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Nur Männer haben Zutritt - Reisejournal Rhein-Neckar-Zeitung

Der Aufbruch ins Ungewisse beginnt in der Himmelsstadt. Ouranoupoli, "nichts geringer" bedeutet der Name übersetzt, erwartet einem am Rande des dritten Fingers der Halbinsel Chalkidiki - und wie ein Ehering umspannt die Grenze der Stadt den Übergang in die andere Welt: das Agio Oros.

Die autonome, orthodoxe Mönchsrepublik lässt sich nur zu Wasser erreichen. Eine Analogie zum Jenseits, in das der Wanderer in der griechischen Mythologie allein über die Gewässer des Styx gelangt.

Die Metapher bricht ihren Stil final aber mit einem Mittel: Die andere Seite ist wortwörtlich für "jedermann". Die Überfahrt auf den Wellen der Ägäis ist ausschließlich Männern gestattet. Die Legende besagt, dass die einzigen Wesen weiblichen Geschlechts, die hier einst lebten, Hennen waren. Die Mönche benötigten den Eidotter für ihre Ikonenmalerei. Der Einzug der Moderne und die damit aufkommende Existenz synthetischer Farben war letztendlich ihr Exodus aus der hellenistischen Version des Garten Eden.

Umso paradoxer, gar hypokritisch, dass dieses geweihte Land alleinig wegen einer Frau existiert - der Gottesmutter Maria. Ihrer Gnade ist der Grund gewidmet, auf dem die 20 Klöster stehen. Hier gewährt sie ihren Anhängern Schutz und Zuflucht - vergibt ihnen alle Sünden.

Ihr Versprechen gilt seit einer Ewigkeit - länger als das Römische Reich und das von Alexander dem Großen zusammen währten. Um das Jahr 1000 siedelten erste Mönche im kargen Land, Archäologen sprechen nach neuesten Ausgrabungen sogar von 400 bis 500 nach Christi. Die bloße Anwesenheit der Klöster ist eine direkte Verbindung in die Vergangenheit.

Heute verbindet eine Fähre - ironischerweise Heilige Anna getauft - die Klöster zweimal am Tag miteinander. Ein Wassertaxi, das morgens in Ouranoupoli in See sticht und die zerklüftete Westküste der Halbinsel abtastet. Die Klöster als Haltestellen, an denen die Pilger auf dem Weg ihrer Berufung aussteigen.

Erste Station ist das bulgarische Kloster Zografou. Wie verlorene Söhne empfängt der Gastmönch am Kai(n) seine Abel und geleitet sie gen Kloster, welches sich im Landesinneren verbirgt. Zwei weitere nicht-griechische Mönchsschaften beherbergt das Oros: das serbische Hílandar und das Prunkvollste von allen, das russische Panteleímonos. Präsident Wladimir Putin suchte wiederkehrend göttlichen Fingerzeig in ihm, zuletzt im Mai 2016.

Einen letzten Zwischenhalt zur Bestimmung bietet die Hauptstadt der Republik. Dafni, strategisch in der Mitte der wie Perlen aneinandergereihten Klöster gelegen, ist Umschlagort für Allerlei. Es versorgt die im Inneren des Landes gelegenen Klöster und Siedlungen von Skiten - die eremitische Auslegung des geistlichen Daseins - mit Lebensmitteln und Wasser.

Wieder auf dem Meer schält sich am Horizont Stück für Stück "Simonos Petras" wie ein Schmetterling aus dem Kokon des Berges. Das Licht der Sonne schimmert golden auf dem Frontflügel des tibetanisch anmutenden Baus. Fliegen flirren in der Luft, jedoch kein Mönch in Sicht, der uns am Steg erwartet. Der Tross setzt sich eingeständig in Bewegung.

Geschlossen Richtung Kloster, das gut 200 Meter über uns auf einer Felsnase thront. Ein staubiger Pfad führt tief ins Innere, in eine Umgebung wie mit Sepia getönt. Die Passage durch eine Steinarkade offenbart die neue Welt. Den Moment des Verweilens verwischt unser Gastgeber. Mönch Seraphim, ein rundlich untersetzter Mann im typisch schwarzen Gewand orthodoxer Geistlicher mit typischerem grau-meliertem Bart. Auf dem Kopf der Klobuk, an dessen hinterem Ende sich ein Schleier zu einem Umhang entfaltet. Kleidung als Symbol, dass ihre Kirche nicht von dieser Welt ist.

Gastmönch Seraphim weist in die Geflogenheiten seines Kosmos ein. Nach dem Eintrag ins Gästebuch, bekommen die Pilger ihre Bleiben zugewiesen. Zimmer mit zwei oder vier Holzbetten, spartanische Schlafplätze, aber mit Steckdosen und elektrischem Licht. Die sanitären Anlagen finden sich im Flur und werden brüderlich geteilt. Eine geistliche Jugendherberge, in der Kost und Logis ganz im Sinne der christlichen Nächstenliebe frei sind.

Die Mönche ziehen sich um 21 Uhr zurück, man geht ins Bett, schläft. Ein rhythmisches Klopfen holt einen schnell zurück. Der Blick auf die Uhr verrät: Es ist kurz vor 4, kurz vor der Frühmesse.Im Innenhof des Klosters materialisiert sich der Grund des Geräusches. Ein Mönch umrundet die Kirche, einen Balken geschultert, klopft er mit einem Holzhammer in regelmäßigen Abständen dagegen. Das Zeichen für den Gottesdienst, der klosterinterne Wecker.

Obwohl August, ist es unfreundlich kühl zu dieser Herrgottsfrühe. Ein kalter Schauer verläuft überdies den Rücken entlang, wenn ein Mönch in der Dunkelheit vorbeizieht. Wie Fledermäuse, die durch die Nacht flattern. Etwas Erschreckendes wohnt dem inne: Die Farbe ihrer Gewänder symbolisiert schließlich ihren Tod - sie sind die aus dem Leben geschiedenen. Diese Männer in Schwarz, mit ihren von Bärten eingerahmten weißen Gesichtern und ihr zu Zöpfen gebundenes Haar (Tote scheren eben weder Bart noch Haare), haben zugleich etwas Erhabenes.

Während der Messe lesen sie abwechselnd ihre Psalmen in einem ihnen eigenen Singsang, der selbst für Einheimische schwer verständlich ist. Sermone, die sich unter der Gewölbedecke sammeln. Ihre Gottesfurcht bezeugen sie durchs Bekreuzigen und Küssen der Ikonen. Alle 45 von ihnen füllen die Apsis der Kirche. Die Pilger, verteilt in Sitznischen, befolgen ebenfalls die Prozedur der Ikonenverherrlichung. Die Messe dauert drei Stunden.

Am Ende treffen Mönche und Pilger im Hof aufeinander. Einzelne werden nach ihrem Glauben gefragt. Den Zweiflern unter ihnen wird erklärt, wie man auf den Weg des Glaubens kommt, wenn man bislang nebenher getrampelt ist. Sie selbst hegen keinerlei Bedenken, auf dem richtigen Pfad zu sein. Eine Überzeugung, die man wohl aufbringen muss, um dieses Leben zu bestreiten.

Abwechslung im "Ora et labora"-Alltag bietet letztlich der Wunsch zur Beichte. Dafür stehen alle Mönche zur Verfügung. Hinter der Apsis sitzt mir der Geistliche meiner Wahl, Gastmönch Seraphim, Auge in Auge gegenüber. Kein Vorhang, der trennt. Umgeben von Talaren, Bischofsstäben und einem Hauch Weihrauch, beginnt das Verhör. Fragen nach dem eigenen Glauben oder dem Beiwohnen einer Frau sind Teil der "Beichte". Mönche sind auch nur Männer.

Absolution dagegen wird einzig erteilt, wenn man darum bittet. Eine Melange aus Enttäuschung und Verblüffung zeichnet sich im Gesicht des Beichtvaters ab, als der Bitte nicht nachgekommen wird. Sitzt ihm derjenige gegenüber, der den ersten Stein wirft?

Umkehr der Szenerie. Ausbruch aus dem Kreislauf: fragen statt Fragen. Warum glaubt Pater Seraphim? Er wollte von klein auf Priester werden, letztendlich entschied er sich für den Weg der Einsamkeit. Das Wort Mönch leitet sich vom griechischen Wort "monachos" ab, was "alleine" bedeutet. Denn nur der Einsame kann den Dialog mit Gott aufnehmen. Geprägt wurde Seraphims Glaube durch die Familie. Zweifel gab es nie. Er spricht vom göttlichen Licht, das auf einen herniedergeht und den Weg weist. Auch zitiert er das Evangelium, dem er wortwörtlich folgt inklusive der Wiederauferstehung am Tag des Jüngsten Gerichts.

Mehr Zweifel als Antworten bleiben. Was sind die wahren Beweggründe, die diese Männer zu dem gemacht haben, was sie sind? Von einer Demut, die das oberste Gebot des Christentums zusammenhalte: die Liebe. Haben Demut und Liebe sie hierher getrieben? Oder das Leben selbst und ein eventuelles Versagen? Simple Soziophobiker, die in die Gegenwelt der Kirche flüchten, wo ihnen Respekt und Ehrfurcht entgegengebracht wird?

Der dezente Anstrich von Kritik begleitet bis zum Aufbruch der Dämmerung. Außerhalb der schützenden Mauern des Klosters winkt Epiphanie. Auf einer Anhöhe hat sich eine Handvoll Pilger in einem steinernen Zirkel um den Alten Cherubim versammelt. Die Sonne erlischt im Mittelmeer. Die Stunde der Unterhaltung hat geschlagen.

Gespannt lauschen sie, wie Cherubim über die Lehren der Orthodoxie sinniert und eine Geschichte erzählt: Nicht unweit des Klosters lebte einst ein Asket, der nie ein Wort sprach und augenblicklich verschwand, wenn einer der Mönche ihm zu Nahe kam. Eines Nachts tauchte er vor den Toren auf und brach sein Schweigen. Er bat um Essen.

Als der Mönch seine Bitte erhörte, öffnete sich das Herz des Asketen einen Spalt: "Wenn ich dir nur verraten könnte, was ich alles gesehen habe. Aber es ist mir nicht erlaubt." Der Mönch, ebenso überrascht wie neugierig, begann, um die Weisheit des Asketen zu betteln. Er versprach, niemandem davon zu erzählen. Er sank selbst auf die Knie und flehte. Doch der Asket schwieg und verschwand. Für immer.

Cherubim hingegen beantwortet geduldig die Fragen der Wissbegierigen. Am Ende des Tages kommt die Wichtigste von allem auf: Der Sinn des Lebens. Mittlerweile hat sich die Dunkelheit über die Gesichter gelegt. Schemenhafte Erscheinungen. Schatten des Hades. Nur die Stimme des Alten ist klar: "Das antike Griechenland hat eine Frage in die Welt geworfen. Warum lebt der Mensch? Christus ist die Antwort: Der Mensch lebt nicht, um zu sterben. Er lebt, um weiterzuleben.


Anreise: Von Frankfurt mit Aegean ( www.aegeanair.com) nach Thessaloniki, ab 350 Euro retour. Mit dem Mietwagen ( www.chalkidiki-cars.com, ab 12 Euro pro Tag) oder dem Bus (18,50 Euro retour) nach Ouranoupoli. Von dort mit der Fähre (ab 2,20 Euro) weiter nach Dafni oder vorheriger Ausstieg am beherbergenden Kloster.

Übernachten: Alle Klöster bieten kostenfreie Gästezimmer an (Größe 2 bis 6 Personen). Eine telefonische Voranmeldung (einige wenige Klöster bieten eine Kontaktaufnahme per E-Mail an) ist ratsam, es wird aber auch niemand unangemeldetes abgelehnt. Vor allem, da das Telefon nur eine Stunde am Tag besetzt ist.

Essen & Trinken: In den Klöstern selbst wird zweimal am Tag gespeist, um 9 und um 18 Uhr. Ein bescheidenes Mahl aus Brot, Oliven, Reis, Melone und selten Fleisch, mit Wasser als einzigem Getränk. Eigen mitgebrachtes Essen ist erlaubt (in Ouranoupoli oder Dafni eindecken). Wer zwischendurch Hunger verspürt, bekommt in der Klosterküche immer eine Kleinigkeit. Kaffee und Wasser stehen im Gästehaus stets bereit.

Allgemeine Auskünfte erteilt das Pilgerbüro Heiliger Berg Athos, 109 Egnatia, 54635 Thessaloniki. Telefon 0030-2310-252578.

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