Die erste Panne auf dem Weg nach Südafrika hatten wir in Österreich. In einer frostigen Herbstnacht in der Steiermark zogen sich Rahmen und Frontscheibe unserer Ente zusammen, und als am Morgen die ersten Sonnenstrahlen auf das Auto trafen, dehnte sich alles wieder aus. Bloß unterschiedlich schnell. Die etwas eng eingepasste Frontscheibe verwandelte sich unter Knacken und Knirschen in ein gläsernes Mosaik.
Da stand sie also: Dass sie nur 24 PS und zwei Zylinder hatte, sah man ihr nicht an. Es war eine Kastenente, ein kleiner, aber rüstiger Lieferwagen. Sie war khakifarben lackiert und trug auf dem Dach Ersatzreifen und Sandbleche für die Wüste. An der Seite hatten wir große Scheinwerfer angebracht, wie sie Rallyefahrer benutzen, um nachts Schlaglöchern und Wildtieren ausweichen zu können. Beim Start im Hunsrück hatte die Ente ausgesehen, als könne man mit ihr ein Abenteuer wagen - nun wirkte sie wie der Klassenstreber, der sich für den Wandertag eine Survival-Weste anzieht, auf den ersten Metern über eine Wurzel stolpert und auf seine Brille tritt.
„Dann kommt mal rein zum Essen!"Nach ein paar Tagen fanden wir einen hilfsbereiten Entenfahrer und kamen an eine Ersatzscheibe. Danach fuhren wir im Wallfahrtsort Mariazell zu einem Autofahrer-Gottesdienst und ließen die Ente segnen. Es war ein weiter Weg bis Südafrika. Und die Ente war 32 Jahre alt. Ich war damals 21 und hatte das Studium noch vor mir. Roland, der mich begleitete, hatte sich zwei Semester freigenommen. Wir waren wandernd und trampend durch Europa gezogen und hatten nun, in den Jahren 2005 und 2006, ganze zwölf Monate Zeit, um nach Südafrika zu kommen.
Mit der neuen Scheibe fuhren wir über Ungarn und Rumänien bis zum Bosporus und von dort in den Süden der Türkei. An der Grenze zu Syrien sagten die Leute: „Von Deutschland hierher? Mit dem Auto? Dann kommt mal rein zum Essen!" Sie führten uns zum Zimmer des Kommandeurs, in dem der Boden mit Schüsseln und Schalen gedeckt war. Ähnlich erging es uns in Jordanien. In Ägypten hieß es: „Von Deutschland hierher? Schön, dann kauft dieses Papyrus! Oder eine Flasche Parfum?" Aber auch dort fanden wir große Gastfreundschaft und blieben fast zwei Monate.
Als wir der deutschen Botschaft in Sudan schrieben, wir würden demnächst das Land durchqueren und weiter nach Äthiopien reisen, kam eine lange Mail zurück. Der Botschafter persönlich schrieb: Das Vorhaben sei aus Sicht der Botschaft eigentlich undurchführbar, zumindest aber grob fahrlässig. Drei Tage später kam noch eine Mail: Ein Attaché gab uns Tipps, falls wir es doch wagen sollten. Wir verstanden: Die Mail des Botschafters war vor allem ein Statement für Presse und Auswärtiges Amt, für den Fall, dass uns etwas zustoßen sollte.
Mit Hammer, Schlüsseln, Schweißgerät zu reparierenDie Tipps der Botschaft stellten sich als unbrauchbar heraus. Wo sie uns verwirrende und unpassierbare Wege voraussagte, die nicht oder höchstens in Arabisch gekennzeichnet seien, fanden wir eine schnurgerade geteerte Straße mit Schildern in Englisch. Offensichtlich hatte niemand aus der Botschaft die Gegend selbst bereist.
Wir wollten erfahren, was zwischen der Haustür in Deutschland und dem Meer in Südafrika lag. Die Ente war dafür das perfekte Auto. Sie war kein Land Rover, bei dem die Klimaanlage die Hitze aussperrt, und hinter dessen dunklen Scheiben die Gelb-, Braun- und Rottöne der Wüste zu einem braunen Brei verschwimmen. Und sie war nicht teuer: Vielleicht 5000 Euro hatten uns das Auto und die Vorbereitung gekostet. Die Ente war leicht, und sie war mit einem Hammer, ein paar Schlüsseln und einem Schweißgerät auch im Busch zu reparieren. Außerdem ist so ein altes Auto wie ein Hund - man kommt schnell mit den Leuten ins Gespräch. Wie geht es ihm? Wie alt ist es? Verkraftet es die anstrengende Reise gut?
Wir mussten im Autobahntunnel von Ankara den Benzinfilter freipusten. Von der Südtürkei an blockierte gelegentlich die Lenkung. In Äthiopien zerbrach krachend ein Kugellager im Getriebe. Und im Sandsturm riss die Achsschraube, im Dschungel ein Schwingarm. Aber insgesamt gesehen lief alles glatt.
Niemand weiß, ob hier noch Landminen liegenObwohl wir selten wütend auf die Ente waren, trennten wir uns immer mal wieder von ihr. Wir befürchteten, dass ihre 60 Kilometer pro Stunde immer noch zu schnell sein könnten, um Afrika wirklich kennenzulernen. Wenn uns ein Visum genügend Zeit ließ, waren wir zu Fuß unterwegs. Zum Beispiel in Sudan. Dort stellten wir die Ente in der Hauptstadt Khartum bei deutschen Entwicklungshelfern ab und fuhren mit Bussen nach Süden in die Nuba-Berge.
Schon Khartum war staubig gewesen, in weiten Teilen lehmbraun und karg. Aber es gab dort Cafés, Restaurants und sogar ein deutsches Kulturinstitut. In den Nuba-Bergen gab es Tee- und Kaffee-Frauen, die mit ein paar Hockern, zwei Kesseln und einem Kohlefeuer ihre Stände betrieben. Wir tranken süßen Mokka mit Kardamom. Dann brachen wir auf in die Savanne. Es war Frühling, 40 Grad, kein Regen. Rechts und links wucherten Dorngestrüpp und gelb-braunes Steppengras, das bis zu den Knien reichte. Dort musste man fest auftreten, um die Schlangen zu vertreiben. Besser, man blieb auf den Wegen, auch in den Nuba-Bergen hatte der Bürgerkrieg gewütet, niemand wusste genau, ob hier nicht noch Landminen lagen.
Die Nuba-Berge gehören zu Nord-Sudan, trotzdem leben dort einige Stämme, die dem christlichen Süden eng verbunden sind. Als wir die Gegend durchwanderten, galt ein Abkommen, das sechs Jahre Frieden und ein Referendum vorsah, das 2011 dann zur Spaltung des Landes in Nord- und Südsudan führen sollte. Die Soldaten des Nordens und die Rebellen des Südens fuhren gemeinsam Patrouille.
„Wir nennen es Pepsi"Wir wurden freundlich aufgenommen. Wenn wir in Dörfern nach einem Platz für unser Zelt fragten, gab man uns eine Hütte, in der wir schlafen konnten, oft beim Bürgermeister oder dem Koranschullehrer, die uns auch bewirteten. Zu essen gab es Ziege in Gemüsebrühe oder Süßigkeiten wie Sesam mit Honig. In den Augen der Kinder konnten wir erkennen, wie selten solche Delikatessen waren. Wir bedankten uns mit kleinen Geschenken wie Aspirin, nach dem man uns oft fragte. Als Roland Magenschmerzen hatte, empfahl der Koranschullehrer ein anderes wichtiges Hausmittel: „Wir nennen es Pepsi."
Drei Wochen wanderten wir von Dorf zu Dorf. Schliefen mal im Busch, mal in Hütten. Unterwegs trank jeder von uns elf Liter Wasser am Tag; wir löffelten es aus Tassen, um es länger genießen zu können. Zwischen den Dörfern lagen meist um die 40 Kilometer. Mit der Ente wäre das eine Fahrt von einer Stunde gewesen. Wir wären einfach weitergebraust, wenn man uns kein Wasser gegeben hätte, und hätten uns in der nächsten Stadt eine Cola gekauft. So aber kamen wir als Bittsteller in die Dörfer.
Das merkten wir besonders in Dongoli. Es war ein schöner Ort, Lehmhütten mit Strohdach, Affenbrotbäume, neben denen dünne Rinder grasten, dazwischen Felsbrocken und blühender Hibiskus. Doch dafür hatte ich keinen Sinn. Mein rechter Oberarm hatte sich entzündet - eine allergische Reaktion auf ein Mückenmittel. Seit Tagen war er voller Eiterblasen und schmerzte. Ich hatte Fieber bekommen und musste unser Notfall-Antibiotikum nehmen. Täglich verband ich den Arm. Als die Mullbinden ausgingen, schnitt ich Streifen aus meinem Hemd und kochte sie ab.
Warum hatten wir die Ente nicht mitgenommen?Der nächste Ort war 80 Kilometer entfernt. Selbst für einen Eselskarren sei das zu weit, sagten die Leute. Aber manchmal fahre ein Auto durch den Ort. Wann? „Morgen." Erleichtert kehrten wir zu unserer Hütte zurück, auf die Liegen, die wir rausgestellt hatten, weil es kühler war. Außerdem fielen einem draußen nicht die ungeschickten Geckos ins Gesicht, die gelegentlich aus dem Strohdach stürzten.
Am nächsten Tag packten wir die Rucksäcke und warteten. Am Abend hieß es: „Morgen kommt das Auto." Am nächsten auch. Am dritten Tag packten wir die Rucksäcke gar nicht mehr. In Europa hatte ich mich ohne Auto freier gefühlt, man muss sich weder um Benzin noch einen sicheren Stellplatz kümmern, man kann sich treiben lassen. Hier in Dongoli war das anders. Seit einem Tag war das Antibiotikum aufgebraucht. Das Fieber kehrte zurück. Warum hatten wir die Ente nicht mitgenommen?
Nach einer Woche kam ein Auto. Ein Toyota-Pick-up, mit dem ein Trupp südsudanesischer Rebellen unterwegs war. „Könnt ihr uns mitnehmen?", fragten wir hastig. „Tamam", sagte der Leutnant ohne zu zögern, einverstanden. Wir kletterten auf die Ladefläche, auf der sechs Soldaten hockten. Kaum einer hatte eine komplette Uniform. Ein Junge von 17 Jahren trug Sandtarn, ein Veteran war ganz in Grün gekleidet. Zwischen uns lehnten ihre Waffen: Kalaschnikows und deutsche G3.
Plötzlich schwiegen die RebellenHassan, der Fahrer, jagte wie der Teufel über die hügelige Piste. Wenn er durch Dornbüsche preschte, mussten wir uns vor peitschenden Zweigen in Acht nehmen. Wenn er mit Schwung einen Hügel nahm, grölte die Mannschaft. Hassan wendete sich zu uns um und lächelte breit. Dann wurde das Auto plötzlich langsamer. Die Rebellen wurden still. Aus dem Fahrerfenster schob sich eine Kalaschnikow. Ein Schuss. Zwei grau-schwarze hühnerartige Vögel huschten durchs Gebüsch. Hassan hatte sie nicht getroffen; seine Kameraden dankten es ihm mit Spott und Gelächter.
Die Truppe war nun vom Jagdfieber ergriffen. Nach allen Seiten spähten sie in die Dämmerung. Dann wurde es Nacht. Plötzlich ein Schatten neben der Straße. Hassan fuhr vom Weg ab, Äste knackten, der Motor heulte. Eine Gazelle. Für uns ein elegantes Tier mit spiralförmig gedrehten Hörnern - für die Männer ein Festmahl. Eine Handbreit neben meinem Ohr schlug der Schlagbolzen auf das Zündplättchen, das Geschoss raste an Rolands Schulter vorbei. Die Gazelle floh nicht. Sie rührte sich nicht einmal. Die Männer sprangen ins kniehohe Gras, Gewehre krachten, Pulverdampfschwaden zogen durchs Scheinwerferlicht.
Morgen würde es Fleisch geben
Die Gazelle stand still, blickte starr geradeaus. Ich begriff: Sie war verletzt, aber sie hoffte, regungslos vom Feind verschont zu bleiben. Hassan schwang sich ins Führerhaus und gab Gas. Er hielt auf die Gazelle zu, blendete auf und ab. Im letzten Moment wich sie aus. Aber das lahmende Tier konnte sich nicht retten. Der Leutnant war zu Fuß dem Auto nachgeeilt und bekam die Gazelle zu fassen. Er zog sein Messer. Morgen würde es Fleisch geben. Sie hievten die Beute zwischen uns auf die Ladefläche.
Es mögen noch Stunden gewesen sein, die wir durch die Nacht fuhren. In den Wochen danach folgten viele weitere Kilometer, bis Roland und ich mit der Ente Südafrika erreichten. In der Erinnerung ist von der Reise aber vor allem ein Moment geblieben: als der Pick-Up über eine Welle in der Sandpiste raste und abhob. Eine Sekunde lang schwebten wir durch das Steppengräsermeer. Über uns der schwarzblaue Himmel, an dem das Kreuz des Südens funkelte. Vor uns die Straße, die zu einem Busch-Krankenhaus führte. Hinter uns die Tage mit Durst und Fieber. In diesem Moment spürten wir: Es hatte sich gelohnt. Egal, was noch kommen würde.
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