Auf den ersten Blick ist die Vermutung nicht ganz abwegig, Hauke Stars sei in gewisser Weise eine Quotenfrau. Zumal der ehemalige Betriebsratschef Bernd Osterloh darauf gedrängt hatte, das IT-Ressort mit einer Frau zu besetzen. Mehr als ein Jahr lang hatte Volkwagen nach einer geeigneten Kandidatin gesucht. Zum Jahreswechsel war sie gefunden, und seit Februar 2022 ist Hauke Stars IT-Vorständin bei Volkswagen Volkswagen. Im Folgenden geht es - auch - darum, warum sie keine Quotenfrau ist, sondern im Gegenteil genau die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
Ihre wichtigste Aufgabe wird sein, jenen Schatz zu heben, auf dem Autohersteller Autohersteller sitzen: Daten. Jedes einzelne neue Fahrzeug generiert Unmengen davon, und Volkswagen verkauft über seine zehn Konzernmarken Jahr für Jahr zirka zehn Millionen Stück. Und auch Fabriken, Sales-Systeme und Werkstätten produzieren Massen von Daten. Am Ende geht es darum, diese Informationen aus unterschiedlichen Quellen ganzheitlich zu nutzen, "um noch besser zu wissen, was sich unsere Kunden wünschen - und diese Wünsche am Ende auch zu erfüllen", so die IT-Chefin.
Mit dem Siegeszug der Elektroautos und dem Trend zum autonomen Fahren wird Mobilität aus ihrer Sicht immer mehr zur Dienstleistung: "Und der Kunde kann die Zeit im Auto stärker individuell nutzen." Die für diesen Wandel notwendige Software wird aus Sicht der VW-Vorständin bis 2030 "zu einer bedeutenden Einnahmequelle unserer Branche."
Der gemessen am Umsatz weltgrößte Autohersteller möchte diesen Weg maßgeblich mitgestalten, kommt aber vor allem bei den Eigenentwicklungen der Softwaretochter Cariad bisher nicht im anvisierten Tempo voran. Im Juni 2020 hatte das Unternehmen verkündet, den Anteil der selbst programmierten Autosoftware bis 2025 von unter zehn auf 60 Prozent steigern zu wollen.
Im September 2022 schrieb das Handelsblatt, VW werde dieses Ziel verfehlen. Cariad sei bei wichtigen Entwicklungen in Verzug geraten, deshalb komme auch der elektrische Porsche Macan später auf den Markt als geplant. Auch der unfreiwillige Abschied von Vorstandschef Herbert Diess hänge mit diesen Problemen zusammen.
Bei den genannten Entwicklungen geht es vor allem um die heute so wichtige In-Car-Software, also um alle Lösungen, die Prozesse im Fahrzeug steuern. Hier mehr als die Hälfte der Systeme in Eigenregie stemmen zu wollen, war in Anbetracht des geforderten Entwicklungstempos und des Fachkräftemangels wohl von Beginn an unrealistisch. Herbert Diess' späterer Nachfolger Oliver Blume - damals noch ausschließlich Porsche-Chef - hatte zu diesem Thema bereits Anfang Mai 2022 bekannt: "Wir wollen und können nicht alles selbst entwickeln. Wir brauchen Partner." Aktuell zeichnet sich ab, dass Volkswagen dabei mit Bosch und Continental eher auf traditionelle Großzulieferer setzt.
Die branchenweit zum Thema Software geführte Diskussion um Make or buy trifft VW jetzt mit voller Wucht. Einerseits ist der Konzern vor allem für die IT im Inneren des Autos, für die die Volkswagen-Tochter Cariad verantwortlich zeichnet, nicht in der Lage, jede gewünschte Lösung selbst zu entwickeln. Andererseits wollen sich gerade die großen Hersteller in Zeiten des digitalen Wandels nicht zu Hardwarelieferanten degradieren lassen.
Das gilt auch für alle übergeordneten IT-Themen, für Reporting Reporting, Predictive Maintenance oder Group Steering, ebenso für die gesamte betriebswirtschaftliche Steuerung, die Stars als Konzernvorständin verantwortet. Natürlich werde es auch hier weiter Outsourcing Outsourcing geben, so die Managerin, aber insgesamt setzt sie dafür vor allem auf interne Wertschöpfung: "Echte Innovation Innovation können wir am Ende nur selbst liefern. Und deshalb müssen wir das Know-how für die Kern-Apps im eigenen Haus behalten."
Für die neue IT-Chefin gibt es also mehr als genug zu tun - zumal sie am Ende natürlich nicht umhinkommen wird, auch die Probleme bei Cariad zu adressieren. Geboren 1967 in Merseburg an der Saale, beschäftigte sich Stars bereits mit IT, als dieses Kürzel noch niemand benutzte. Die Ausbildung in Magdeburg, wo sie ab Mitte der 1980er-Jahre Informatik studierte, war "nicht so viel anders als damals im Westen", wie sie später feststellte, "viel Mathe und viel Programmierung, vor allem mit Pascal und Fortran." Dabei verwendete Hardware war allerdings nicht die allerneueste, dafür saßen in jedem Semester nur zirka 20 Studierende, was das Lernen "natürlich sehr erleichterte".
Nachdem die Mauer gefallen war, wechselte die heutige Volkswagen-Vorständin an die TU-Berlin, schrieb dort ihre Diplomarbeit, erhielt anschließend ein Stipendium und ging 1991 zum Masterstudium nach Großbritannien. Ihr Englisch sei damals "fast nicht vorhanden" gewesen, erinnert sich Stars, "am Anfang konnte ich gerade so nach einem Ticket fragen." Sie lernte es dann natürlich schnell, und der Sprung ins kalte Wasser brachte eine Menge Spaß: "Ich kann das wirklich jedem nur empfehlen."
Ihre Karriere Karriere seitdem als steil zu bezeichnen, wäre eine freundliche Untertreibung. Gestartet bei Bertelsmann Bertelsmann in Gütersloh, weil ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann in der Nähe einen Job hatte, folgte 1998 der Wechsel zur Thyssenkrupp-Tochter Triaton, die 2004 an Hewlett Packard verkauft wurde. Stars blieb an Bord, war zwischen 2007 und 2012 CEO und Geschäftsführerin von Hewlett Packard Schweiz, und von 2012 bis 2020 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Börse AG, wo sie unter anderem die IT-Sparte leitete.