Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 10/2023.
Die Frau, die sich mit der Geschichte des Femidoms vielleicht am besten auskennt, ist inzwischen Rentnerin. Anny Peters, die hellblonden Haare von grauen Strähnen durchzogen, runzelt immer wieder die Stirn, wenn sie in ihrem weichen, niederländisch gefärbten Englisch über das Verhütungsmittel spricht, für das sie ihr halbes Berufsleben gekämpft hat. Noch immer kann sie dann laut und energisch werden.
In den Neunzigerjahren war Anny Peters eine der feministischen Entwicklungshelferinnen, die sich mit Ärztinnen, HIV-positiven Frauen und Angehörigen einmal im Monat in Simbabwes Hauptstadt Harare trafen. Indische, US-amerikanische, simbabwische Akzente flogen durcheinander, wenn sie darüber sprachen, dass immer mehr Frauen, besonders junge, sich mit HIV infizierten - und nach Auswegen suchten.
Einer davon: "Ein eigenes Kondom für Frauen, das ihnen ermöglicht, sich selbst zu schützen, nicht nur vor Schwangerschaften, sondern auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten", sagt Anny Peters. Das Femidom ist eine 17 bis 18 Zentimeter lange Plastikhülle mit zwei Ringen. Der eine sorgt dafür, dass der Schlauch in der Vagina hält, der andere sorgt für Halt in der Vulva.
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Für Peters und ihre Mitstreiterinnen vom Women and Aids Support Network war dieses Stück Plastik damals die vielleicht größte Hoffnung. Es galt als machtvolles Instrument. Dank des Femidoms mussten sich Frauen nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Sexpartner ein nahm und es richtig benutzte. Sie konnten selbst für Safer Sex sorgen.
Deshalb, glaubten Peters und ihre Mitstreiterinnen, habe das Femidom das Potenzial, Geschlechterrollen aufzubrechen und einen tiefgehenden Wandel anzustoßen - genauso, wie es in den Sechzigerjahren die Antibabypille getan hatte. Und zwar nicht allein in Subsahara-Afrika, sondern weltweit: Denn auch in Europa, sagt Peters, bestünden bei der Verhütung große Machtunterschiede.
Aus dieser Hoffnung aber wurde nichts. Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit die US-amerikanische Zulassungsbehörde das Femidom als sicheres, effektives Verhütungsmittel zuließ. Und doch sind heute nur gut ein Prozent der weltweit hergestellten Kondome Femidome. Egal ob in Berlin oder Nairobi, Fragen zum Femidom lösen meist nur ein verlegenes Grinsen aus oder provozieren einen flapsigen Spruch. Aber warum? Warum hat sich das Femidom, in das Frauenrechtler und Entwicklungshelferinnen so große Hoffnung steckten, nie durchgesetzt?
Auf einem weißen Kunstledersofa im Light Medical Center, einem zweistöckigen Praxisgebäude in der kenianischen Trabantenstadt Mlolongo, sitzen vier Frauen und warten auf die Verhütungssprechstunde. Draußen legt der Staub einen grauen Schleier über die schmale Gasse, an Marktständen bieten Verkäuferinnen Hühner in Käfigen, Matratzen und Wassermelonen an. Auf der wenige Schritte entfernten Hauptstraße parken schwere Trucks, die von Mombasa nach Kongo fahren und hier auf die Fahrzeugwaage der Zollkontrolle müssen.
Viele der Frauen stecken sich im Herausgehen ein paar der auf dem Rezeptionstisch liegenden Männerkondome in die Handtasche - um sie dort zu benutzen, wo die Männer ein Kondom noch am ehesten akzeptieren: bei der Prostitution. Etwa jede siebte Einwohnerin von Mlolongo arbeitet als Sexarbeiterin, auf der Hauptstraße von Mlolongo stehen Frauen mit geglätteten Haaren und kurzen Röcken in den Eingängen der Gasthäuser. Die meisten verheimlichen ihren Beruf selbst vor ihren Familien, so sehr ist er in der kenianischen Gesellschaft geächtet.