Zölibat und Orgasmusmalerei: In einer Reality-Show sollen Singles therapiert werden. Wie sehenswert ist das deutsche "Too Hot to Handle"?
Von Clara Meyer
Fans des Realityfernsehens hatten es in diesem Winter nicht leicht.
Ungewöhnlich lange mussten sie auf den Beginn des seit mittlerweile 13
Staffeln etablierten Der Bachelor warten, nun werden sie jedoch doppelt belohnt. Zum etablierten RTL-Format läuft Too Hot To Handle - Germany
an. Zwölf Singles aus Deutschland und Österreich fliegen nach Mexiko,
angeblich, um bei einer neuen Sendung mit dem Namen "Tropical Desire"
mitzumachen, in der es primär um Sex gehen soll. Nach 24 Stunden des
Balztanzes erfahren die Kandidaten, dass sie in Wirklichkeit bei Too Hot to Handle sind: "Kein Küssen, kein Petting, keine Selbstbefriedigung und ganz sicher kein Sex", so lauten die Regeln.
International ist dieses Realityshow-Format schon ein Hit: Vier Staffeln der amerikanischen Version sind auf Netflix
verfügbar, außerdem gibt es einen brasilianischen und einen
lateinamerikanischen Ableger. Die deutsche Ausgabe wird von derselben
Firma produziert wie die RTL-Shows Deutschland sucht den Superstar und Bauer sucht Frau und ist nun die erste europäische Variante.
Angeblich soll es um die Liebe gehen. Das pädagogische Konzept: In
Workshops sollen die Teilnehmer lernen, bedeutungslose Affären gegen
echte Verbindungen einzutauschen. Sexualtherapeuten töpfern mit ihnen
Vulven und malen Orgasmen. Spätestens da wird es absurd. Bei aller
Bekehrung sollen die Teilnehmer selbstverständlich scheitern - und tun
es auch: "Was gefällt dir denn an mir charakterlich?", will Kandidatin
Stella vom IT-Consultant aus Heilbronn Tobias wissen. Eine passende
Antwort hat der nicht parat.
Als Entschädigung für die Enthaltsamkeit sollen die Teilnehmer als
Gruppe 200 000 Euro erhalten. Mit jeder Berührung mindert sich das
Preisgeld, so werden für einen Zungenkuss 6000 Euro abgezogen. Damit
keine Missetat unentdeckt bleibt, werden in Big-Brother-Tradition
alle Tag und Nacht beobachtet und bei Regelbruch von der
Alexa-ähnlichen Sprachassistentin Lana gerügt. Von einem Roboter lassen
sich die Kandidaten allerdings nichts sagen und fallen noch schneller
übereinander her als in den englischsprachigen Staffeln. "Geld ist nicht
alles", meint Kandidatin Emely, eine 26-jährige Make-Up Artistin, die
auf Ibiza arbeitet. Fotograf Dennis aus Berlin sagt, er fühle sich "wie
eine Raubkatze im Käfig eingesperrt" und verlässt die Show freiwillig.
In der Sendung werden nicht nur Regeln gebrochen, sondern auch Herzen:
Die Teilnehmer tauschen ihre Partner fröhlich hin und her, den anderen
entkommen sie dabei nie. Denn: alle Betten im Resort stehen im gleichen
Raum. Das ist eine aus anderen Reality-Shows erprobte Technik, die
logischerweise das Stresslevel erhöht. Dennoch wirkt Too Hot to Handle insgesamt
gesitteter als die Reality-Konkurrenz von RTL. Womöglich werden die
Teilnehmer weniger zum Lästern animiert, vielleicht bildet sich unter
ihnen so etwas wie Gemeinschaft, weil nicht wie anderswo jede Folge
einer rausfliegt.
Bei der Entwicklung des originalen Showkonzepts seien die Macher von der
App Tinder inspiriert gewesen, und einer modernen Dating-Kultur, welche
Co-Produzentin Laura Gibson in der Vanity Fair als "brutal"
bezeichnet hat. Brutal ist aber auch der wenig emanzipierte Ansatz der
Show: "Ich habe wirklich versucht, brav zu sein", rechtfertigt bald eine
Kandidatin ihre sexuellen Handlungen. Ganz und gar brav wird vor der
Kamera auch nicht geraucht und auffällig wenig Alkohol getrunken. Bei Love Island (RTL) geht es anders zu, und beim Bachelor wird jede Folge vom sponsernden Kokoslikör eingeläutet. Maximal ein Glas Schampus zum Anstoßen gibt es bei Too Hot to Handle. Auf die Liebe!
Zum Original