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Clara Hellner

Journalistin, Berlin

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Ärzte ohne Grenzen: "So eine Entscheidung wird immer überwältigend sein"

Die ersten Berichte über zu viele schwer kranke Covid-19-Patienten und zu wenige Beatmungsmaschinen und Pfleger kamen aus Italien. Auch in Deutschland könnte es passieren, dass Ärzte bestimmen müssen, wer behandelt wird, wenn Ressourcen knapp werden. Abseits von Europa sind Mediziner zu solchen Entscheidung in Krisensituationen immer wieder gezwungen. Einer von ihnen ist Tankred Stöbe, der als Intensivmediziner für Ärzte ohne Grenzen mehr als zwanzigmal im Einsatz war.

ZEIT ONLINE: Herr Stöbe, viele Menschen hören von der Triage nun, in der Corona-Krise, zum ersten Mal. Sie haben in Kriegs- und Krisengebieten als Arzt schon häufiger triagieren müssen. Was steckt hinter diesem Begriff?

Stöbe: Für die Triage ist vor allem eine Frage wichtig: Mit welcher Priorität muss welcher Patient behandelt werden? Die stellt sich ein Arzt oder eine Ärztin in der Akutmedizin jeden Tag, zum Beispiel in der Rettungsstelle. Dort findet quasi eine leichte Triage statt. Die Menschen werden nicht in der Reihenfolge ihres Eintreffens behandelt, sondern nach der Dringlichkeit ihrer Erkrankung. Natürlich sind das aber ganz andere Maßstäbe als das, was Ärzte jetzt etwa aus Italien berichten. Sie müssen über die Überlebenschancen eines Patienten entscheiden.

ZEIT ONLINE: Was jetzt dort passiert, klingt für uns furchtbar - nach etwas, das unserem Umgang mit Menschenleben widerspricht. Warum ist das so?

Stöbe: Weil es unserer gewohnte Maxime - wir tun alles medizinisch Mögliche für jeden Patienten - widerspricht. In so einer extremen Situation findet ein Prinzipienwechsel statt. Es geht dann darum, welche Menschen überhaupt behandelt werden - nämlich diejenigen, die am meisten von den limitierten medizinischen Angeboten profitieren, die ich habe. An der Situation in Italien hat mich besonders beunruhigt, dass als ein ausschlaggebendes Kriterium das Patientenalter angewendet wird. Das ist für viele ältere Menschen angsteinflößend, und in der Triage ist es unüblich. Der Blick nach vorne sollte entscheiden, also: Wer hat die größte Wahrscheinlichkeit, mithilfe dieser Behandlung zu überleben? Dabei zählen Vorerkrankungen mehr als das Alter.

ZEIT ONLINE: Also ist diese Art der Triage ein notwendiges Entscheidungsinstrument, das vielerorts Routine ist, wir aber einfach nur nicht gewohnt sind?

Stöbe: Nein, so ist es zum Glück nicht. Zu dieser harten Triage sind Ärzte nur gezwungen, wenn die Situation sich extrem zuspitzt, zu wenige Ärzte und medizinische Geräte auf zu viele kranke Patienten treffen. Eine solche dramatische Notlage ist selten, selbst in Bürgerkriegssituationen im Jemen oder in Syrien.

ZEIT ONLINE: Auch in Deutschland ist die Triage bei Covid-19-Patienten bisher nur ein theoretisches Szenario. Was würden Sie Kolleginnen raten, die sich vorbereiten wollen?

Stöbe: Wer sich nie mit der Triage auseinandergesetzt hat, wird es in einem so chaotischen Umfeld schwerer haben, eine klare, rationale Entscheidung zu fällen. Da hilft es, das vorher einmal durchgesprochen und trainiert zu haben sowie die groben Triage-Kategorien zu kennen. Die konkreten Vorgaben, die es zur möglichen Triage in der Covid-19-Pandemie durch medizinische Fachgesellschaften schon gibt, sind dabei eine Entlastung. Es hilft mir als Arzt, zu wissen: Patienten, die jetzt in der Corona-Krise keine intensivmedizinische Behandlung bekommen, sollen nach diesen Vorgaben unbedingt palliativmedizinisch, also etwa mit Schmerzmitteln, behandelt werden. Es soll also niemand allein, ohne Betreuung, sterben müssen.

Triagieren während der Pandemie

Das Wort Triage leitet sich vom französischen Verb "trier" ab, auf Deutsch "aussuchen" oder "sortieren". Das grundlegende Konzept stammt wohl aus der napoleonischen Kriegsmedizin. Der Militärchirurg Baron Domonique Jean Larrey entwickelte es zu Ende des 18. Jahrhunderts, um zu entscheiden, welche Soldaten zur medizinischen Behandlung hinter die Frontlinie zurücktransportiert werden sollten. Neben der Schwere der Verletzung und der Dringlichkeit zählten dabei auch die Transportfähigkeit und der Einsatzort des Verwundeten. ( BMJ: Robertson-Steel, 2005.)

Triagieren kann jedoch auch heißen, dass Mediziner nicht entscheiden, wer überhaupt behandelt wird, sondern wer zuerst versorgt wird. Diese Form der Triage findet in der Notaufnahme statt, wenn ein Patient mit Herzinfarkt vor einem Mensch mit einfachem Knochenbruch behandelt wird - auch, wenn der schon lange wartet. Für weniger eindeutige Fälle gibt es Schemata, die Faktoren wie etwa den Blutdruck miteinbeziehen. (Ärzteblatt: Christ et al., 2010).

Wie in den meisten Ländern gab es in Deutschland schon vor der Corona-Pandemie eine Regelung zur Triage im Großschadenfall, wenn Ärzte nicht alle behandeln können - also etwa bei einem Autounfall mit sehr vielen Verletzten. Dann müssen sie Patienten nach einem mehrstufigen System einteilen: Rot - lebensbedrohlich verletzt, sofortige medizinische Behandlung notwendig, gelb - schwer verletzt, bmedizinische Behandlung muss bald, aber nicht sofort stattfinden, grün - leicht verletzt, Behandlung kann später stattfinden, blau - keine oder geringe Überlebenschance, im Zweifelsfall nur betreuende Behandlung, schwarz - Verstorbene und Patienten im Sterbeprozess. (Ärzteblatt: Sefrin et al., 2003)

Eine Pandemie, bei der alle Erkrankten ein ähnliches Krankheitsbild und damit die gleiche medizinische Versorgung brauchen, stellt allerdings noch einmal eine andere Herausforderung dar als ein solcher Autounfall. Deshalb hat die deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin Leitlinien verfasst für den Fall, dass auch in Deutschland zu viele Covid-19-Patienten auf zu wenig Personal und Beatmungsmaschinen treffen sollten. Wer dann beatmet wird, das sollen Mediziner nach mehreren Kriterien entscheiden. Dazu zählen bestehende Vorerkrankungen wie Tumore oder ein geschwächtes Herz, aber auch Laborwerte, die auf einen guten oder schlechten Krankheitsverlauf hindeuten. Diese Regelung ist durchaus umstritten: So argumentierte etwa der Strafrechtler Tonio Walter, nur ein Auslosen der knappen Beatmungsplätze sei ethisch vertretbar, die Behindertenbewegung AbilityWatch bezeichnete eine pauschale Einteilung nach Vorerkrankungen als diskriminierend.

ZEIT ONLINE: Die Umstände, unter denen Sie in Sierra Leone oder im Mittelmeer triagieren mussten, sind also sehr anders als jetzt während der Corona-Pandemie?

Stöbe: Covid-19 schafft eine Sondersituation. In der Katastrophenmedizin wird eine Triage häufig notwendig, wenn nach einem schrecklichen Ereignis schlagartig viele Patienten versorgt werden müssen. Dann nimmt in der Regel der erfahrenste Arzt oder Pfleger die Triage vor, dafür hat er meist pro Patient nicht mal eine Minute Zeit. Diese Dynamik ist bei Covid-19 umgekehrt: Die Menschen sind anfangs gesund, werden dann immer kränker. Das gibt Ärzten und Pflegenden Zeit und erlaubt es, verschiedene Kriterien zu berücksichtigen, Angehörige und die Patientenverfügung zu Rate zu ziehen. Und so muss nicht ein einzelner Mensch die Verantwortung tragen, sondern eine Gruppe aus Intensivärzten, Pflegenden, vielleicht sogar einer Ethikkommission kann gemeinsam entscheiden.

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Erstellt am 27.04.2020
Bearbeitet am 27.04.2020

Quelle
https://www.zeit.de/wissen/gesundhe...

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coronavirus pandemie ärzte ohne grenzen krankenhaus wissen
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