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Wie ein Start-up tödliche Infektionen im Krankenhaus verhindern will

Ein Desinfektionsspender mit Sensor soll helfen, in Kliniken das Ansteckungsrisiko mit gefährlichen Keimen zu senken. Der Sensor erfasst anonymisiert, wer vom Personal auf ausreichende Händehygiene achtet und wer noch geschult werden muss.

Von Christina Brummer

Inzwischen tun es viele ganz selbstverständlich: Ob am Eingang vom Supermarkt oder nach dem Verlassen der S-Bahn: Corona hat das Thema Händedesinfektion in den Alltag vieler Menschen katapultiert. Für Tobias Gebhardt und seinen Geschäftspartner Maik Gronau dreht sich schon seit mehr als fünf Jahren alles um das Thema Händehygiene: „Mein Co-Geschäftsführer lag 2013 selbst im Krankenhaus", berichtet Gebhardt. „Nach der Operation lag er im Patientenzimmer, und ihm fiel auf, dass manch einer reinkommt, der häufiger den Desinfektionsmittelspender nutzt, andere nutzten ihn gar nicht." Gronau stellte sich also die Frage: Kann das jeder machen, wie er möchte? Und gibt es eine Methode zu prüfen, wie oft sich jeder die Hände desinfiziert?

Eine solche Methode gab es damals noch nicht, deshalb machten sich die beiden auf die Suche nach einer Lösung, gründeten 2015 ihr Unternehmen GWA Hygiene und entwickelten einen Sensor, der an Desinfektionsmittelspendern angebracht werden kann. Drückt ein Mitarbeiter den Hebel eines Pumpspenders herunter, so registriert der Sensor die Aktivität und ermittelt zudem den Füllstand im Spender.

Krankenhauskeime verursachen bis zu 20.000 Todesfälle im Jahr

„Nur jede zweite Händedesinfektion, die eigentlich nötig wäre, wird auch durchgeführt", sagt Gebhardt. Man geht davon aus, dass ein großer Teil der Infektionen in Krankenhäusern auf mangelnde Händehygiene zurückzuführen sind. Es geht dabei um Keime wie MRSA, die gegen eine Reihe von Antibiotika resistent sind. Gerade im Krankenhaus sind solche Keime gefährlich, denn nach einer Operation sind viele Patienten geschwächt und besonders anfällig. In Deutschland gibt es nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts von 2019 jährlich bis zu 600 000 Krankenhausinfektionen. Die Zahl der durch Krankenhauskeime verursachten Todesfälle liegt bei schätzungsweise 10 000 bis 20 000 pro Jahr.

„Die Hygienebeauftragten, die sich in Kliniken um die Einhaltung der Hygienerichtlinien kümmern, haben einen schweren Stand", berichtet Gebhardt von den Erfahrungen, die er in deutschen Kliniken macht. Meist werde die Hygiene nur als Kostenfaktor gesehen. Angesichts hierarchischer Strukturen in manchen Krankenhäusern sei es daher nicht immer leicht, sich als Hygienebeauftragter zu behaupten. „Da passiert es dann, dass ein Chefarzt sagt, er sei steril geboren, er braucht sich keine Tipps geben lassen", sagt Gebhardt.

Sensoren erfassen, wer sich wie gut die Hände desinfiziert

„Aus diesem Grund sind wir der festen Überzeugung, dass man Daten braucht, um das Bewusstsein zu schärfen." Genau das wollen die beiden Stralsunder mit ihrer Sensorlösung „NosoEx" erreichen. „Nosokomiale Infektionen", der Fachbegriff, von dem der Name des Sensors abgeleitet ist, bezeichnet Infektionen im Rahmen eines Krankenhaus- oder Altenheimaufenthalts. Doch der Sensor ist nur ein Teil der Idee. Gebhardt und Gronau statten das Krankenhauspersonal mit Transpondern aus, die erfassen, zu welcher Berufsgruppe der Mitarbeiter gehört, sobald er sich die Hände desinfiziert. So soll zwischen den Berufsgruppen auch ein kleiner Wettbewerb entstehen. Schon jetzt meldeten Kunden, dass ihr Desinfektionsmittelverbrauch um 30 bis 50 Prozent angestiegen sei, so Gebhardt.

Diese Daten erscheinen in einer Statistik, die Auskunft gibt, welche Berufsgruppe sich am meisten desinfiziert und welche Spender kaum genutzt werden. „Die Daten werden von uns anschaulich aufbereitet, so dass die Verantwortlichen schnell erkennen, ob Handlungsbedarf besteht", sagt Gebhardt. So könnten sich die Hygienebeauftragten besser auf die Schulung ihrer Kolleginnen und Kollegen konzentrieren, anstatt mühsam Excel-Tabellen auszuwerten. „Die Daten werden anonymisiert erfasst", unterstreicht Gebhardt.

Die Krankenhäuser sollen sich digitalisieren, doch oft fehlt es schon an Wlan

Die Idee der Gründer wurde schon mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) förderte das Projekt und schmückte es mit dem Prädikat „Künstliche Intelligenz", ein Etikett, das oft wahllos an technische Neuerungen angeheftet wird. Tobias Gebhardt spricht nicht von künstlicher Intelligenz, nutzt lieber ein anderes Schlagwort: Smartification. Im Sinne des „Internet der Dinge" sollen so Geräte miteinander vernetzt werden, um Prozesse messbar und damit effizienter zu machen. „Aus meiner Sicht ist das Thema Gesundheitswesen und Digitalisierung noch ganz am Anfang. Und es reizt mich, das mitzugestalten", sagt Gebhardt. Geplant sei ebenso eine Sensorlösung für Inkubatoren auf Frühchenstationen, auch dort sei Händehygiene unerlässlich.

Viele Kliniken in Deutschland umweht der Charme vergangener Jahrzehnte: Die Bertelsmann-Stiftung ermittelt regelmäßig den sogenannten Digital-Health-Index und vergleicht darin die Digitalisierungsfortschritte verschiedener Länder. Bei der Erhebung im Jahr 2018 belegte das deutsche Gesundheitswesen den 16. und damit vorletzten Platz. In der Politik scheint angekommen zu sein, dass Nachholbedarf besteht. Das Kabinett hat kürzlich das „Krankenhauszukunftsgesetz" vorgestellt. Vom Bund fließen dafür in einen Fördertopf rund drei Milliarden Euro.

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Für Gebhardt klingt das gut. Aus seiner Sicht braucht es zunächst eine grundlegende Infrastruktur: „Häufig ist nicht einmal WLAN vorhanden." Er ist überzeugt: Die Probleme im Gesundheitswesen lassen sich nur durch eine Optimierung der Prozesse lösen. Ausreichend Personal sei zwar wichtig, doch das könne man schwer herbeizaubern.

Mit ihrer Sensorlösung „NosoEx" waren GWA Hygiene jedoch nicht die Einzigen, die das Thema Händehygiene angehen wollten. Das Frankfurter Unternehmen HyHelp verfolgte einen ähnlichen Ansatz, wurde jedoch 2019 von GWA Hygiene übernommen. Auch andere Firmen versuchen, mit ihren Lösungen das Thema Hygiene günstiger und schneller zu machen: Gerade das zeitintensive Desinfizieren von OP-Sälen und Krankenzimmern steht dabei im Fokus. Anders als bei der Händehygiene kann man bei der Oberflächendesinfektion auf UV-Strahlen zurückgreifen. Mit Hilfe von Desinfektionsrobotern oder LED-Paneelen sollen Krankenwagen und Innenräume so schneller und gründlicher desinfiziert werden.

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