Die Bettwanze sitzt in Schraubenköpfen und auf Bilderrahmen, im Buchrücken von Kafkas Verwandlung und hinter Steckdosen. Sie kriecht über Matratzen und in die Sockenschublade. Dort hockt sie und wartet auf die Nacht und schnuppert. So nistet sie sich ein in der Wohnung - und im Kopf ihrer Wirtin oder ihres Wirts.
Der kann sie suchen, soviel er will, findet vielleicht mal eine oder zwei und weiß doch: Unterm Parkett lauert ganz sicher noch eine, seit er sie mit einem gebrauchten Bett versehentlich in die Wohnung geschleppt hat. Des nachts wird sie rauskommen, ihren platten, gelbbraunen Leib auf die Matratze wuchten, den Saugrüssel in den schlafenden Menschenkörper rammen, in die Armbeuge vielleicht, den Nacken, die Hüfte, den Knöchel. Das blutrünstige Biest saugt sich so voll, dass es weniger platt und fast rötlich wird, dann verschwindet es wieder in die Ritzen und Nischen, fett und feist, noch ehe ihr Wirt aufwacht. Der Wirt, das war ich.
Ein fairer Zweikampf, Mann gegen Wanze, scheint aussichtslos. Meine Widersacherin ist nur wenige Millimeter groß, aber sie ist hinterlistig. Und sie ist in der Überzahl. Ein Kammerjäger muss her, und zwar schnell.
Die eigentliche Plage fing damit erst an.
01573 5995531. Das ist die Notfallnummer, die ganz weit oben auftaucht, wenn Google nach "Kammerjäger Berlin" sucht. Kammerjäger-weber.de. An ein kriminelles, gut organisiertes Netzwerk aus falschen Handwerkern denke ich in dem Moment nicht. Das wird sich noch ändern.
Die Bettwanze ist auf großer WelttourneeUnruhe macht sich breit. Es ist Mitte Dezember, Pandemie, die Weihnachtstage stehen bevor, die Wohnung soll ein möglichst geschützter Rückzugsraum sein und ist jetzt ein Krabbelzoo. Deshalb prüfe ich nicht das Impressum, wo nur X-e stehen statt einer Adresse oder eines Verantwortlichen. Ich lasse mich blenden, erst von der Stimme hinter der Handynummer, die mir versichert, sich schnell zu kümmern. Dann von den beiden Männern, die zwei Stunden später anrufen, dass sie gleich da seien. So ein Zufall, sie waren gerade ganz in der Nähe.
So. Ein. Zufall.
Das ist der Trick. Normalerweise achten wir längst darauf, wo wir im Internet was bestellen. So wie wir an Touri-Hotspots unsere Portemonnaies nicht lose in der Gesäßtasche tragen, schicken wir auch dem netten E-Mail-Onkel aus Nigeria oder Russland nicht unsere Bankkarten-Pin, damit der uns ein unverhofftes Millionenerbe überweisen kann. Wir sind ja nicht blöd. Oder?
Wer einen Kammerjäger ruft, tut das meist zum ersten Mal in seinem Leben. Das ist ein Glück, aber es ist auch tückisch. Wie soll man wissen, wer seriös ist und was sowas kostet? Und ganz wach bin ich auch nicht mehr. Seit dem ersten Feindkontakt mit einer Wanze schlafe ich nicht mehr richtig. Haben Sie mal versucht, die Augen geschlossen zu halten in dem Wissen, dass sich etwas anschleicht? Kurz erwäge ich, wie Udo Lindenberg in ein Hotel umzuziehen, für immer. Die Wohnung einfach den Wanzen überlassen. Tür zu und nie mehr wiederkommen. Leider sind Hotels Teil des Problems und nicht die Lösung. Sie sind die Verteilzentren, über die die Wanzen bequem in Taschen und Koffern von Peru nach Thailand und von Belgien nach Namibia reisen können.Cimex lectularius ist auf großer Welttournee, Rucksacktouristinnen sind ihr Tourbus.
Es klingelt an der Tür. Die zwei Männer - ein kräftiger, der höflich spricht und den anderen, den schmächtigen mit dicken Brillengläsern, als seinen Azubi vorstellt - tragen Alltagsmasken, graue Overalls, eine helle Taschenlampe mit sich und "leider kein EC-Gerät". Ich müsse die Rechnung aber direkt begleichen, immerhin gebe es "so viele schwarze Schafe", die am Ende nicht bezahlen.
Sie drehen ein paar Sofakissen um, nickend wissend und hören mir dabei zu, wie ich mein Leid klage. Rückfragen stellen sie keine, dann machen sie die Rechnung auf, mündlich, aber ich kann mich noch ganz gut daran erinnern: 140 Euro Pauschale, 40 je angefangene Viertelstunde, das Gift sei leider sehr teuer, 160 Euro pro 100 Milliliter. Ich lasse die Männer ihr Zeug versprühen und radle zum nächsten Geldautomaten. Am Ende bekomme ich vor der Haustür eine Quittung über 832 Euro und bin so dankbar, dass ich noch acht Euro Trinkgeld gebe. Die ausführliche Rechnung werde dann per Post kommen.