Christina Philippe

Freelance Writer & Digital Strategist, Hamburg

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W&V: Freiheit(en) im Netz und was sie uns wert ist

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Freiheit(en) im Netz und was sie uns wert ist

Gegen die Redakteure von Netzpolitik und ihre Quellen wird wegen Landesverrat ermittelt. Der Verfassungsschutz hat Strafanzeige gestellt.

Das ganze klingt so unglaublich absurd, ist aber Realität. Und ein Blick auf den Kalender lässt ohne Zweifel feststellen, dass es 2015 ist und nicht 1962. Da wurde das letzte Mal gegen Journalisten wegen Landesverrat ermittelt, allerdings ging es da um den Spiegel.

Um was geht es eigentlich genau? Um § 94 Strafgesetzbuch:

Wer ein Staatsgeheimnis [...] an einen Unbefugten gelangen lässt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Bezugnehmend auf die Artikel Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an „Massendatenauswertung von Internetinhalten" (Updates) und Geheime Referatsgruppe: Wir enthüllen die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung (Updates) wird also nun gegen André Meister und Markus Beckedahl ermittelt. Der Vorwurf ist recht eindeutig: Man hat Staatsgeheimnisse Unbefugten verfügbar gemacht.

Das eigentliche Problem an diesen Geschehnissen ist aber nur bedingt, dass Ermittlungen eingeleitet wurden. Viel wichtiger ist der Kontext, in dem das geschieht. Die Enthüllungen rund um den NSA-Skandal sind wirklich nicht neu. Allerdings hat es damals nur kurz mal für ein wenig Interesse gesorgt. Den meisten Bürgern war es recht schnell wieder alles egal. "Ich habe ja nichts zu verbergen", war der häufigste Kommentar dazu. Dabei ging es schon damals nicht einfach nur darum, dass vermeintliche Straftäter abgehört und überführt werden. Es ging darum, dass es möglich ist, jeden einzelnen Bürger, einschließlich unserer Regierung, abzuhören und sich so Informationen zu verschaffen. Mir war damals schon nicht klar, wie man das einfach abtun kann! Jetzt ist es das noch weniger.

Jeden Tag riskieren Journalisten auf der ganzen Welt ihre Freiheit und nicht selten auch ihr Leben, um uns Nachrichten zu bringen und uns zu schützen. Whistleblower riskieren Strafverfolgung und flüchten aus ihrer Heimat. Und das alles nur, damit wir von unserer warmen Couch aus sagen können: "Mir egal. Ich hab ja nichts zu verbergen."

Dass es aber nicht so einfach ist, sollte spätestens jetzt klar sein.

Solange Journalisten verfolgt werden, weil sie uns aufklären, aber besorgte Bürger ohne Strafverfolgung Flüchtlingsheime in Brand setzen können, läuft etwas gewaltig schief. Und es ist nun wirklich die Zeit gekommen, das zu ändern. Es geht nicht einfach nur darum, ob Beckedahl und Meister nun Post vom Generalbundesanwalt bekommen haben. Es geht um die Pressefreiheit und darum, welche Informationen uns wichtig sind. Und es geht letzten Endes auch um unsere Informationsfreiheit. Wir können nicht dulden, dass die Pressefreiheit bei Informationen die uns so unmittelbar betreffen, eingeschränkt und Journalisten Strafverfolgung angedroht wird.

Christina Hütten ist schon seit vielen Jahren beruflich vor allem im Bereich Social Media Marketing aktiv und derzeit bei Parasol Island in Düsseldorf tätig. Als LEAD digital-Bloggerin kommentiert sie aktuelle Themen im Onlinemarketing. Nachtrag der Redaktion:

Generalbundesanwalt Range stoppt die Ermittlungen gegen @netzpolitik vorerst. #Landesverrat http://t.co/2XPClWUxm2

- FAZ Politik (@FAZ_Politik) 31. Juli 2015

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