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Waldbrände in Kalifornien: Leben im Grünen, ein Spiel mit dem Feuer

Jedes Jahr brennen Häuser ab, der Klimawandel verstärkt die Waldbrände. Warum bauen Kalifornier weiter Holzhäuser am Waldrand? Aus guten Gründen, sagt ein Feuerforscher.

Von Christoph Drösser, San Francisco


Die Menschen in Kalifornien - sie sind bekannt für ihre Zuversicht. Doch im Moment ist die Stimmung auf dem Nullpunkt, selbst bei denjenigen, die nicht direkt vom Feuer betroffen sind - in San Francisco etwa. Seit einem halben Jahr sind sie durch den Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie weitgehend ans Haus gefesselt, der Qualm, der von den mehr als 7.000 Brandherden im Staat herüberweht, macht nun auch gelegentliche Ausflüge in die Natur unmöglich. In San Francisco wurde es am vergangenen Mittwoch gar nicht erst hell, der rötliche Dämmerzustand erinnerte an Szenen aus dem dystopischen Science-Fiction-Film Blade Runner 2049.

An den Tagen danach war die Sonne wieder zu sehen, dafür stieg die Partikelbelastung der Luft an und pendelt seitdem zwischen den Alarmstufen Rot und Violett. In das Entsetzen über die Feuersbrünste und das Mitgefühl mit denen, die gerade ihre Häuser verlieren oder verlassen müssen, mischt sich in diesen Tagen auch der verbreitete Spruch: selbst schuld! Wer am Rand der trockenen Wälder baut, noch dazu ein US-übliches Holzhäuschen, der muss sich nicht wundern, wenn bei einem der periodisch auftretenden Waldbrände das Eigenheim in Flammen aufgeht. Die Natur strafe solchen Leichtsinn umgehend ab.

Wenn er solche Sprüche hört, wird Keith Gilless ungehalten. Besonders, wenn sie von Städtern aus San Francisco oder Los Angeles kommen, die selbst ihre Häuser auf einer Erdbebenspalte gebaut haben und nicht daran denken, von dort wegzuziehen. "Da wird oft den Opfern die Schuld gegeben", sagt der emeritierte Professor der University of California in Berkeley und Vorsitzende der kalifornischen Behörde für Forstwirtschaft und Brandschutz. Gilless ist überzeugt, dass man Natur und Zivilisation in Einklang bringen kann.

Und das gelte auch dort, wo wilde Natur und menschliche Siedlungen aufeinandertreffen. Fachleute nennen diese Regionen WUI (sprich: wui), was für wildland-urban interface steht. Jedes dritte Haus in den steht in einem solchen Gebiet. Aber in keinem Bundesstaat leben in solchen Zonen so viele Menschen wie in Kalifornien: 11,3 Millionen, das sind 30 Prozent der Bevölkerung. Einer der Gründe ist, dass immer mehr Menschen in den Staat mit dem mediterranen Klima ziehen, aber in den Städten Grundstückspreise und exorbitante Mieten für Normalverdiener kaum noch erschwinglich sind. Gleichzeitig wünschen sich viele ein Leben inmitten der Natur am Rand der beeindruckenden Wälder, in denen einer der majestätischen Riesenmammutbäume neben dem nächsten steht. "Wir lieben Bäume, möchten unter ihren Wipfeln leben", sagt Gilless.


Feuer gehören hier zur Natur - aber nicht in diesem Ausmaß

Dabei haben zu dieser Natur schon immer auch Waldbrände gehört. In den unberührten Wäldern Kaliforniens gab es etwa alle zehn Jahre Brände, die die Vegetation ausdünnten und durchaus positive Effekte für das Ökosystem hatten - Leute wie Gilless sprechen dabei von "guten Feuern". In der ursprünglichen Landschaft stehen die Bäume auch nicht dicht an dicht, die Wälder sind unterbrochen durch Buschwerk und savannenartige Zonen.

Gegen diese Art von periodischen Feuern kann man sich relativ leicht schützen, auch wenn man nahe am Wald wohnt. Die meisten Häuser brennen nicht nieder, weil sie von einer Flammenwand überrollt werden, sondern die Brände werden von Funken entfacht, die der Wind von einem Brandherd herüberweht. Deshalb, so Gilless, sollte vor allem das Dach aus einem nicht brennbaren Material bestehen. Die Lufteinlässe müssen funkendicht sein, weil die Funken mit dem Wind praktisch horizontal angeweht kommen und sonst ins Haus geraten können. "Es brennt dann praktisch von innen ab, nicht von außen", sagt Gilless. Überdies sollte das Feuer 30 Meter rund ums Haus wenig Futter finden. Am wichtigsten seien die zwei Meter unmittelbar ums Haus herum - da sollte es überhaupt nichts Brennbares geben, nicht einmal Rindenmulch auf den Beeten.

Das gute Feuer wird zu einem schlechten, wenn die Flammen in die Wipfel der Bäume gelangen und ein lokaler Brandherd so zur Feuerwalze wird. Das passiert in Kalifornien seit Jahren immer häufiger. Vor allem aufgrund des Klimawandels: Der August dieses Jahres war der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, fünf der im Moment wütenden Brände gehören zu den 20 schlimmsten in der Geschichte des Staates. Die Fläche, die jedes Jahr verbrennt, hat sich seit den Siebzigerjahren verfünffacht. Ein durchschnittlicher Brand verwüstet heute 28.000 Quadratkilometer, in den Neunzigern waren es noch 13.000.


Schlechtes Forstmanagement verstärkt das Problem


Aber auch das falsche Management der Wälder hat zu den immensen Schäden der Feuer beigetragen. Vor allem eine übertriebene Brandvermeidungsstrategie. In einem Artikel, der vergangenes Jahr im California Sunday Magazine erschien, spricht der Journalist Mark Arax von einem "katastrophen-industriellen Komplex". Früher kümmerten sich vor allem Ranger um die Waldgebiete, die in den Waldbränden nicht nur eine Gefahr sehen, sondern auch ein notwendiges Element in der Ökologie der Region. Seit der Jahrtausendwende werden sie bei der Prävention und Feuerbekämpfung immer stärker von einer Armee aus hochgerüsteten Feuerwehrleuten an den Rand gedrängt und abgelöst. Und deren Ziel ist, jedes Feuer im Keim zu ersticken. Aber Brandverhinderung um jeden Preis kann fatale Folgen haben: Wenn ein Waldgebiet nicht alle zehn Jahre mal brennt, sammelt sich zu viel brennbares Material an, insbesondere sogenanntes ladder fuel aus Büschen, Sträuchern und abgestorbenen Ästen. "Auf diesen Leitern steigen die Flammen in die Baumkronen und aus einem ökologisch nützlichen Feuer wird eines, das sehr viele der großen Bäume zerstört", erklärt Keith Gilless.

Der US-Präsident Donald Trump zog allerlei Spott auf sich, als er den Menschen in Kalifornien vor zwei Jahren empfahl, nach dem Vorbild Finnlands öfter mal mit dem Rechen durch die Wälder zu gehen. Bei seinem Besuch am Montag wiederholte er seinen Waldputzappell: "Wenn trockene Blätter auf dem Boden liegen, ist das Brennstoff für die Feuer." Ganz daneben liegt der Präsident mit dieser Aussage nicht. "Wenn wir von diesem vereinfachten Bild des Rechens absehen, dann hat er damit ein echtes Problem benannt", sagt Gilless. Die Wälder enthalten tatsächlich zu viel brennbares Material, und Kalifornien hat für Privatwälder schon erste Bestimmungen erlassen, um die Dichte des Baumbestands zu reduzieren. Das Problem: Für die meisten kalifornischen Wälder ist der Bund zuständig, also Trumps Regierung, und nicht der Staat Kalifornien.

Dass nicht mehr in eine sinnvolle Art des Waldmanagements investiert wird, hat auch damit zu tun, dass das Holz, das dabei entfernt wird, nicht wirtschaftlich zu verwerten ist. Um das zu ändern, hat Gilless' Behörde das Joint Institute for Wood Products Innovation gegründetalso ein Institut für innovative Holzprodukte, die aus dem vergleichsweise minderwertigen Material hergestellt werden können. Denn Gilless glaubt unbeirrt an den Baustoff Holz. Der habe eine sehr gute Klimabilanz und wenn man richtig damit baue, sei die Feuersicherheit nicht geringer als die von Beton oder Metall.

Das Problem ist, dass sich feuerbewusstes Bauen in den naturnahen Siedlungen – den WUIs – nur langsam durchsetzt. Für neue Häuser, die errichtet werden, hat der Staat die Brandschutzbestimmungen verschärft und zum Beispiel Holzdächer und offene Belüftungsgitter verboten. Solche Vorschriften gelten auch für den Wiederaufbau abgebrannter Eigenheime. Wie aber bekommt man die Besitzerinnen und Besitzer bestehender Häuser dazu, diese nach dem neuesten Erkenntnisstand des Brandschutzes auszustatten? Versicherungen könnten hierbei eine wichtige Rolle spielen. Die sind nämlich immer weniger dazu bereit, mit ihren staatlich gedeckelten Prämien das Feuerrisiko in diesen Gebieten zu übernehmen. Einige Verträge würden sie am liebsten kündigen – das verhinderte im vergangenen Jahr der kalifornische Staat, der sich schützend vor 800.000 Hausbesitzer stellte. Diese Verordnung aber läuft nun aus. Die Versicherungen könnten als Nächstes versuchen, die Eigentümer mit niedrigeren Prämien dazu zu verleiten, ihr Haus feuerfest zu machen.

In diesem Jahr haben die Waldbrände an der Westküste der USA besonders früh begonnen. Wie viele Wochen und Monate lang werden die Kalifornier noch mit Katastrophenmeldungen und beißender Luft leben müssen? "Ich sollte da keine Prognosen anstellen", sagt Keith Gilless, "aber wir müssen uns darauf einstellen, dass die Feuersaison zusammen mit Covid-19 unser Leben noch mindestens bis Ende des Jahres durcheinanderwirbeln wird."




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