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Prager Zeitung - Rubens hat Gesellschaft

Eine Ausstellung des Belgiers Jan Fabre irritiert die Besucher der Eremitage. Können tote Tiere das Verständnis von moderner Kunst in Russland neu definieren?

 

Einige Besucher starren wie gebannt auf das Szenario, das sich im flämischen Saal der Eremitage abspielt. Andere gehen nach einem flüchtigen Blick ganz schnell weiter. „Mein Gott“, flüstert eine Großmutter leise. Ein Kind fragt: „Mama, was ist das?“ Die Antwort: ein weißer Schwan, der mit ausgebreiteten Flügeln auf einem schwarzen Skelett in Fötusstellung thront. Die Hände des aus Käfern gefertigten Knochenkörpers greifen wie aus Notwehr nach dem schwebenden Federvieh. 

Die Ausstellung „Ritter der Verzweiflung. Krieger der Schönheit“ des flämischen Künstlers Jan Fabre mutet den Besuchern der Eremitage einiges zu. Der Enkel des französischen Insektenkundlers Jean-Henri Fabre war schon als Kind von Insekten umgeben. Nun verwendet er sie für seine Kunst. An den Wänden sind Schädel aus echten Insekten installiert. Ausgestopfte Tiere in ihrem Mund werfen Schatten auf die karminrote Wand des Zarenpalastes mit Gemälden der alten Meister.

Bei den Besuchern stößt das überwiegend auf Ablehnung. „Es ist fragwürdig, tote Tiere neben Rubens auszustellen“, meint Julia Rjapolowa. „Das ist doch keine Kunst mehr“, schimpft Alexandra Kirejewa. Solche Stimmen sind typisch vor Ort und im Internet, wo unter dem Hashtag „Schande der Eremitage“ protestiert wird. Ein bekannter Blogger nennt die Ausstellung „Müll in den angesehensten Sälen St. Petersburgs und ganz Russlands“. 

Auch die Presse fand nicht viel Positives an Fabres Installationen in der Eremitage. Dabei gilt der 57-jährige Belgier vielen als Genie. Seine Werke finden sich in Venedig und Florenz und auch im Van-Gogh-Museum in Amsterdam. Im Pariser Louvre schockte Fabre 2008 mit einem gigantischen, auf Grabsteinen kriechenden Wurm mit Menschenkopf.

Die Grenzen der Kunst
In der Eremitage hat Kurator Dmitrij Oserkow zwei Jahre an der Ausstellung gearbeitet, die Ende Oktober eröffnet wurde. „Die Eremitage will moderne Kunst auf Weltniveau vermitteln“, sagt Oserkow. Als Leiter des Projektes „20/21“ holte er innerhalb von neun Jahren Kunst von über 40  Künstlern aus aller Welt nach Russland. Die Mission: das Fenster zu Europa, Amerika und der Welt ganz weit zu öffnen.

Fabre habe ein besonderes Projekt für die Eremitage angeboten, das neue Kunst, alte Meister, ­Katharina die Große und die moderne Eremitage verbinde, was die Ausstellung so vielschichtig mache. Zum Programm gehören neben Vorträgen auch Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Auf die zahlreichen Beschwerden der Besucher reagierte die Eremitage unterdessen mit einer offiziellen Erklärung. 

Kontroverse Resonanz ist Oserkow im Rahmen von „20/21“ gewohnt. So prüfte das Stadtgericht von St. Petersburg vor vier Jahren die Ausstellung „Das Ende des Spaßes“ der britischen Brüder Jake und Dinos Chapman. Im Vorfeld hatten sich mehr als 130 Bürger bei den Behörden beschwert. Die Vorwürfe: Gotteslästerung und nationalistischer Extremismus. „Wir erwarten vom Besucher den Willen, sich mit neuer Kunst auseinanderzusetzen“, erklärt Oserkow. Für ihn entsteht so auch ein frischer Blick auf die alten Meister, die „schließlich zu ihrer Zeit selbst modern und kontrovers waren“, gibt er zu bedenken.

Maßstab nicht nur für Russland
Die Eremitage verschiebt mit Ausstellungen dieser Art nicht nur die Grenzen dessen, was in Russland als Avantgarde gilt, sondern untermauert auch ihren guten Ruf im Rest der Welt. Erst kürzlich kürte das Onlineportal „TripAdvisor“ sie zum besten Museum Europas, vor dem Pariser Musée d’Orsay und dem Museo del Prado in Ma­drid, sowie zur Nummer drei der Welt. Für das Ranking werden jährlich Besucherkommentare auf der Reiseseite ausgewertet. Die Eremitage, bereits 2014 die Nummer eins in Europa, ist das einzige russische Museum unter den gelisteten Top 25. 

Die Ausstellung läuft bis 9. April,  www.hermitagemuseum.org

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