Spätestens seit Beginn der - ist klar: Nicht alle bei YouTube sind seriös. Dabei sind Videos über Themen wie Rückenschmerzen oder gesunde Ernährung gefragt. Allein in Deutschland gab es laut YouTube im Jahr 2021 rund 1,6 Millionen Suchanfragen und Aufrufe zu Gesundheitsthemen.
Mit YouTube Health präsentiert die Video-Plattform ein Angebot, das Nutzer:innen zeigen soll, wem sie in Gesundheitsfragen vertrauen können. In den USA gibt es diese Funktion bereits seit Oktober 2022, nun also auch in Deutschland. Am 28. Februar 2023 war es soweit: Auf einer Pressekonferenz im Berliner Office stellten YouTube-Health-Chef Götz Gottschalk und Georg Nolte, YouTubes Pressesprecher für die DACH-Region, die neuen Funktionen vor.
Im Prinzip besteht YouTube Health aus zwei verschiedenen Funktionen: dem „Health Label" und dem „Health Shelf". Das Label ist ein hellblauer Kasten direkt unter einem Video. Hier erfahren Nutzer:innen, dass es sich bei den Betreiber:innen des Kanals zum Beispiel um eine:n approbierte:n Ärzt:in oder Psycholog:in handelt.
Die so markierten Videos erscheinen bei der Suche nach Gesundheitsthemen hervorgehoben - in einem gesonderten Abschnitt unter der Überschrift „Von Gesundheitsinformationsquellen". YouTube nennt diese Sammlung „Health Shelf", übersetzt: Gesundheitsregal.
Nur Partner:innen von YouTube Health erhalten das Label. Sie müssen formale Kriterien erfüllen, etwa eine Video-Wiedergabezeit von mehr als 2000 Stunden in den letzten zwölf Monaten. Außerdem darf der Kanal in den vergangenen 90 Tagen nicht wegen eines Verstoßes gegen die YouTube-Communityregeln verwarnt worden sein.
Die Partner:innen unterteilt YouTube in drei Kategorien. Institutionen wie Universitätskliniken und Krankenhäuser qualifizieren sich automatisch. Denn laut Youtube unterliegen sie ohnehin standardisierten Prüfmechanismen. Christian Sina, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und Podiumsgast bei der YouTube-Pressekonferenz, erwartet einen Mehrwert darin, dass Personen leichter Informationen von Spezialist:innen etwa der Unikliniken erhielten.
Ärzt:innen und Psycholog:innen - die zweite Gruppe - müssen sich bewerben und eine nachweisen. Die prüft laut YouTube der externe Dienstleister LegitScript LLC. Das US-Unternehmen zertifiziert und überwacht unter anderem Internetseiten, die Gesundheitsprodukte verkaufen.
Organisationen, Stiftungen oder Gesundheitsmedien bilden die dritte Kategorie. Auch sie müssen sich bewerben und nachweisen, dass ein:e appropierte:r Mediziner:in die Inhalte des Kanals kontrolliert. Damit können verschiedenste Verbände und Interessengruppen ihre Inhalte mit seriösem Anstrich verbreiten, wenn sie nur eine anerkannte Person in einem Gesundheitsberuf in ihren Reihen hat.
Alle Kanäle müssen speziellen Richtlinien entsprechen, die vom Council of Medical Specialty Societies (CMSS), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der National Academy of Medicine (NAM) entwickelt wurden. Sie besagen zum Beispiel, dass die Partner:innen von YouTube Health vermitteln und auf qualitativ hochwertige wissenschaftliche Publikationen verweisen sollen. Sie müssen klare Hinweise darauf geben, von wann die Informationen stammen und dass sich der Stand der Wissenschaft verändern kann.
Die Richtlinien verlangen zudem, Gesundheitsinformationen von kommerziellen Inhalten zu trennen. Soweit die Theorie.
Auf der Pressekonferenz präsentierte YouTube einige deutsche Partner:innen von YouTube Health, darunter und Roland Liebscher-Bracht. Das Ehepaar betreibt einen der erfolgreichsten deutschen Videokanäle mit gesundheitsbezogenen Inhalten. Rund 1,87 Millionen Abonnent:innen folgen ihnen.
In der Vergangenheit fielen die Ärztin und der Maschinenbauer allerdings durch mangelnde Evidenz und Transparenz auf. So gibt es für die Hypothese von Liebscher & Bracht, wie etwa Athrose entsteht, keine wissenschaftlichen Belege.
Anfang 2022 wurde das Paar zudem von den Verbraucherzentralen NRW und Rheinland-Pfalz abgemahnt. Der Vorwurf: Irreführende Werbeaussagen und unzulässige Gesundheitsversprechen rund um Nahrungsergänzungsmittel, die Liebscher & Bracht verkaufen.
Für die Verifizierung als „vertrauenswürdige Gesundheitsquelle" räumten Liebscher & Bracht ihren YouTube-Kanal gründlich auf: 360 Videos seien überarbeitet, 118 weitere gelöscht worden, erklärten sie auf der Pressekonferenz.
Evidenzbasierte Videos kann man auf dem Kanal dennoch nicht erwarten. Man greife auch auf Erfahrungen zurück, sagte Petra Bracht. Zu diesen Erkenntnissen gebe es noch keine wissenschaftlichen Studien. Die Ärztin erklärte: „Der Unterschied ist, dass es jetzt immer dazu gesagt wird."
YouTube scheint eine solche Kennzeichnung der Videos von Liebscher & Bracht für ausreichend zu halten. Auch wenn die Prüfkriterien eigentlich besagen, dass verifizierte Kanäle „Informationen bereitstellen sollen, welche der besten wissenschaftlichen Evidenz zur Zeit der Veröffentlichung entsprechen". Auf schriftliche Nachfrage, wie das zusammenpasst, antwortete YouTube nicht.
Die YouTube Health-Richtlinien sehen außerdem vor, dass Kanäle ihre Aussagen mit wissenschaftlichen Quellen belegen sollen. Liebscher & Bracht beschränken sich in der Regel auf dieselben zwei wissenschaftlichen Artikel, die sie unter fast jedem Video verlinken. Zu diesen beiden Studien vermerken sie: „Die Grundlagen der gezeigten Übungen (Dehnzeiten und Wirkungsweisen) basieren neben unseren langjährigen Erfahrungen unter anderem auf diesen Studien."
Allerdings beschreibt die erste Studie lediglich die Ergebnisse einer Befragung von Arthritis-:innen über alternative Bewegungstherapien wie Yoga oder Feldenkrais. Inwiefern dies eine Grundlage für die Übungen von Liebscher & Bracht bildet, bleibt unklar.
Die zweite verlinkte Arbeit ist eine Metaanalyse, für die das Autorenteam anhand von elf Einzelstudien auswertete, ob Stretching die Muskelbeweglichkeit verbessern kann und wie lange eine solche Dehnung dauern sollte. Hier besteht zwar ein Zusammenhang zu den Übungen von Liebscher & Bracht. Alle Übungen wissenschaftlich belegen kann der Review jedoch nicht.
Es reicht nicht, dieselben zwei Studien unter fast jedem Video zu verlinken, um Inhalte als „wissenschaftsbasiert" zu bezeichnen. Vielmehr scheint dies eine Alibihandlung zu sein, um den Richtlinien zu entsprechen, die YouTube akzeptiert.
Statt zu weiteren wissenschaftlichen Studien führen die meisten Links unter den Videos von Liebscher & Bracht auf deren Webseite. Dort verkaufen sie Faszienrollen, Bücher und die bereits genannten Nahrungsergänzungsmittel. YouTube Health verlangt in seinen Richtlinien, dass verifizierte Kanäle Gesundheitsinformationen von kommerziellen Botschaften trennen. Wie ist das vereinbar?
Ein YouTube-Sprecher erklärt schriftlich: „Partner:innen müssen Videos markieren, bei denen es sich um bezahlte Werbung handelt, einschließlich für Produkte, die sie selbst produzieren". Wenn Roland Liebscher-Bracht in einem seiner Videos jedoch Übungen mit einer Faszienrolle zeigt und dieses Produkt in der Infobox verlinkt, stellt das für YouTube anscheinend keine kommerzielle Werbung dar. Auf Nachfrage gab das Unternehmen hierzu keine weitere Auskunft.
Generell bleiben viele Fragen offen. Zum Beispiel ist unklar, wer die Kanäle entsprechend der Richtlinien prüft und wie diese Menschen ausgebildet sind. Können sie beurteilen, ob es sich um evidenzbasierte Gesundheitsinformationen handelt? YouTube erklärt, die Überprüfung werde von „Google Clinical" durchgeführt. Auf Nachfrage, was genau das sei und wer dort arbeite, geht YouTube nicht ein.
Und: Wie überprüft YouTube die Kanäle nach der Verifizierung, um die Qualität dauerhaft zu gewährleisten? Auf der Pressekonferenz sagte ein Sprecher, man habe „Kollegen, die da mal reinschauen". Professioneller Umgang mit dem Vertrauen der Nutzer:innen sieht anders aus.
In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt das Unternehmen nur, dass Nutzer:innen Fehlinformationen melden könnten. Generell verweist YouTube darauf, dass es sich bei den Richtlinien um eine Selbstverpflichtung handele. So kann sich das Unternehmen im Zweifel aus der Verantwortung ziehen.
Insgesamt scheint es YouTube darum zu gehen, mit dem Versprechen von vermeintlich seriösen Gesundheitsinformationen mehr Menschen auf die Plattform zu ziehen und damit höhere Einnahmen zu generieren. Das Unternehmen stört sich anscheinend nicht daran, dass es mit dem Label auch Kanälen einen evidenzbasierten Anstrich verleiht, die fragwürdige Inhalte verbreiten. Diese Schönfärberei geht im Zweifel auf Kosten der Nutzer:innen, die auf YouTubes Siegel vertrauen.
Auch die Präsentation der „vertrauenswürdigen Videos" ist nicht gerade nutzer:innen-freundlich. Wer YouTube in der Browserversion nach einem Gesundheitsthema durchsucht, landet zwar bei Videos verifizierter Gesundheitskanäle im „Health Shelf". Dies ist aber nur durch feine, hellgraue Striche von Videos nicht-verifizierter Kanäle darüber und darunter getrennt. Wer nicht genau hinschaut, übersieht die Markierungen leicht. Das birgt die Gefahr, dass Nutzer:innen nicht-verifizierte Videos für ebenfalls vertrauenswürdig halten.
Bringt die Kennzeichnung von vertrauenswürdigen Gesundheitsquellen auf YouTube überhaupt etwas? Eine Studie aus den USA zeigt: Beim Thema Schlaf(losigkeit) werden Videos von verifizierten Gesundheitskanälen signifikant weniger aufgerufen als solche von nicht-verifizierten Kanälen.
Aufgrund der geringen Anzahl der Videos (21 von nicht-verifizerte Kanälen und 5 von Kanälen mit Gesundheitssiegel) ist die Studie nur bedingt aussagekräftig. Doch sie könnte darauf hinweisen, dass das Label für Nutzer:innen aus den USA wenig Relevanz hat. Es wird sich zeigen, wie die Funktion in Deutschland ankommt.
Redaktion: Sigrid März, Martin Rücker, Nicole Hagen