Die Risse im Boden der Vorschulklasse in der Altstadt von Mexiko-Stadt sind deutlich sichtbar. Der Katastrophenhelfer Benno Riel steht mit Bauhelm und Stirn-Lampe am Kopf, gekleidet im Schutz-Overall in Signalfarbe im Raum. Sein Blick schweift von der deutlich sichtbaren Schadenstelle im Linoleumboden die Wände hinauf zur Decke - bedächtig und mit zunehmend skeptischem Gesichtsausdruck. Die Ziegeldecke ist mit Holzbalken abgestützt, doch die sehen durchgebogen aus. Einige Ziegelsteine wirken gelockert.
„Da müssen wir uns das Dach genauer ansehen", sagt Riel. Der Deutsche ist Teil eines zehnköpfigen Teams von „ISAR Germany", einer deutschen Hilfsgruppe, die sich auf Rettungseinsätze nach großen Naturkatastrophen spezialisiert hat. Das Kürzel steht für „International Search and Rescue" (dt. „Internationale Suche und Hilfe"). Viele Häuser sind nicht sicherSeit der Landung sind die Spezialisten für die Sicherheit von Gebäuden und der Rettung Eingeschlossener in der Millionenstadt im Einsatz. Ihre Aufgabe vor allem: Die Inspektion von Häusern, die durch den Erdstoß beeinträchtigt wurden, und die Suche nach Überlebenden.
In „La Semillita" sind die Experten jetzt offenbar fündig geworden: Zwei Mann inspizieren die brüchige Decke nun vom Dach aus. „Hier", zeigt Riel auf eine klar sichtbare Mulde: „Da könnte sich das Regenwasser sammeln, das zusätzliche Gewicht das Dach leicht zum Einsturz bringen", findet er.
Im Gespräch mit Kollegen empfiehlt der Helfer provisorische Stützpfeiler vom Erdgeschoss bis in den zweiten Stock hinauf zu errichten. „Sonst ist das hier nicht sicher", lautet der Befund.Eine Vertreterin der Zivilschutzbehörde macht Notizen. Die Expertise aus Germany wird sich später in einem Bericht wiederfinden. Margarita Zamudio, die Chefin jener Organisation, die den Vorkindergarten betreibt, wartet jedoch ängstlich auf ein erstes Gutachten.
Vor allem will sie wissen: Kann hier am Montag - wie geplant - der Unterricht wieder beginnen? Daraus wird wohl jetzt nichts. Vorerst.„Wir sind dankbar zu erfahren, wie es um die Sicherheit des Gebäudes bestellt ist", sagt sie zu BILD.
Deutsche Expertise verhindert weitere Tragödien Beim Abmarsch ist in den Gesichtern des deutschen Teams abzulesen, dass sie zufrieden sind: Ihre Inspektion könnte eine weitere Tragödie verhindert haben. Genau dieses Gefühl treibt die Retter bei ihren Missionen an, trotz aller Gefahren und Strapazen. Einsatzleiter und ISAR-Gründer Michael Lesmeister (50) landete mit seinem Team zwei Tage nach dem Beben. Bereits am Flughafen klatschten die Menschen, als sie die deutschen Retter in voller Einsatz-Montur erblickten, erzählt er. Und lächelt: „Das ist schon immer ein tolles Gefühl!"Und Arbeit gibt es genug: Laut einer jüngsten Bestandsaufnahme sind 3848 Gebäude durch das Horror-Beben beschädigt, viele davon sind akut einsturzgefährdet.
Sofort ging der Einsatz los: In der „Enrique Rebsamen"-Schule, in der beim Einsturz eines ganzen Gebäudeflügels 19 Kinder ums Leben kamen, überprüfte das Team die Stabilität provisorischer Stützpfeiler. Die sollten tonnenschwere Betonplatten stabil halten, während Rettungsteams im Inneren der Ruine weiterhin nach Opfern suchen.
Groß war daher die Aufregung, als inmitten der chaotischen Rettungsarbeiten, in der hunderte Helfer fieberhaft nach Beben-Opfern suchten, plötzlich einer der Suchhunde anschlug. Das ISAR-Team nahm den Bioradar-Scanner in Betrieb - doch leider blieb es bei einem Fehlalarm. Das sei schon ein wenig enttäuschend gewesen, gibt der Einsatzleiter zu: Doch wenn es um Menschenleben geht, sei es immer einen Versuch wert. Suchhunde und TechnologieDann eilten die Männer weiter zur Einsturzstelle eines vierstöckigen Gebäudes: Dort konnten sie auch erstmals ein hochsensibles, 50 000 Euro teures Hightech-Gerät einsetzen: Der sogenannte „Bioradar" sucht unter den Trümmern nach Lebenszeichen, „vor allem Herzschlag und Atmung", erklärt Lesmeister.
Diesen Tag jedoch steht die Inspektion von Gebäuden im Vordergrund. Das Team ist im zweistöckigen Komplex eines Kindergartens am Boulevard „Eje 1 Norte" in einem eher ärmlicheren Bezirk der Hauptstadt Mexikos ausgeschwärmt.
Jedes Klassenzimmer, jede Wand, jedes Stiegenhaus wird penibel nach möglichen Schäden überprüft, auch das Dach des „Antonio Vanessa Arroyo"-Kindergartens wird genau unter die Lupe genommen. Man ist hier zufriedener. Bedenklich scheint nur eine Stelle, an der winzige Zementteile von der Wand gebröckelt waren. Die Stelle wird mit einem Plastikband markiert. Für spätere Reparaturarbeiten.
„Unsere Hauptaufgabe ist die sogenannten Workside-Triage, das heißt, wir sehen uns die Gebäude mit der Erfahrung von Ingenieuren und Baufachberatern an. Dann fertigen wir einen Befund an, ob Menschen in diesen Gebäuden weiterhin sicher wohnen oder arbeiten können", sagt ISAR-Gründer Lesmeister.
Lesmeister sagt, dass man hier nicht alles mit „deutschen Standards" vergleichen solle. Er findet auch, dass der Begriff „erdbebensicheres Bauen" sehr dehnbar sei. „Mit dem Wort habe ich insgesamt Probleme", sagt er. Man müsse ja nach Lage und örtlich üblichen Standards nach bestem Wissen und Gewissen urteilen, wo es bei der Sicherheit mangelt und was unbedenklich sei.Während die deutschen Experten die Inspektion des Gebäudes abschließen, erzählt die Direktorin Maria de Los Angeles Jimenez Vargas über die Panik und die Schrecksekunden während des Erdbebens am Dienstag: 240 Kinder waren anwesend, als die Wände plötzlich wackelten und ein lautes Grollen zu hören war. „Die Kinder rannten alle in den Schulhof", sagt sie: „Ich hatte so große Angst, dass das Gebäude einstürzen und ihnen was zustoßen könnte".
„Erdbebensicheres Bauen" - was ist das?Der Helfer erinnert sich dann an einen der bewegendsten Momente seiner jahrzehntelangen Laufbahn, als mithilfe des Bioradar-Gerätes nach einem Erdbeben in Pakistan ein Brüderpaar im Alter von 14 und 16 Jahren noch fünf Tage nach dem Erdstoß aus einer Trümmerhalde lebend gerettet werden konnte. Das lange Überleben war aber nur möglich, da die Opfer Zugang zu Regenwasser hatten. „Sonst sinken die Überlebenschancen nach 72 Stunden gegen Null", so Lesmeister.
In Mexiko wollen sie noch bleiben, „so lange wir gebraucht werden". Besonders beeindruckt zeigte er sich über die Hilfsbereitschaft der Mexikaner und wie das Land angesichts der Beben-Tragödie zusammengestanden ist: „Die ackern und schuften, die Bevölkerung ist einfach toll", sagt er. „Die haben uns mit offenen Armen begrüßt." PS: Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan von BILD.de-News!Aber: Wie geht es einem selbst nach Einsätzen, bei denen so viel Grauenhaftes zu sehen ist? „Ich habe danach meist so ein bis zwei schlaflose Nächte", sagt der Vater eines sechsjährigen Sohnes: „Da muss man durch". Beim jetzigen Einsatz seines Teams in der „Schule des Todes" musste er jedoch passen: „Das geht einem als Vater eines jungen Kindes einfach zu nahe, man vergleicht da die Bilder mit der eigenen Familie".
Mehr zu tun, als gedacht