Sumte - Es hat sich einiges getan in Sumte.
Ein Wartehäuschen steht vor der Flüchtlingsunterkunft, Transparente mahnen: „Runter vom Gas!" An der Koppel hängt ein Schild: Pferde nicht füttern, auf Englisch und Arabisch, weil kürzlich ein Flüchtling sein Kind auf einen der teuren Zuchthengste setzte, und das geht natürlich nicht.
Ansonsten aber ist das Dorf Sumte in Niedersachsen, 100 Einwohner, was es schon war, bevor es zum Brennpunkt der deutschen Flüchtlingskrise wurde: langweilig und leer. Und das ist auch gut so.Wir erinnern uns: Im Oktober hieß es, Sumte müsse bis zu 1000 Flüchtlinge aufnehmen, in einem Bürokomplex am Ortseingang. Es gab eine Bürgerversammlung, die Emotionen schlugen Funken.
Und heute? Man kann drei Mal, vier Mal durch Sumte fahren, immer hin und her, ohne einen Menschen zu sehen. Keinen Einwohner, keinen Flüchtling. Dabei sind sie jetzt da, die Masse, vor denen man sich so fürchtete in Sumte. 586 Flüchtlinge aus 25 Nationen sind es geworden, 150 könnten noch kommen, mehr passen nicht in die Unterkunft.
Manchmal sieht man sie zum Penny-Markt nach Neuhaus spazieren, vier Kilometer an der Landstraße entlang, sie winken dann scheu, und die Sumter winken zurück. Meist aber bleiben sie unter sich, die Flüchtlinge hier, die Sumter dort, und das ruhige, idyllische Dorfleben geht weiter.► Dass Sumte es schafft, liegt an Menschen wie Jens Meier. Er leitet die Unterkunft für den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). „100 Familien mit 189 Kindern", zählt er hier, das mal zu dem Gerücht, dass immer nur junge Männer nach Deutschland kommen. Junge Männer sind nur die, die man sieht: die draußen stehen und rauchen.
In den ersten Wochen schliefen die Flüchtlinge in Sumte getrennt: Männer hier, Frauen und Kinder dort. Meier besorgte Paravents. Jetzt haben die Familien kleine Bereiche für sich.Ja, es gab auch schon Konflikte, räumt Meier ein. „Aber wir haben eine sehr gute Security." Streithähne werden getrennt, bis sie sich beruhigen, dann gibt es ein Gespräch. „Wir wollen miteinander reden, nicht übereinander." Eine Formel, die auch mit der Außenwelt funktioniert.
Jeden Tag gibt es eine Lagebesprechung, 24 Stunden täglich ist Meier für die Dorfbewohner zu erreichen. Liegt irgendwo Müll, dann räumen sie ihn weg. 66 Arbeitsplätze sind rund um die Unterkunft entstanden. Köche und Hausmeister wurden benötigt, auch eine Kinderbetreuung.
► Dass Sumte es schafft, liegt auch an Menschen wie Grit Richter. Eine Dorfbürgermeisterin, wie sie im Buche steht. Wird in ihrer Gemeinde ein Baby geboren, fährt Grit Richter hin, bringt einen Rucksack mit Baby-Erstausstattung vorbei. „Den Neubewohner begrüßen" sagt sie.
„Wir arbeiten alles gut ab", sagt die parteilose Bürgermeisterin und vermeidet ganz bewusst, „wir schaffen das" zu sagen. Dabei schaffen sie es tatsächlich, die Sumter, Schritt für Schritt: Die Abwasserleitungen werden ausgebaut. Die Straßenlaternen bleiben nachts nun an. Das Handynetz, „ja, das ist noch nicht geregelt", sagt Frau Richter. Es wird wacklig, wenn 750 Menschen zeitgleich surfen. „Es ist nicht alles super. Das war es vorher aber auch nicht."
So hoch die Emotionen bei der hitzigen Bürgerversammlung kochten, so schnell sind sie wieder abgekühlt. Norddeutsches Gemüt. Jeden Dienstag hat Frau Richter Bürgersprechstunde. Wegen der Flüchtlinge, sagt sie, war noch keiner da.► Dass Sumte es schafft, liegt vor allem an Menschen wie Dirk Hammer. Den Menschen, die in Sumte leben. „Das Dorfleben hat sich nicht verändert", sagt Hammer, dessen Familie seit dem 17. Jahrhundert hier wohnt. Ob Hammer für sein Dorf spricht? „102 Menschen, 102 Meinungen", sagt er. Passiert sei jedenfalls noch nichts. Und überhaupt: Viel mehr Ärger als mit den Flüchtlingen hätten sie mit den Rechten, die in Sumte Stimmung machten.
Gerade erst bekam er einen Brief von einem Nazi aus den USA. „Werter Volksgenosse", schreibt der Mann und ruft Hammer auf, er möge „Widerstand gegen die multikulturelle Bereicherung" leisten. Weil Hammer sagt, das sei alles nicht so schlimm, wurde er auch schon anonym bedroht. Dass die Sumter es schaffen, das passt den rechten Hetzern so gar nicht in den Kram.
Am späten Vormittag sitzen ein paar Flüchtlinge in dem Wartehäuschen vor der Tür. Ein Kleinbus kommt, bringt sie zum Supermarkt ins Nachbardorf. Immer nur in kleinen Gruppen, damit der Laden nicht überlastet ist. Letzte Woche wurde in der Unterkunft das erste Baby geboren, Bedrije, ein gesundes Mädchen.Die Bürgermeisterin hat angekündigt, in den nächsten Tagen einen Rucksack vorbeizubringen.