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Nachhilfe für Erstwähler

Wer, wie, Wahl: Rapsong, Aufklärvideos und Influencer-Content - wie die Bundeszentrale für politische Bildung junge Wähler motivieren will.


Von Clara Meyer

Ein Mann um die 40, Fischermütze, T-Shirt mit Tweety-Aufdruck und schwarze Sweatshirtjacke tragend, läuft durch Berlin. Neben ihm eine Frau in Blazer und Blümchenhose, eine Generation älter. Was nach einem Schwiegermutter-kennenlernen-Spaziergang aussieht, ist eines von vier Aufklärungsvideos für die anstehende Bundestagswahl. Die Herzstücke einer Kampagne der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), konzipiert vom Multichannelnetzwerk Studio71. Der Mann ist Eko Fresh, Rapper, Schauspieler, immer mal wieder Aktivist. Er nutzt seine Musik gerne als politische Plattform: Nach den sexuellen Übergriffen an Silvester in seiner Heimatstadt Köln schrieb er den Song "Domplatten Massaker", im vergangenen Jahr setzte er sich mit "Stärker als Gewalt" für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, ein. Mit seinem neuesten Song "Geh raus" will er Aufmerksamkeit für die Bedeutung des Wahlrechts schaffen.

"Die Welt ist krank / Du bist der, der sie retten kann." Die Message ist einfach: Wählen gehen. Nur 76,8 Prozent der Stimmberechtigten haben bei der vergangenen Bundestagswahl Gebrauch von ihrem Privileg gemacht. Fast ein Viertel hat kein Kreuz gesetzt. Hätten sich alle vergebenen Stimmen zusammengetan, erklärt Eko Fresh, so hätten sie die Mehrheit im Bundestag gebildet. Ein anschaulicher Vergleich, der den Zuschauern demonstriert, welche Kraft eine verloren geglaubte Stimme hat. Am geringsten war die Wahlbeteiligung 2017 übrigens bei den unter 29-Jährigen. Umso wichtiger, seine Stimme nicht zu verschenken: "Und was passiert, wenn man seine Stimme nicht wertet? / Du wischt damit niemandem was aus, nein / Du machst nur die ganzen Spinner noch stärker."

In den Videos trifft sich Eko Fresh mit den Gesichtern der Wahl - Landeswahlleiterin (richtig, die Frau in Blümchenhose), Erstwähler, Wahlhelferin. In den Gesprächen werden die Basics abgesteckt. Was genau machen Wahlhelfer, und wer finanziert das Ganze eigentlich? Die Fragen kratzen jedoch nur an der Oberfläche. Ob ein Erstwähler wirklich seinen Gang zur Urne davon abhängig macht, wer hinter dem Ablauf im Bezirksamt steht? Relevantes Wissen, warum zwei Kreuze gesetzt werden müssen oder welche Informationsangebote existieren, bleibt leider außen vor. Lediglich auf den bpb-eigenen Wahlomaten wird hingewiesen. Immerhin.

Dem Rapper, der türkische Wurzeln hat, ist es besonders wichtig, Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund anzusprechen. Im Video "Das 1. Mal" trifft er sich mit Mehmet, der mit 24 Jahren zum ersten Mal wählen durfte. Mehmet will den Zuschauern Mut machen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, wenn man die Chance dazu hat. Wer allerdings den deutschen Pass bei Veröffentlichung des Videos noch nicht in seinem Portemonnaie hatte, wird ihn wohl auch nicht am 26. September vorweisen können.

Als Hauptausspielplattform der Videos dient Facebook. Eine Plattform, die bei Nutzern unter 25 Jahren gerne mal als tot bezeichnet wird. Hier tummeln sich nicht mehr die Erstwähler, sondern vor allem ihre Eltern. Eine Generation, die eh schon einen großen Einfluss auf den Ausgang der Wahl hat, denn die 50- bis 59- Jährigen stellen mit 11,8 Prozent den größten Anteil der diesjährigen Wahlberechtigten. Erstwähler machen hingegen nur 4,6 Prozent aus. An der Stelle werden Influencer eingesetzt, um zu retten, was zu retten ist: Millionen-Follower-schwere Youtuber animieren mehr oder weniger authentisch ihre jungen Fans zur Wahl. Das scheint auf dem ersten Blick zu funktionieren, so hat beispielsweise das Video "Ihr entscheidet über die Zukunft" von Jonas Ems knapp 40000 Aufrufe. Ob aus Ems-treuer-Gewohnheit oder wirklichem Wahlinteresse der Follower bleibt jedoch unklar. Auf seinem Instagram-Account findet man jedenfalls nichts zur Kampagne. Und auch sonst wird es schwierig, die 30 versprochenen "Content-Pieces" der teilnehmenden Influencer zu finden. Ein einheitlicher Kampagnenhashtag hätte da geholfen.

Zum Schluss dann aber das Grande Finale. Parallel zur Kampagne der bpb veranstaltete Studio71 vergangenen Samstag einen Youtube-Livestream mit dem Titel "(Un-)wählbar - Deutschland, was stimmt nicht mit dir?!". Dieser sollte die letzten Fragen klären. Erstwähler, Politiker und Experten sind beim Moderatoren-Trio, bestehend aus Journalist Robin Blase, Reporter Don Pablo Mulemba und Politik-Tiktokerin Victoria Reichelt, zu Gast. Letztere ist mit ihren 25 Jahren der angesprochenen Zielgruppe übrigens deutlich näher als der Schirmherr der bpb-Kampagne, Eko Fresh ist Jahrgang 1983. Zum Vergleich: Die diesjährigen Erstwähler wurden zwischen 2000 und 2003 geboren. Knapp 20 Jahre später. Damit ist er fünf Bundestagswahlen älter.

Und auch sonst überzeugt der Livestream mehr als die Aufklärvideos. Drei Stunden lang wurden die wichtigsten Themen von Experten besprochen, die eingeladenen Erstwähler durften kommentieren. Auch die Zuschauer wurden mithilfe einer Chatfunktion eingebunden. Die Moderatoren jonglierten dabei mit allen Elementen der Show authentisch und sympathisch. Hier wurde auch die Gelegenheit genutzt, auf die weniger bekannten Tools zur Wahlentscheidung hinzuweisen. Zum Schluss mussten sich dann noch die Abgeordneten, übrigens alle unter 30 Jahre alt, den Fragen der sehr gut informierten Erstwähler stellen. Eine hitzige Diskussionen zwischen allen im Bundestag vertretenen Parteien - außer der AfD, die schickte niemanden.

Die bpb hat also alle Register gezogen, um junge wie ältere Erstwähler zum Wählen aufzufordern. Gute Idee, doch an der Umsetzung haperte es. Was genau war jetzt alles Teil der Kampagne? Der Zusammenhang der einzelnen Komponenten ist schwer zu erkennen, Aufklärungsvideos verlieren sich in Detailwissen. Banale Grundregeln einer Social-Media-Kampagne für junge Leute wurden missachtet, eine vorherige Nachhilfe in der Hinsicht hätte der bpb sicherlich nicht geschadet. Dennoch kann die Wahlnachhilfe funktionieren. Spätestens der parallel produzierte Studio71-Livestream riss das Ruder noch mal rum. Und die Message stimmte die ganze Zeit: "Steh auf, geh raus, setz dein Kreuz."

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