches Gesetz erstmals sexuelle Belästigung überhaupt als Straftat. 2018 verurteilte auch die Al-Azhar-Universität in Kairo, die wichtigste Institution des sunnitischen Islam, sexuelle Belästigung - und zwar ausdrücklich unabhängig davon, wie eine Frau gekleidet ist. Das ist wichtig, denn häufig müssen sich Betroffene anhören, sie seien an den Übergriffen selbst schuld und hätten sie durch ihre Kleidung oder ihr Verhalten provoziert.


Scheidung kein Stigma mehr


Gesellschaftlicher Wandel zeigt sich auch an der Situation von Geschiedenen oder Alleinerziehenden. Als geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter hat Fatema sozialen Druck erlebt. „Es war ein Stigma, geschieden zu sein. Man fühlt sich einfach furchtbar schlecht." Ihre Familie habe sie gedrängt, nicht alleine auszugehen; sie hat das aber nicht akzeptiert. „Weil ich immer berufstätig war, konnte meine Familie sich nicht durchsetzen."

Heute, sagt sie, reisen Frauen allein, gehen abends allein aus, ziehen zum Studieren in eine andere Stadt oder leben alleine - zumindest in den Großstädten. Sie heiraten später oder gar nicht und stellen damit in Ägypten alte Rollenmuster infrage, die lange Zeit unhinterfragt galten.


In Marokko gab es 2011 nur ein paar Demonstrationen, ansonsten blieb das Königreich vom Arabischen Frühling relativ unberührt. 2004 war dort bereits ein moderneres Familienrecht eingeführt worden, das die Gleichberechtigung von Mann und Frau festschreibt. 2016 wurde es im islamischen Familienrecht nochmals dahingehend präzisiert, dass Mann und Frau gleichberechtigt in der Familie Entscheidungen fällen dürfen. Der Mann gilt nicht mehr als Oberhaupt der Familie. In der Praxis mag das in der konservativen marokkanischen Gesellschaft noch nicht so sein, aber rechtlich sind derlei Regelungen echte Meilensteine.

Tatsächlich mischen sich auch in Marokko Ehemänner, Brüder oder Väter in die persönliche Lebensführung von Frauen ein, wollen zum Beispiel bestimmen, wie diese sich kleiden, ob sie das Kopftuch tragen oder nicht, und kontrollieren, was sie in ihrer Freizeit machen. Sie sehe sehr wohl, dass viele Marokkanerinnen mit dieser Einmischung in ihr Leben zu kämpfen hätten, sagt Amal Kenzari aus Casablanca. „Aber ganz ehrlich, ich verstehe diese Frauen nicht, die sich immer als rechtlose Opfer darstellen und sich in alles reinreden lassen. Man muss Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen." Kenzari, 28 Jahre alt, hat gemeinsam mit einer Freundin ein Sozialunternehmen aufgebaut. Sie entwirft Lederwaren, die von Berberfrauen aus der Umgebung von Casablanca hergestellt werden, und verkauft diese in Marokko und Europa.

Eine selbstbewusste junge Frau mit eigenen Zielen


Kenzari verkörpert eine junge Generation selbstbewusster Frauen, die ihre eigenen Ziele im Leben verfolgen und sich diese nicht nehmen lassen. „Mein Vater hat mich immer ermutigt", sagt Kenzari, „aber er mischt sich nicht in mein Leben ein."

Die junge Unternehmerin ist unverheiratet und stark im Beruf engagiert. Die Frage, ob sie das als verheiratete Frau auch so machen könnte, beschäftigt sie sehr. Im Geschäftsleben habe es durchaus Vorteile, eine Frau zu sein, meint sie. „Für junge Gründerinnen wie mich gibt es viele Programme. Ich bekomme eine Unterstützung, die Männer in der Form nicht erhalten." Das sieht auch Asma Gatri aus Tunesien so. Aber beide Frauen sind zurückhaltend, was das Thema Ehe und Familiengründung betrifft, „denn wir leben in einer Gesellschaft, die Frauen alle Hausarbeit aufbürdet", meint Amal Kenzari, „und das alles neben ihrem Beruf. Es ist sehr schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren."


In Tunesien wird seit 2011 viel über die Arbeitsteilung in den Familien diskutiert; die alte Rollenverteilung steht auf dem Prüfstand. „Frauen haben angefangen einzufordern, die Aufgaben im Haushalt und bei der Kindererziehung, aber auch das Einkommen der Familie gerecht aufzuteilen. Hier gibt es einen Wandel in der Mentalität", meint Asma Gatri. In ihrer Familie jedenfalls würden die Aufgaben gerecht verteilt, auch ihre Brüder müssten im Haushalt mithelfen.

Natürlich gebe es immer noch Konservative, die sich gegen Neuerungen stemmen, aber „es geht voran". Das sieht auch Fatema El Shafee für Ägypten so, wo die Ausgangslage für Frauen sehr viel schwieriger ist als in Tunesien. Sie sieht in der jüngeren Generation, auch bei ihren eigenen, längst erwachsenen Söhnen, ein neues Bewusstsein dafür, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. „Frauen meiner Generation hatten doch nichts zu sagen. Die jungen Frauen fordern einfach mehr ein." Zehn Jahre nach der Arabellion ist der Wandel greifbar. Es gibt noch viel zu tun, aber arabische Frauen lassen sich nicht mehr zum Schweigen bringen.


Claudia Mende
Zum Original