Das sieht man gleich in den Regalen der Rucksackabteilung: Links stehen die Herrenmodelle und rechts - endlich (!) - Damenrucksäcke. Erstaunlicherweise hat die Branche lange gebraucht, um auf den unterschiedlichen Körperbau von Männlein und Weiblein einzugehen. Selbst der Vorreiter Deuter verkauft Damenrucksäcke - zu erkennen am SL im Namen - erst seit 2006. Dabei ist schon bei der Hüftflosse klar, dass Damen ein anderes Modell brauchen. Sonst schmiegt sich bei ihnen der Gurt nicht passgenau ans Becken, sondern steht über- oder unterhalb der Hüfte ab.
Was ist so schlimm daran, wenn bei Frauen die Hüftflosse etwas absteht?Die Hüftflosse ist sehr wichtig, da sie den Großteil der Last trägt. Deshalb muss sie perfekt sitzen. Bei den Männern, deren Übergang von Taille zu Becken ja meist gerade verläuft, zieht man den Gurt seitlich an den Körper heran. Das Becken der Damen läuft breiter aus, sodass die Hüftflosse bei ihnen eher von oben auf dem Beckenknochen aufsitzt. Deshalb ist sie bei Damenmodellen anders geformt und außerdem weicher gepolstert.
Was ist noch anders an einem Damenrucksack?Die Rückenpartie ist kürzer und schmaler. Selbst wenn Frau und Mann gleich groß sind, fallen die Beine der Frau im Verhältnis meist länger aus als der Rücken. Und: Die Schulterträger sind ebenfalls kürzer und schmaler, da sie sich zwischen der Brust und der Achsel durchschlängeln müssen. Da ist naturgemäß meist nicht so viel Platz wie bei den Herren.
Berücksichtigen alle Hersteller diese drei anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau?Neben Deuter machen auch Premiumhersteller wie Gregory und Osprey in dieser Hinsicht einen super Job. Andere Herstellern gehen nicht so stark auf den "kleinen Unterschied" ein: Sie bieten zwar auch kürzere Rückenlängen, passen aber Schulterträger und Hüftflossen nicht so stark an die Anatomie an; da passt oft auch den Herren das Damenmodell.
Und umgekehrt? Kann ich heutzutage als Frau ein Herrenmodell tragen?Wichtig ist, dass der Rucksack perfekt passt. Eine Frau mit längerem Rücken kann sich also durchaus im Nachbarregal umsehen. Gleiches gilt für Männer mit einem eher kurzen Rücken - ob die Herren dann die Blüte an den Deuter-Damenmodellen dranlassen, ist eine andere Frage. (lacht)
Florian Wolf (32)...... arbeitet seit Eröffnung von Globetrotter München 2011 in der Rucksackabteilung. Der gebürtige Odenwälder hat seinen Master und etliche Trekkingtouren in Australien gemacht. Acht Rucksäcke besitzt er. Einer davon ist der Deuter Allrounder ACT Trail 32, mit dem er im letzten Sommer drei Wochen autark durch Wales gewandert ist.
Ist Deuter in Deutschland noch das Maß aller Dinge? Oder spielen mittlerweile auch andere Hersteller mit?Deuter ist nach wie vor die meistverkaufte Rucksackmarke in Deutschland, und das aus gutem Grund: Die Schwaben bieten rundum durchdachte und perfekt verarbeitete Rucksäcke zu fairen Preisen. Allerdings hat auch die US-Firma Osprey in den vergangenen zwei, drei Jahren sehr an Boden gewonnen. Diese Marke müssen wir den Kunden heute kaum noch erklären. Anders sieht es mit Gregory aus: ein hervorragender Rucksackhersteller aus Kalifornien, aber eher Insidern bekannt.
Ob deutsch oder amerikanisch: Ein Ziel aller Hersteller ist gewiss die perfekte Passform. Gibt es die?Jeder Hersteller versucht, eine bequeme Rückenzone zu formen, aber es gibt kein Patentrezept, das jedem Rücken passt. Es ist ähnlich wie bei Schuhen: Der eine schlupft in den Schuh hinein, und er passt wie angegossen, den anderen drückt er sofort. So ist es auch beim Tragesystem.
Was hat sich an den Tragesystemen in den vergangenen Jahren verändert?Es gibt heute mehr Möglichkeiten, auf die individuelle Rückenlänge einzugehen. Da haben sich im Laufe der Zeit zwei Systeme herauskristallisiert: das amerikanische und das europäische. Die meisten amerikanischen Hersteller bauen Rucksäcke mit kaum oder geringer Verstellmöglichkeit der Rückenlänge, dafür in zumeist drei verschiedenen Größen wie S, M und L. Außerdem geben sie den Rucksäcken eine starke Ergonomie, sprich: Der Rucksack ist im unteren Bereich geschwungen und wölbt sich somit in den unteren Rücken hinein. Wenn der sitzt, dann sitzt er.
Und wie funktioniert das europäische System der Längenanpassung?Bei europäischen Herstellern wie Deuter oder Vaude kannst du bei größeren Rucksäcken, also ab etwa 35 Liter Fassungsvolumen, die Länge meist stufenlos an die Rückenlänge anpassen, indem du den Ansatz der Schultergurte nach oben oder unten verschiebst. Das geht meist ratzfatz und lässt sich etwa mit Klettverschlüssen, Klemmschnallen oder Rasten erledigen.
Kann man auch Hüftflossen an die Körpermaße anpassen?Bei Gregorys Trekkingrucksäcken wie dem Baltoro 75 kann ich die Hüftflosse mit Druckknöpfen lösen, eine andere Größe bestellen und wieder einfädeln. Osprey verwendet für ihre Flossen einen Custom-Molding-Schaum, der sich durch die Körperwärme der Hüftform anpasst. Entscheidender ist aber ein anderer Unterschied: Kleine und mittelgroße Rucksäcke haben meist eine fix mit dem Rückenteil vernähte Flosse. Bei vielen Trekkingrucksäcken hingegen ist die Hüftflosse beweglich gelagert und schwingt mit, wenn das Becken kippt; so passt sich der Rucksack besser der Bewegung an.
Wenn eine drehbar gelagerte Hüftflosse Vorteile bringt - warum haben dann die meisten Tourenrucksäcke mit 30 oder 40 Litern Volumen eine fixe Hüftflosse?Das ist nicht zuletzt eine Frage des Preises und des Gewichts. Für die meisten Kunden liegt die Schmerzgrenze bei einem Tourenrucksack bei 150 Euro. Eine gelagerte Hüftflosse ist aufwendiger und teurer. Obendrein wiegt sie mehr als ein fixer Hüftgurt. Tourenrucksäcke werden oft von Jakobsweg-Gehern gewählt, die achten auf jedes Gramm. Das Bild ändert sich im Trekkingbereich: Wenn man ohnehin 20 Kilo mit sich rumschleppt, kommt es auf die paar Gramm Mehrgewicht einer beweglichen Flosse auch nicht mehr an.
Ist Leichtgewicht ein genereller Trend bei Rucksäcken?Angesagt sind heutzutage eher kleinere Rucksäcke. Aber auch im Segment der Tourenrucksäcke kamen in den vergangenen Jahren immer mehr Leichtgewichtsmodelle dazu. Sie haben nur sehr dünne und weiche Hüftflossen. Die Polsterung deckt nur das Nötigste ab, und am Rücken liegen sie meist eng an. Eine Zeit lang hatten wir Go Lite im Programm: einen 40-Liter-Rucksack mit superleichten 800 Gramm - eigentlich nur ein Sack mit zwei Henkeln. Es hat aber nicht wirklich funktioniert: Die Leute waren zwar begeistert, wenn sie das Gewicht im Katalog lasen, haben aber dann gemerkt, dass dieses Fliegengewicht nicht so bequem ist - und dass ein bisschen Polsterung, eine Regenhülle und eine Deckelklappe vielleicht doch ganz gut gewesen wären...
Gibt es einen guten Kompromiss zwischen Leichtgewicht und Komfort?Der 1,2 Kilo leichte Haglöfs Krios 40 trägt sich sehr angenehm, wenn man ihn mit bis zu acht Kilo belädt. Mehr Gewicht wäre mit der eher schlanken Hüftflosse nicht mehr bequem. Und er sieht auch gut aus in seinem Froschgrün. (lacht)
Welche Rolle spielt das Design heute bei Rucksäcken?Sie sind viel farbenfroher geworden. Als Globetrotter München vor drei Jahren eröffnete, war die Rucksackwand schwarz und dunkelblau. Heute sieht sie aus wie ein Malkasten. Allerdings bestaunen viele Kunden zwar die frechen Farben, greifen dann aber doch zum schwarzen Modell - weil es besser zur Regenjacke passt. Wobei Farben auch einen Sicherheitsaspekt haben: Bunte Rucksäcke, auch helles Grün, sind bei einbrechender Dunkelheit länger zu sehen. Die vermeintliche Signalfarbe Rot hingegen wird von der Dämmerung erstaunlich schnell geschluckt.
Wenn mir aber diese quietschbunten und leicht glänzenden Rucksäcke nicht gefallen - gibt es Alternativen?Fjällräven hat sich mit dem Vintagelook eine Nische geschaffen. Die Rucksäcke der Schweden fallen eher wegen ihrer unkonventionellen Form auf: Der Fjällräven Helags ist der Gegenentwurf zum modernen schlanken Rucksack. Er ist olivgrün, hat zwei große Außentaschen und sieht aus wie ein guter alter Wandersmann-Rucksack.
Sind Rucksäcke heute besser belüftet?Seit 30 Jahren gibt es von Deuter einen hinterlüfteten Rücken, also mit einer Lücke zwischen dem netzartigen Rückenteil und dem Packsack, damit dort Luft zirkulieren kann. Hinzugekommen ist zum Beispiel von Tatonka ein "Netzrücken ohne Netz": Er liegt wie ein Rahmen auf und spart die Rückenmitte aus. Außerdem sind die Schäume an der Rückenpolsterung und an den Trägern luftiger geworden, da sie den Schweiß über einen Pumpeffekt besser aufsaugen und nach außen transportieren.
Was hat sich generell beim Material getan?Als Grundmaterial des Packsacks hat sich reißfestes Ripstop-Nylon etabliert. Fjällräven macht auch hier eine Ausnahme: Der Kajka 75 und andere Modelle bestehen aus Synthetik auf Nylonbasis mit Kunstharz: Dieses Vinylon F genannte Material quillt bei Feuchtigkeit auf, verschließt sich und ist dadurch wasserabweisend. Auch beim Tragesystem unterscheidet sich Fjällräven hier vom üblichen Aluminiumgestell: Die Schweden verwenden finnische Birke - nicht zuletzt weil dies auch ein umweltfreundlicher Werkstoff ist.
Wieso gibt es nach wie vor kaum wasserdichte Rucksäcke?Es gibt sie von Ortlieb oder auch Arc'teryx. Allerdings sind sie deutlich teurer als normale Tourenrucksäcke. Und Nachteile haben sie auch: Wenn man in Südostasien unterwegs ist, sind die Klamotten durch die schwüle Luft oft feucht und fangen in einem wasserdichten Rucksack an zu modern. Regenhülle und wasserdichte Packsäcke sind der sinnvollere Nässeschutz.
Leicht und schön soll er sein, perfekt passen - welche weiteren Anforderungen muss ein Rucksack heutzutage erfüllen?Ohne Frontzugriff geht gar nichts mehr! Die Tourenrucksäcke werden nicht nur zum Wandern, sondern auch zum Reisen hergenommen. Es ist angenehmer, wenn man den Rucksack vorne aufmachen kann und nicht ewig nach der Zahnbürste wühlen muss. Der Bach Shield ist gerade der Renner: ein 38-Liter-Rucksack mit einem großen Fach, aber auch dem allseits geforderten Frontzugriff. Außerdem hat er eher grobe Reißverschlüsse, die sehr leicht laufen, und als Außenmaterial ein extrem robustes Cordura-Nylon. Bach ist ein schweizerisch-irischer Hersteller, der gar nicht erst versucht, in den Ultralightbereich reinzukommen. Andererseits lässt Bach jeden Schnickschnack weg und bleibt dadurch beim Shield trotzdem leicht mit 1750 Gramm; der vom Volumen her vergleichbare Deuter ACT Lite 35+10 ist nur 200 Gramm leichter. Ein weiterer Trend sind Kofferrucksäcke: Sie werden mehr und mehr von Weltreisenden genutzt. Der Osprey Sojourn 80 ist sogar ein Rollkoffer mit sehr guten Rucksackriemen, sodass man ihn je nach Untergrund ziehen oder buckeln kann.
Sind immer speziellere Rucksäcke gefragt oder eher die eierlegende Wollmilchsau?In den vergangenen Jahren ist die Spezialisierung enorm vorangeschritten, es gibt so ziemlich für jede Sportart und jede Aktivität einen darauf zugeschnittenen Rucksack. Einer dieser Spezialisten ist der Kletterrucksack Vaude Bulin 40 mit Seilhalterung unterm Deckel und sehr robustem Material. Ein gutes Beispiel für einen Skirucksack: der Osprey Kode 32. Vorne kann man die Ski dranschnallen, über die Rückseite kommt man an die Ausrüstung. Und die Skibrille hat ein gepolstertes Fach, damit sie nicht zerkratzt.
Wie schön, dass der Trend zum Dritt- und Viertrucksack geht. Aber mein Geldbeutel wünscht eher ein Modell, das ich für verschiedene Aktivitäten hernehmen kann ...(lacht) Keine Angst, es gibt gute Multitalente wie den ACT Trail 32 von Deuter. Er hat einen großen Frontzugriff, stabile Hüftflossen, schlanken Schnitt, Regenüberzug und vorne eine Tasche für den Helm.
Kann ich den also sogar zum Mountainbiken tragen?Und schon sind wir bei einer Sportart, bei der Generalisten an ihre Grenzen stoßen. Wenn du etwa den ACT Trail 32 zum Mountainbiken aufziehst, würde dir wahrscheinlich das Deckelfach von hinten gegen den Helm drücken. Fürs Biken empfehlen sich definitiv Fahrradrucksäcke wie der Deuter Trans Alpine. Das ist ein Klassiker, der nun in einer Pro-Version kommt: mit verbesserten Rückenpolstern, luftigeren Trägern und mit stabilerer Hüftflosse. Damit würde ich ihn sogar für Bike und Hike empfehlen.
Apropos Klassiker: Was ist aus dem guten alten Lowe Alpine Cerro Torre geworden?Da wurde mal das Tragesystem verändert, und plötzlich kamen die Leute damit nicht mehr zurecht. Im März dieses Jahres bringt Lowe Alpine jedoch eine völlig überarbeitete Version des Klassikers raus: einen Cerro Torre mit dem neuen Tragesystem Axiom, das man stufenlos verstellen kann, sogar während man ihn auf dem Rücken hat.
Und sicher hat er dann auch ein Fach für eine Trinkblase. Setzen die sich durch?Trinksysteme verkaufen sich sehr gut. Die Vorteile sind bestechend: Eine Trinkblase liegt direkt am Rücken an, perfekt für die Gewichtsverteilung. Dank des griffbereiten Schlauchs trinkt man öfter und mehr, als wenn man jedes Mal den Rucksack absetzen muss. Nachteil: Man muss Trinksysteme reinigen und immer trocknen lassen.
Und wenn ich doch an der guten alten Flasche hänge?Süchtig nach der Tourenpulle? Auch dafür gibt es kleine Verbesserungen wie das Flaschenfach von Gregory, das auf Hüfthöhe schräg angebracht ist, sodass du die Flasche rausziehen kannst, ohne dir die Schulter auszukugeln. Überhaupt mag ich an heutigen Rucksäcken diese feinen Detaillösungen wie etwa ein Deckelfach von Osprey, das man abnehmen und als Hüfttasche tragen kann. So was kostet in der Herstellung nicht viel mehr, macht aber den Alltag mit Rucksack einfacher.