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Hat Scholz ein Recht auf Merkels Follower?

Olaf Scholz hat das Amt des Bundeskanzlers übernommen. Auch in den sozialen Medien. Hat er ein Erbrecht auf Merkels Follower?

Von Philipp Bovermann und Clara Meyer

"Olaf Scholz zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt." So lautet am 8. Dezember der erste Post des Instagram-Kanals @Bundeskanzler. 1,8 Millionen Menschen folgen bereits - nur wenige Minuten nach Gründung.


Wo kommen die so schnell her? Derselbe Tag, ein anderer Instagram-Kanal: Der letzte Post von @Bundeskanzlerin, der ebenfalls 1,8 Millionen Menschen folgen, zeigt die scheidende Regierungschefin mit Blumenstrauß in den Händen neben ihrem Nachfolger Scholz. Kurz darauf wird der Kanal in @BundeskanzlerinMerkel umbenannt, "Archiv-Account" steht nun in der Bio, die Follower werden auf @Bundeskanzler übertragen - sie folgen jetzt automatisch beiden Kanälen. So also sieht eine digitale Amtsübergabe aus: Ohne dass die Nutzer dem zustimmen, werden aus Merkel-Followern plötzlich auch Scholz-Follower.

Wie willkürlich soziale Medien in dieser Frage entscheiden, wird deutlich, wenn man sich anguckt, wie die Amtsübergabe am 8. Dezember auf Twitter verlaufen ist. Angela Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert, der unter @Regsprecher rund eine Million Follower erreicht hat, bedankt sich bei "allen, die mir hier gefolgt sind", sein Account werde nun als @RegsprecherStS archiviert. Man möge doch bitte seinem Nachfolger Steffen Hebestreit unter @Regsprecher folgen - einem neuen Account, der mit genau null Followern startet.


Meta, der Konzern hinter Facebook und Instagram, betrachtet die Reichweite offizieller Kanäle also als Erbmasse, die mit dem Amt übergeben wird. Auf Twitter hingegen muss jede neue Regierung ihre Reichweite neu aufbauen. Darin manifestieren sich zwei unterschiedliche Konzepte darüber, wer durch die Kanäle von Staatsvertretern spricht: das Amt selbst - oder die Person, die es bekleidet.

Juristen sind in dieser Frage eher auf der Seite von Meta als auf der von Twitter - die gängige Einschätzung lautet, dass die Person hinter dem Amt verschwinde. Relevant ist das etwa dann, wenn es darum geht, ob Vertreter der Exekutive in den sozialen Medien, sofern sie ihren Account nicht eindeutig nur privat nutzen, willkürlich Menschen blockieren dürfen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags schreibt dazu, dass das einen Verstoß gegen gleich mehrere Grundrechte bedeuten würde. Es wäre ebenso unzulässig, würde ein Behördenvertreter nach Gutdünken Hausverbote für ein Amtsgebäude erteilen.

Der auf Internetrecht spezialisierte Rechtsanwalt Christian Solmecke vermutet, dass sich daraus möglicherweise sogar ein "Recht auf Follower" ableiten ließe, also ein gegen Twitter durchsetzbares Recht auf Übernahme der Abonnenten von der Vorgängerregierung - sofern es gar keine Merkel-Follower, sondern Bundesregierungs-Follower waren. Dafür sei etwa zu klären, welche E-Mail-Adresse bei der Registrierung angegeben wurde. Dennis Amour, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Bayerischen Journalisten-Verbandes, hat in dieser Frage wenig Zweifel. "Genau genommen folgten die Nutzerinnen und Nutzer nicht Angela Merkel, sondern dem Informations- und Presseamt der Bundesregierung", sagt er.


Ob das Team von Joe Biden diese juristischen Möglichkeiten wohl auch geprüft hat? Twitter hat die Followerzahl des offiziellen Regierungskanals @POTUS (kurz für: "President of the United States") bei der Amtsübergabe von Donald Trump nämlich ebenfalls auf null zurückgesetzt. So als sei der Präsident in seiner Amtsfunktion lediglich der oberste Polit-Influencer, der sich seine Position gefälligst erst mal erarbeiten soll. Trump hatte die Twitter-Follower von Barack Obama noch vererbt bekommen - dann aber lieber seinen vormals privaten Account @realdonaldtrump als Amtssprachrohr (oder sagen wir besser: Amtsmegafon) benutzt. Dieser Logik, hier spreche nicht ein Amt, sondern eine Person, schloss Twitter sich implizit an. Nicht aber Meta - der Konzern, der dafür bekannt ist, es sich mit keiner Regierung verscherzen zu wollen, und sei sie noch so fies, akzeptiert das Prinzip von mit Regierungsämtern verknüpfter Reichweite und Staats-Followern.

In Deutschland sind diese Fragen bisher nie aufgekommen. Der Grund dafür ist einfach: Vor der Ära Merkel gab es weder Twitter noch Instagram. Ein damals kaum bekanntes "Onlineverzeichnis, das Menschen über soziale Netzwerke an Hochschulen verbindet" namens "The Facebook" legte erst zwei Tage vor Gerhard Schröders Amtsübergabe die Vorsilbe "The" ab.


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