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Kritik an TV-Show über Behinderte

London. Die Plakate waren kaum zu übersehen in den vergangenen Wochen in Großbritannien: acht Menschen, darunter zwei Rollstuhlfahrerinnen und ein Mann mit entstellten Gesichtszügen, alle acht behindert. Darüber prangte groß der Schriftzug: „Liebe ist blind, entstellt, autistisch." Darunter stand der Name der TV-Sendung, für die diese Poster warben: „The Undateables" (etwa: Die Unvermittelbaren) - eine neue Reality-Show des britischen Privatsenders Channel 4. In der mehrteiligen Doku werden Menschen mit Behinderungen gezeigt, die Probleme haben, einen Partner zu finden. Eine professionelle Partnervermittlung soll ihnen nun dabei helfen.

In Großbritannien steht die Show unter massiver Kritik, vor allem wegen ihres Titels. Menschen mit Behinderungen pauschal als „undateable" zu bezeichnen - also als Personen, mit denen man kein Date haben kann oder will -, sei beleidigend, heißt es vielen britischen Medien. In der ersten Folge war unter anderem ein autistischer Mann zu sehen, der während seines ersten Treffens mit einer Frau deren Essen vom Teller stibitzt. Daraufhin verlässt sie das Restaurant. Ein Mann mit Tourette-Syndrom hat in der gleichen Folge schon mehr Glück: Obwohl er während des Treffens bedingt durch seine Behinderung ständig flucht, kommt es zu einem zweiten Treffen. Die dritte Teilnehmerin, eine kleinwüchsige Rollstuhlfahrerin, lehnt nach dem Date den ihr zugewiesenen potenziellen Partner ab, weil er selber im Rollstuhl sitzt.

Nach der Erstausstrahlung ebbten die Wogen um das Programm keinesfalls ab. Selbst aus Brüssel meldeten sich Kritiker zu Wort: Der Präsident des „European Disability Forums", Yannis Vardakastanis, sagte, „The Undateables" könne man sich nicht ansehen. „Solch ein unwürdiges Programm verbessert in keinster Weise das Bild von 80 Millionen Europäern mit Behinderungen in den Medien." In einer Stellungnahme kritisierte die Organisation grundsätzlich die Rolle der Medien: In vielen EU-Ländern seien behinderte Menschen immer noch unsichtbar. „Und wenn sie endlich einmal gezeigt werden, wie bei Channel 4, dann als Subjekte unangenehmen Voyeurismus'."

In einer Radiosendung der BBC übte selbst eine der Teilnehmerinnen Kritik an dem Titel der Sendung. Sie sei zwischenzeitlich aus der Show ausgestiegen, als sie erfahren habe, dass der Name der Sendung „The Undateables" laute, sagte Caroline, eine junge Frau, die seit fünf Jahren querschnittsgelähmt ist. „Der Titel der Sendung ist einfach schockierend."

Für Channel 4 ist die Diskussion über die Sendung sicherlich willkommen - denn die Quote stimmt. Daher verwundert es kaum, dass der Sender die Kritik nicht nachvollziehen kann. Man wolle „Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen infrage stellen", sagte ein Sprecher.

Dass dem Sender der Abbau dieser Vorurteile gelungen ist, ist allerdings fraglich. Die Sendung war noch nicht ausgestrahlt, da beschwerte sich bereits eine Mutter bei Channel 4, ihr behindertes Kind im Teenageralter sei auf der Straße gerade als „undateable" beschimpft worden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Channel 4 wegen umstrittener Formate unter Beschuss gerät: 2009 ging die Show „Boys and Girls Alone" auf Sendung. In der Reality-Soap wurden zehn Jungen und zehn Mädchen zwischen acht und elf Jahren zwei Wochen lang sich selbst überlassen.

Publikum, Medien und Kinderschutzorganisationen schlugen Alarm. Neuen Zündstoff gab es ebenfalls 2009 mit der Satiresendung „Cast Offs": Sechs körperlich und geistig beeinträchtige Menschen wurden auf einer einsamen Insel sich selbst überlassen. „Behinderung ist das letzte Tabu im Fernsehen, und ,Cast Offs' geht es frontal an mit einem Drehbuch voller Sex und politisch unkorrekten Witzen", schrieb die „Times".

Und in Deutschland? Eine deutsche Ausgabe von „Undateables" ist nicht geplant. Doch auch manche Scripted-Reality-Show bei SAT.1 und RTL oder die RTL II-Vorher/Nachher-Show „Extrem schön!" schlachtet systematisch körperliche oder geistige Defizite ihrer Protagonisten aus. Erst vergangene Woche zog sich SAT.1 zudem Kritik für den Titel eines eigenproduzierten Spielfilms zu: Die Geschichte über eine Rockband, deren Mitglieder das Down-Syndrom (Trisomie 21) haben, hieß „Die Mongolettes" - in Anspielung auf das Schimpfwort „Mongo" für Betroffene.

In Deutschland kämpft etwa die gehörlose Bloggerin Julia Probst in ihrem Blog ( meinaugenschmaus.blogspot.de) und bei Twitter ( @einaugenschmaus) für Barrierefreiheit, Inklusion und eine angemessenere Darstellung von Behinderten in den deutschen Medien. „Ich sehe da große Defizite", sagte sie gestern. Zum Beispiel werde für Gehörlose das „völlig unzutreffende und veraltete Wort ,taubstumm' verwendet" - statt „gehörlos". Auch würden Rollstuhlfahrer regelmäßig mit dem Ausdruck „an den Rollstuhl gefesselt" beschrieben. „Der Begriff tauchte 2011 in den Berichten der Deutschen Presse-Agentur 14-mal auf", sagte Probst. Für 2012 habe die Agentur zugesichert, darauf zu verzichten. Deutschland sei weit entfernt von einem unverkrampften Umgang von Behinderten und Nichtbehinderten, so lange „die Politik Menschen mit Behinderungen immer noch aus der Gesellschaft heraussortiert". Wichtig sei ein sensibler Umgang mit Sprache und Bildern.

Das größte Problem der deutschen Medien im Umgang mit Behinderten sei ein ganz Grundsätzliches, sagte Probst: „Es wird über uns geschrieben und berichtet, anstatt mit uns zu sprechen."

Christiane Link und Imre Grimm

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