Christoph Heinemann

Chefreporter, Hamburger Abendblatt

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Artikel

Soko „Cold Cases" - die Chronik eines Versagens

Die Ermittler wollten alte Verbrechen lösen, aber gerieten selbst in Verdacht. Dossier über einen Krimi hinter den Kulissen der Polizei.


Hamburg. Am Ende der Geschichte ist Klaus W.* frei, aber es fühlt sich kaum so an. Er verlasse selten die Wohnung, sagt sein Anwalt, und wenn doch, meist abends, um den Blicken und dem Getuschel der Nachbarn zu entgehen. Klaus W. sitzt einfach da, schaut fern, denkt nach über die Frage, ob man ihm einen Mordversuch anhängen wollte. Vier Monate in einer Gefängniszelle hätten sich in ihn hineingegraben. „Ihm steht Schadenersatz zu", sagt sein Anwalt.


Im Polizeipräsidium haben sie die Akten des Falls wieder abgelegt. Darin sind die Bilder einer 16-Jährigen, die vor 38 Jahren in Steilshoop nachts angegriffen, ausgezogen und mit Messerstichen so zerschunden wurde, dass sie fast starb. Die Aussagen einer traumatisierten Frau, zu der das Mädchen von damals geworden ist. „Die Sache ist leider durch“, sagt ein Beamter. Ein anderer meint: „Wir haben es vergeigt, es tut richtig weh.“ Dass Klaus W. unschuldig ist, bezweifeln sie.


Etwa 45 Autominuten von der Wohnung von Klaus W. entfernt lebt Steven Baack, Kriminalhauptkommissar. Einst war er der Held in dieser Geschichte. Leiter der Abteilung „Cold Cases“ stand auf seiner Visitenkarte und sein Gesicht auf dem Titel des „Spiegel“. Er brachte Klaus W. vor Gericht. Dann kam das Desaster und der Freispruch. Baack ist seit Monaten krankgeschrieben, sitzt oft allein zu Hause und fragt sich, wie das alles passieren konnte. „Mein schlimmster Irrtum war, zu denken, dass alle Polizisten zusammen für die gute Sache einstehen“, hat er Vertrauten erzählt.


Am Anfang der Geschichte stand ein Versprechen: „Kein Opfer und kein Verbrechen wird vergessen“, gab die Polizei als Motto der Abteilung „Cold Cases“ für ungelöste Kriminalfälle aus. Heute ist von einer „Cold-Cases-Affäre“ die Rede, von Hinweisen auf „verbotene Ermittlungsmethoden“, von Intrigen, Bauernopfern und Versagen bis in die Chefetage des Landeskriminalamtes. Ob das Versprechen für die Opfer und ihre Angehörigen erfüllt werden kann, ist ungewisser denn je. Manche von ihnen fühlen sich von der Polizei im Stich gelassen.


Das Abendblatt hat mit Beteiligten gesprochen, vertrauliche Papiere zu dem Fall und der Soko ausgewertet. Sie erzählen eine Geschichte von einem Krimi hinter den Kulissen, von Herzblut und Überforderung. Sie lassen die Tragik eines Falls sichtbar werden, in dem es nur Verlierer gibt. Und sie werfen Fragen auf, über Anspruch und Wirklichkeit der Polizei und darüber, wie weit Ermittler auf ihrer Jagd gehen dürfen.


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