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US-Wahl 2016: "Der Einfluss der russischen Tweets war, wenn überhaupt, begrenzt"

Hat Trump dank Social Media die Wahl gewonnen? An dieser Frage arbeiten sich seit 2016 viele Forscher ab. © Carlos Barria/​Reuters

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Dass Donald Trump im Jahr 2016 zum US-Präsidenten gewählt wurde, lag auch daran, dass russische Akteure über Anzeigen und Social-Media-Posts die Wählerschaft beeinflusst hatten - das ist jedenfalls der Tenor ganzer Bücher zum Thema. Tatsächlich wiesen Forscher immer wieder nach, dass es groß angelegte Anstrengungen aus Russland gab, in sozialen Netzwerken Stimmung für Trump und gegen Hillary Clinton zu machen.

Schwieriger zu messen ist, wie groß der Einfluss der russischen Trollbotschaften tatsächlich war. Schon seit einiger Zeit gibt es Hinweise aus der Forschung, dass ihre Wirkung eher überschätzt wurde. Eine aktuelle Studie, veröffentlicht im Fachmagazin "Nature Communications", kommt nun ebenfalls zu dem Ergebnis: Die russischen Anstrengungen bei Twitter hatten so gut wie keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis.

Jan Zilinsky ist einer der Autoren der Studie. Der aus der Slowakei stammende Ökonom arbeitet an der School of Social Sciences & Technology an der TU München. Dort beschäftigt er sich mit der Frage, wie die Meinungsbildung von Bürgerinnen und Bürgern beeinflusst wird.


ZEIT ONLINE: Sie haben gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern in einer Studie versucht abzuschätzen, wie sich die russischen Versuche, auf Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahlen 2016 zu nehmen, ausgewirkt haben. Was genau haben Sie untersucht?

Jan Zilinsky: Einige Kollegen von unterschiedlichen Instituten und ich interessieren uns seit einiger Zeit für den Einfluss sozialer Medien auf das Wahlverhalten. Schon vor 2016 machte man sich Sorgen um Desinformation. Deshalb haben wir 2016 rund 1.500 Menschen zu ihrer politischen Meinung befragt, erst im April und dann noch einmal im Oktober, kurz vor der Wahl in den . Und nach der Wahl haben wir sie gefragt, für wen sie gestimmt haben.

ZEIT ONLINE: Woher wussten Sie, welchen Informationen die Menschen auf Twitter ausgesetzt waren?

Zilinsky: Wir haben sie um Erlaubnis gebeten, uns auf Twitter anzusehen, wem sie folgen. So konnten wir ihren möglichen Feed rekonstruieren. Wir kannten also jeden Tweet, der in ihrer Zeitleiste gelandet sein könnte - weil sie einem bestimmten Account gefolgt sind oder Retweets gesehen haben.

ZEIT ONLINE: Zu dieser Zeit war über die aus gesteuerten Social-Media-Aktivitäten noch nicht allzu viel bekannt.

Zilinsky: Aber nach der Wahl veröffentlichte Twitter Informationen über die Identität von Twitter-Konten, die mit der russischen Agentur für Internetforschung in Verbindung gebracht wurden.

ZEIT ONLINE: Einer mutmaßlich vom russischen Staat gelenkten Trollfabrik, die sich auf manipulative Social-Media-Inhalte spezialisiert hat.

Zilinsky: Wir können also zurückgehen und überprüfen, ob jemand mit Inhalten von diesen Konten in Kontakt gekommen ist. Und dann können wir uns ansehen, ob sich ihre politischen Einstellungen geändert haben.

ZEIT ONLINE: Und was waren die wichtigsten Ergebnisse?

Zilinsky: Wir haben zwei Erkenntnisse gewonnen. Die erste war, dass es stark konzentriert war, wer nicht authentische Tweets - also Tweets, von denen Twitter sagt, sie seien russische Desinformation - überhaupt sehen konnte. Nur zehn Prozent der Twitter-Nutzer, deren Newsfeed wir untersucht haben, konnten diese Tweets theoretisch sehen, 90 Prozent der Personen sahen praktisch keine russischen Tweets. Das zweite Ergebnis: Personen, die vielen dieser Tweets ausgesetzt waren, wurden dadurch nicht stärker polarisiert. Sie sahen deshalb keinen größeren Unterschied zwischen Clinton und Trump. Sie änderten auch ihre Wahlabsicht nicht häufiger als andere. Das deutet darauf hin, dass der Einfluss der russischen Tweets, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt war.

ZEIT ONLINE: Diese zehn Prozent, die die meisten Tweets erhielten, waren laut Ihrer Studie meist sehr konservativ. Die russischen Tweets waren zugunsten Trumps. Es ist doch nicht besonders verwunderlich, dass die nicht von Trump zu Clinton gewechselt sind, oder?

Zilinsky: Wir haben uns den Inhalt der Tweets nicht angeschaut. Vielleicht war die Taktik, einfach Twitter mit jeder Art von verwirrendem oder polarisierendem Inhalt zu fluten. Es gibt Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass linke Wähler von Bernie Sanders mit Anti-Clinton-Botschaften angesprochen wurden, vielleicht in der Hoffnung, sie dazu zu bringen, für die Kandidatin der grünen Partei, Jill Stein, zu stimmen oder gar nicht wählen zu gehen.


"Wir können da einfach keinen Effekt beobachten"

ZEIT ONLINE: Hat das funktioniert? Konnten die russischen Desinformationstweets die Radikalisierung und Polarisierung verstärken? Etwa, um die Wahlbeteiligung bei den Wählern der Demokraten zu verringern und bei den Republikanern zu erhöhen?

Zilinsky: Wir können nichts dazu sagen, inwiefern dadurch die Wahlbeteiligung beeinflusst wurde. Die meisten unserer Teilnehmer haben gewählt. Was die Polarisierung angeht: Eine Theorie besagt, dass die russischen Tweets einen Teil der Befragten davon überzeugt haben, dass Clinton weit links steht, und einen anderen, dass Trump weit rechts steht. Und wir können da einfach keinen Effekt beobachten. Außerdem legt die sozialwissenschaftliche Forschung nahe, dass Menschen, die wütend sind oder eine andere starke emotionale Reaktion zeigen, eher zur Wahl gehen. Und die schon erwähnte Absicht, die eher linksgerichteten Demokraten vom Wählen abzuhalten, indem man Horrorgeschichten über Hillary Clinton erzählt, scheint überhaupt nicht funktioniert zu haben. Schließlich haben diese Wähler unserer Studie zufolge praktisch gar keine russischen Desinformationstweets zu Gesicht bekommen. 

ZEIT ONLINE: Sie haben Twitter untersucht, weil Sie Zugang zu deren Daten hatten. Aber viele Leute sagen, dass Facebook im Mittelpunkt der russischen Manipulationsversuche stand.

Zilinsky: Wir haben eine Überschlagsrechnung gemacht und schätzen, dass der Anteil der Facebook-Nutzer, die diese russischen Postings gesehen haben, ähnlich hoch war wie bei Twitter. Allerdings ist es auf Facebook nicht so leicht, solche Beiträge weiterzuverbreiten und zu verstärken, wie auf Twitter. Das hat damit zu tun, dass Nutzer auf Facebook mehr Postings von Leuten sehen, die sie auch im wirklichen Leben kennen, sodass sie nicht so schnell zufällig mit fremden Beiträgen in Berührung kommen.

ZEIT ONLINE: Ihre Studie wird nun zur politischen Argumentation genutzt: Glenn Greenwald, der die Dokumente von Edward Snowden veröffentlicht hat, twitterte nach der Lektüre Ihrer Studie: "Russiagate war – und ist – eine der verrücktesten und abwegigsten Verschwörungstheorien der Neuzeit." Haben die liberalen Medien und Politiker Verschwörungstheorien verbreitet, als sie auf den russischen Einfluss hinwiesen?

Zilinsky: Der Sieg von Trump im November 2016 war für sehr viele Menschen ein schockierendes Ereignis. Das war ein fruchtbarer Boden für alle möglichen Erklärungen und Theorien darüber, wie das passieren konnte. Aber wenn wir Verschwörungstheorien generell für schädlich halten, dann habe ich kein Problem damit, jede unbewiesene Erklärung für ein überraschendes Wahlergebnis zu kritisieren.

ZEIT ONLINE: Ihr Co-Autor Joshua Tucker sagte dem US-Magazin Atlantic, dass die Studie nur ein kleiner Teil eines komplizierten Puzzles sei und sie nicht zwangsläufig darauf hindeute, dass die russischen Bemühungen keinen Einfluss auf das Ergebnis von 2016 hatten. Sehen Sie das anders? 

Zilinsky: Wir beleuchten nur einen kleinen Teil dieses größeren Puzzles. Bemühungen ausländischer Akteure, etwa die Veröffentlichung gehackter E-Mails, trugen im Herbst 2016 zu einer Anti-Clinton-Stimmung bei. Aber es waren oft inländische Akteure, die Gerüchte und Fehlinformationen verbreitet haben. Ich bin besorgt, dass ausländische Bedrohungen manchmal überbewertet werden und man die Akteure im Inland aus den Augen verliert.


"Fakeprofile sind nicht die politische Bedrohung Nummer eins"

ZEIT ONLINE: In Ihrer Studie schreiben Sie, dass die Debatten über die russische Einmischung generell das Vertrauen in die Integrität des Wahlsystems geschwächt hätten und dass das "mit der Bereitschaft der Amerikaner zusammenhängen könnte, Behauptungen über Wahlbetrug bei der Wahl 2020 zu akzeptieren". Die Leute auf der Linken, die von einer russischen Einmischung reden, haben also indirekt die Zweifel am Sieg Joe Bidens geschürt, die zu den Unruhen vom 6. Januar führten?

Zilinsky: Das ist möglich. Aber es gibt auch eine allgemeine Tendenz unter Wählern, sich über Wahlergebnisse zu beschweren, wenn der eigene Kandidat gescheitert ist. Joseph Uscinski, ein Politikwissenschaftler der University of Miami, sagt zum Beispiel, dass "Verschwörungstheorien etwas für Verlierer" seien. 

ZEIT ONLINE: Sollen US-Behörden und Plattformen denn weiterhin die Einflussnahme von außen bekämpfen?

Zilinsky: Ich denke, dass Social-Media-Unternehmen Fakeprofile auf ihren Plattformen bekämpfen sollten. Sie sind sicherlich problematisch, aber nicht unbedingt die politische Bedrohung Nummer eins.

ZEIT ONLINE: Im Grunde genommen sagen Sie, dass Menschen ihre Meinung nicht aufgrund einer relativ bescheidenen Anzahl von Beiträgen in den sozialen Medien ändern, oder?

Zilinsky: Die Menschen lassen sich einfach nicht gerne überreden. Es ist zwar möglich, ihre Meinung ein wenig zu verändern – aber um den Preis, dass sie den Überbringer der Botschaft danach weniger mögen. Sie könnten den Menschen etwa Informationen geben, wie sich der Zugang zur Gesundheitsversorgung dank Obamacare verbessert hat. Sie werden danach diese Politik vielleicht etwas positiver sehen, aber sie beurteilen den Informationsaustausch im Nachhinein als negativ.

ZEIT ONLINE: Soziale Medien machen es erst möglich, den Menschen sehr gezielte, auf ihr persönliches Profil abgestellte Anzeigen zu präsentieren. Die "psychologische Bombe" der personalisierten Werbung gilt manchen als das Geheimnis hinter Trumps Wahlerfolg. Wie effektiv sind solche Kampagnen? 

Zilinsky: Die meisten Bürger und Wähler lehnen die Vorstellung ab, dass sie gezielt angesprochen werden. Wenn sie also den Verdacht haben, eine Anzeige aufgrund ihrer demografischen Merkmale zu sehen, könnte sie das sogar gegen den jeweiligen Kandidaten einnehmen. In der Politikwissenschaft ist dazu bisher nur wenig geforscht worden. Aber wenn es um Wirtschaft und Marketing geht, sind die Menschen oft sehr misstrauisch gegenüber Werbung, die offenbar auf sie persönlich ausgerichtet ist.

ZEIT ONLINE: Sie haben in Ihrer Studie auch darauf hingewiesen, dass die von Ihnen beobachteten Verbreitungsmuster – nur wenige Nutzer bekommen den Löwenanteil der Postings zu sehen – generell typisch für Fake News und Verschwörungstheorien sind. Insbesondere, dass nur eine kleine Gruppe von Menschen dafür empfänglich ist, es aber keinen Einfluss auf die allgemeine öffentliche Stimmung hat.

Zilinsky: Einige meiner Co-Autoren haben in einer Studie speziell das Verhalten beim Teilen von Fake News untersucht und festgestellt, dass konservativere und ältere Nutzer sozialer Medien eher auf den "Teilen"-Knopf klicken. Das gilt aber nicht für jede Verschwörungstheorie. Wir untersuchen hier in München gerade die Verbreitung von Desinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Der beste Prädiktor dafür, dass jemand so etwas teilt, ist der Glaube, dass wir nicht wirklich in einer Demokratie leben und dass eine geheime Gruppe die Regierung kontrolliert.

ZEIT ONLINE: Die US-Wahl 2024 steht vor der Tür. Trump hat seine Kandidatur bereits angekündigt. Was erwarten Sie: Werden wir wieder über russische Bots und Fake-Accounts diskutieren?

Zilinsky: Die russische Invasion der Ukraine hat die Lage entscheidend verändert. Russland ist isolierter und genießt noch weniger Vertrauen als zuvor. Nach den Midterm-Wahlen hat das US-Repräsentantenhaus nun einen Sonderausschuss eingerichtet, der den angeblichen Onlineeinfluss Chinas untersuchen soll. Es würde mich nicht überraschen, wenn zunehmend über den chinesischen Einfluss auf die sozialen Medien diskutiert wird. Vielleicht wird es auch Bemühungen geben, TikTok zu verbieten. Der republikanische Senator Marco Rubio hat bereits ohne Beleg behauptet, TikTok würde Wahlen manipulieren, und will den Dienst gesetzlich verbieten lassen. Viele junge Leute würden sich über ein solches Verbot ärgern und vielleicht die Republikaner bestrafen wollen, vor allem wenn das Verbot auf Verschwörungstheorien basiert. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Wahlbeteiligung einer bestimmten Gruppe stark ansteigen wird.

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