Die VW-Limousine ruckelt über den schmalen Weg am Stintfang, hinten knetet Markus Schreiber (51, SPD) die Hände im Schoß. Mit jedem Meter scheint er fester zu drücken. „Eigentlich ist das hier immer ein schöner Termin." Schreiber müht sich zu einem Lächeln. „Mal gucken, was Ihre Kollegen von mir übrig lassen."
Es ist Donnerstag. Kurz vor elf Uhr. Für den Bezirksamtschef von Mitte steht die Weinlese an den Landungsbrücken auf dem Programm. RTL, NDR, alle sind da. Nicht wegen des Weins. Wegen Schreiber. Schreiber, der „Sheriff". Der Genosse, der die Obdachlosen an der Kersten-Miles-Brücke (St. Pauli) mit einem Zaun vertreiben wollte.
Selbst in der SPD fragen sich viele, was ihn geritten hat. Warum der City-Bürgermeister überall aufräumen will. Nicht nur an der Kersten-Miles-Brücke. Auch am Hauptbahnhof. Im ganzen Bezirk. „Ich kann nicht so tun, als wären Probleme nicht da", sagt der Bezirksboss. „Die Menschen wollen nicht durch Kotze und Urinlachen stapfen, wenn sie nur schnell an die Haustür wollen." Andere Politiker würden diese Worte ausspeien, Markus Schreiber sagt sie beinahe flehend. „Ich bin der dienstälteste Bezirksamtsleiter." Pause, Schreiber genießt, wie das klingt. „Soll ich einfach alles laufen lassen? Dann komme ich auch an den Pranger."
Er sitzt jetzt in seinem Büro. Neunter Stock, Klosterwall. Traumausblick. In sein Gesicht haben sich Furchen gegraben, er ist blass, der Raum bieder. Wie der Rest des Bezirksamts. Der Chef verbringe eher ungern Zeit hier, sagen enge Mitarbeiter. Schreiber ist kein Schreibtischhengst. „Er wollte schon immer rausgehen, an die Leute ran", sagt Ulrich Mumm. Er kennt Schreiber aus seiner Zeit vor der großen Politik. Mumm war Schulleiter des Gymnasiums Allee in Altona, Schreiber dort bis 2002 Lehrer. Für Mathe und Chemie.
„Schreiber saugt die Probleme von Menschen auf und überlegt sofort, was sich unternehmen lässt", sagt Mumm. „Der Klassenraum war ihm immer zu klein." Unter den Schülern sei er beliebt gewesen - aber irgendwann werde der Schreiber in die Politik gehen, das wussten alle. „Wenn wir mal eine öffentliche Aktion mit der Schule machten, erst recht mit Medien, war er ganz vorn dabei. Dann leuchteten seine Augen."
Der unbedingte Einsatz brachte ihn auch in der SPD nach vorn. „Schreiber ist ein Mensch, der sich wirklich kümmert.", sagen selbst Genossen, die ihm nicht besonders wohlgesinnt sind. Als Bezirksboss machte er sich schnell einen Namen. Um seinen Bezirk zu schützen, vertrieb er Skater von Denkmälern, ging hart gegen Bauwagenbesetzer vor. Für Fotografen fährt er Bagger, zertrümmert Gitarren. „Er steht gern in der ersten Reihe, keine Frage", sagt ein SPDler. „Manchmal ist er da wie ein kleines Kind bei seiner Geburtstagsfeier."
Ob er stolz auf seinen Job sei? „Ja", sagt Schreiber sofort. Nur wer fragt, erfährt, dass er auch Gott für sein Leben und seine Aufgabe dankt. Schreiber ist als Sohn eines Pastors aufgewachsen. „Aber als Politiker ist Glaube nicht meine große Richtschnur."
Selbst beten würde ihm im Moment wohl kaum helfen. „Ich werde erst mal keine Zäune mehr aufstellen", sagt Markus Schreiber in die Mikrofone am Stintfang. Das Gesicht lächelt, die Hände kneten unablässig weiter. Der „Sheriff" wirkt nun wie ein Schuljunge, der sich für einen Streich entschuldigt.
Ihm haben die Beschimpfungen wehgetan, sagt Schreiber. Er hat die Weinlese überlebt, nun schiebt sich der Dienstwagen über die Willy-Brandt-Straße. „Wenn Sie in Mails als Schwein und Arschloch bezeichnet werden, ist das sehr, sehr unangenehm." Er wolle sich doch um die Schwachen in Mitte sorgen, in Billstedt, Wilhelmsburg, Horn. „Und ich will nicht, dass Menschen auf öffentlichem Grund Angst haben müssen."
Ein Mitarbeiter steigt zu. Auf der Betonskulptur am Karolinenplatz hätten wieder die Skater zugeschlagen, berichtet er. Die Kanten der Skulptur seien fast hinüber. „Schon wieder?" Schreiber zieht die Augenbrauen hoch. „Da sollten wir uns gleich in den nächsten Tagen etwas einfallen lassen. Vielleicht müssen wir die ganze Fläche da mal abräumen." Schreibers Miene lässt nicht erkennen, ob er gerade einen Scherz gemacht hat.