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"Uncanny Valley": Im unheimlichen Tal der sprechenden Maschinen

Das ist nicht Taylor Swift. Das ist nur eine Programmierung, die so tut, als sei sie Taylor Swift. Aber sie spricht: Christopher Kulendran Thomas und Annika Kuhlmann, "Being Human", 2019.

Wenn Kunst an den Ort kommt, dessen Technologien sie kritisiert: Eine Ausstellung in San Francisco befasst sich mit KI. Die wird unweit im Silicon Valley entwickelt.


Wenn Kunst von künstlicher Intelligenz handelt, nennt man es üblicherweise Science-Fiction. Romane, Filme, Fernsehserien, aber auch bildende Kunst erzählen seit Langem davon, dass die Maschinen immer schlauer werden. Das hat in der Fiktion meist katastrophale Folgen.

Science-Fiction jedoch war es gerade nicht, die Claudia Schmuckli, Kuratorin am De Young Museum in San Francisco, im Sinn hatte, als sie nach Exponaten für die Ausstellung Uncanny ValleyBeing Human in the Age of AI suchte. "Diese futuristischen Visionen sind extrem wichtig und haben auch unsere Vorstellungen von künstlicher Intelligenz geformt, seit diese Mitte der Fünfzigerjahre ein Thema wurden", sagt Schmuckli. Sie jedoch habe interessiert, ob es in der Kunst nicht auch Ideen von künstlicher Intelligenz (KI) gebe, die in der heutigen Realität fußen.

Den gerade gern benutzten Terminus Uncanny Valley – Rimini Protokoll und Thomas Melle haben ihn zuletzt für eine Performance mit einem Automatendouble von Melle verwendet, ebenso die New-Yorker-Autorin Anna Wiener für ihr Start-up-memoir – hat der japanische Roboterforscher Masahiro Mori bereits im Jahr 1970 geprägt. Der Begriff bezeichnet eine Akzeptanzlücke des Menschen im Umgang mit künstlichen Lebensformen: Solange sich die Roboter oder auch nur digitale Assistenten deutlich von uns unterscheiden, akzeptieren wir sie umso mehr, desto fortgeschrittener ihre Fähigkeiten sind. Doch wenn sie uns ebenbürtig zu werden drohen, stutzen wir – uns beschleicht ein mulmiges Gefühl, das das Adjektiv uncanny bezeichnet. Menschenähnlich und doch nicht ganz Mensch, werden uns digital gesteuerte Kreaturen zu zombieartigen Zeitgenossen, die beklemmende Gefühle hervorrufen.

Der Terminus Uncanny Valley liegt auch rein sprachlich so nah an dem des Silicon Valley, dass er sich als Titel für eine Ausstellung in San Francisco, die sich im weitesten Sinne mit dem Verhältnis von Kunst zu künstlicher Intelligenz befasst, beinahe zu sehr aufdrängt. In unmittelbarer geografischer Nähe werden Technologien entwickelt, die viele Menschen zunehmend als unheimlich betrachten.


Das Spiel mit den Algorithmen

Die Arbeiten, die nun in der Schau im De Young Museum zu sehen sind, erreichen so symbolisch den Ort, an dem ihre technischen Voraussetzungen einmal erfunden wurden und weiterhin entwickelt werden – und die viele der Kunstwerke explizit kritisieren. Eine Heimkehr ist es für die Kunst gerade nicht, sie wurde zumeist ganz woanders auf der Welt erdacht, produziert und auch bereits ausgestellt. Das gilt etwa für die Installation Being Human von Christopher Kulendran Thomas und Annika Kuhlmann, die zuletzt im Berliner Schinkel Pavillon präsentiert wurde; ebenso waren beispielsweise Hito Steyerls und Zach Blas' in San Francisco ausgestellte Arbeiten längst in Deutschland zu sehen.

Der örtliche Kontext, in den Uncanny Valley sie stellt, ist nun entscheidend. Claudia Schmuckli ist es gelungen, eine repräsentative Schau einer immer noch recht kleinen Gruppe von Künstlern zusammenzustellen, die sich nicht einfach mit einer Anti-Tech-Haltung dem Thema KI nähern. Vielmehr spielen sie mit Algorithmen und nutzen maschinelle Lernverfahren, um den Betrachter zu verblüffen oder zu verstören. Das tun ihre Kunstwerke umso mehr in dieser Großstadt San Francisco unweit der Valley-Orte Palo Alto, Menlo Park, Cupertino, wo machine learning eine der großen Sachen gerade ist.

Den Ortsbezug macht gleich am Eingang des De Young Museum eine dort platzierte Installation des in London lebenden Amerikaners Blas klar. The Doors heißt die Arbeit, sie schlägt auf augenzwinkernde Weise den Bogen von der Hippie-Vergangenheit Kaliforniens zur aktuellen Start-up-Szene. Blas hat neuronale Netze mit Daten gefüttert – auf sechs Videoschirmen flimmern die Rechenergebnisse eines Algorithmus, dessen Lernmaterial psychedelische Popposter aus den Sechzigerjahren waren. Dazu wird maschinelle Lyrik rezitiert, ein Zwitterwerk aus Songtexten der Doors (20 Prozent) und der Werbung für die modernen Nahrungsergänzungsmittel, mit denen Tech-Worker im Valley ihre Leistungskraft steigern (80 Prozent). Von der Bewusstseinserweiterung zur totalen Arbeitsbereitschaft: Es ist nicht schwer sich vorzustellen, mit welcher Sorte Drogen der Künstler mehr sympathisiert.


Die Technologien könnten auch einfach unmenschlich sein

Christopher Kulendran Thomas und Annika Kuhlmann nutzen für ihre Filminstallation Being Human die neuesten Deepfake-Technologien: Die Popsängerin Taylor Swift und der Künstler Oscar Murillo tauchen als digitale Doubles auf. "Beide sind ja in gewissem Maße Ikonen der Kreativität. Und für uns war es interessant zu fragen, was passiert, wenn wir diese beiden Personen als Simulation auftreten lassen", sagt die Berlinerin Annika Kuhlmann. "Das ist auch so ein bisschen Fan-Fiction. Wenn wir mit den beiden ein Interview führen könnten, was würden sie dann sagen?" Digitale Klone sprechen über Authentizität und Menschsein. Das Ganze ist eingebettet in eine Erzählung über die diasporische Kultur der Tamilen in Sri Lanka, die fragt, welche Bedeutung Menschenrechte in einer polarisierten Welt noch haben.

Der ebenfalls in Berlin lebende neuseeländische Künstler Simon Denny wiederum stieß im Internet auf ein Patent, das Amazon 2016 eingereicht hatte für einen Käfig, in den die Arbeiter des Handelskonzerns steigen sollten, wenn sie sich in den riesigen Lagerhallen in den Arbeitsbereich der Roboter begeben. Denny baute diesen Käfig, der wahrscheinlich in der Praxis nie zum Einsatz kommen wird, in Originalgröße nach. Das weiße Monstrum steht in der Mitte eines Ausstellungsraums in San Francisco. "Einerseits ist es eine Sicherheitsmaßnahme, damit Menschen nicht verletzt werden", sagt Denny, "andererseits ist es ein finsteres Symbol für die Beziehung der Menschen zu automatisierten Robotersystemen." Das wäre schon Metapher genug, aber Denny fügt noch eine weitere dazu: Im Käfig befindet sich ein virtuell-realer Vogel – ein Exemplar des vom Aussterben bedrohten King Island Brown Thornbill –, den der Besucher nur sehen kann, wenn er mit der Kamera eines iPads durch die Gitterstäbe blickt. "Der ist für mich eine Art Kanarienvogel im Kohleschacht, ein Frühwarnsystem für den gesamten Planeten."


Digitale Partizipation ist auch nur Mitmachkunst

Ja, viele der ausgestellten Werke sind ein wenig mit Bedeutung überladen. Die meisten sind erklärungsbedürftig, die Lektüre von Begleittexten ist zum Verständnis hilfreich. Und natürlich beziehen viele der Installationen den Besucher oder die Besucherin mit ein, Partizipation ist ja ein digitales Versprechen, das sich auch in Mitmachkunst erfüllt. Ian Cheng hat eine Art digitalen Wurm geschaffen, der auf einem riesigen Bildschirm herumkriecht und vom Publikum mit Datenhäppchen gefüttert wird. In Lynn Hershman Leesons Installation, die sich mit Überwachung und predictive policing auseinandersetzt, kann man an einem Terminal seine E-Mail-Adresse eingeben, und sofort projiziert der Algorithmus, für alle sichtbar, ein paar persönliche Details aus dem Netz auf einen Bildschirm (Telefonnummern sind unkenntlich gemacht). Martine Syms hat einen Avatar von sich selbst erstellt, dem man Nachrichten per SMS schicken kann. Doch statt sich als freundliche Helferin zu geben wie Siri oder Alexa, ist die chattende Kunstfigur ein eher mürrischer Gesprächspartner, der lieber über die eigenen Frustrationen redet.

Die meisten der beteiligten Künstler sehen die Technologien, derer sie sich bedienen, offenkundig kritisch, sorgen sich um die Privatsphäre des Individuums und den "Überwachungskapitalismus" (Shoshana Zuboff), beteiligen sich an aktuellen politischen Diskussionen. Trevor Paglens Arbeit They Took the Faces from the Accused and the Dead... (SD18) etwa knüpft unmittelbar an die Debatten über Gesichtserkennungsalgorithmen an, die in den USA und Europa gerade geführt werden. Diese Algorithmen brauchen wüste Datenmengen in Gestalt von Hunderttausenden von Fotos, um zu lernen. Dazu werden große Datenbanken mit Porträtfotos angezapft, die entweder aus dem Netz eingesammelt wurden oder auch, wie in Paglens Kunstwerk, aus Polizeidatenbanken stammen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass die Abgebildeten nie gefragt wurden, ob sie mit dieser Verwendung ihres Gesichts einverstanden wären. Paglen anonymisiert seine mehr als 3.000 mugshots von Tatverdächtigen jeweils mit einem weißen Balken – die Gesichtserkenner in der Welt draußen tun das nicht.

Auf die Frage, ob man diese Kunst mit dem antiquierten Namen Agitprop belegen kann, lacht die Kuratorin Claudia Schmuckli erst einmal herzlich. "Ja, es ist zum Teil schon Agitprop. Nicht propagandistisch in der Art und Weise, wie wir das aus dem frühen 20. Jahrhundert kennen, aber es sind definitiv kritische Arbeiten mit einer sehr starken politischen Message, die in die Öffentlichkeit zu bringen ich einfach wichtig empfand."

Für die Ausstellung wurde das gesamte Erdgeschoss des renommierten Museums frei geräumt, sie wird bis in den Herbst hinein zu sehen sein. Kaum zu glauben, dass dies die erste größere Schau zum Thema künstliche Intelligenz ist, die am Geburtsort dieser Technik gezeigt wird. Ob deren Schöpfer freilich in Scharen ins De Young Museum strömen werden, ist fraglich. Man sagt den Tech-Arbeitern des Valley eine gewisse Kunstferne nach, Annika Kuhlmann hat eine interessante Erklärung dafür: "Vielleicht liegt das daran, dass sie sich selbst als Avantgarde sehen und das Gefühl haben, dass sie mit ihrer Arbeit radikaler zur Gesellschaft beitragen können, als die Kunst das kann."

Die Allmachtsfantasien der selbst ernannten Disrupter und Digitalrevolutionäre werden seit Langem schon hinterfragt, der sogenannte Techlash gegen das Silicon Valley, seine Erfindungen und Konzerne hat spätestens mit der Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 und der Frage begonnen, inwiefern etwa Desinformationskampagnen auf den im Valley geschaffenen Social-Media-Plattformen Trumps Wahlsieg begünstigt haben. Und die Sorge, dass die Weiterentwicklung von KI vor allem militärische und polizeistaatliche Anwendungen produzieren könne (und künstlerische davor nur eingeschränkt erfolgreich warnen könnten), scheint durchaus begründet. Ein Gefühl des Unbehagens vor neuen Technologien kann sich nicht erst dadurch einstellen, wenn sie sich uns Menschen anverwandelt oder uns ebenbürtig wird. Die Technologien könnten auch einfach unmenschlich sein.


"Uncanny Valley" läuft noch bis 25. Oktober im De Young Museum in San Francisco.

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